Böhmermann hat ja mit seiner Satire nicht direkt die Verlogenheit der deutschen Türkei-Politik und damit auch der deutschen Flüchtlingspolitik aufgedeckt, es war Erdogan selber. Hätte er Haltung bewiesen und das ganze als schlechten Humor ad acta gelegt, wäre die Sache im Sande verlaufen. Ein Staatsmann, der ständig verbalen Angriffen ausgesetzt ist, muß diese Taktik beherrschen und über diesen Dingen stehen. Und durch Frau Merkels untertäniger Entschuldigung, wurde der Schlamm dann so richtig aufgewühlt. Was dann folgte waren die unsäglichen Talkshows und Überschlagungen in der Presse. Diesen Ausgang hat Böhmermann (den ich gar nicht kenne) bestimmt nicht gewollt. Fazit: Es sollte niemand, auch satirisch, nicht unter die Gürtellinie gehen.
Satire wäre es erst, wenn ein Staatsmann oder eine Staatsfrau darüber stolpern sollte. Jeder ernstzunehmende Satiriker könnte sich ohne weiteres von dem Gedicht Böhmermanns distanzieren. Auch der vorsorglich geschaffene “Rahmen” - was darf man noch sagen und was nicht? - verschafft dem Gedicht nicht die Variablen, mit denen man (gute) Satire verbindet. Und besonders heikel ist, dass das unsägliche, geschmacklose und im höchsten Maße beleidigende Hodenpoem von einem Staatsmedium ausgestrahlt wurde. Es ist geradezu putzig, dass sich die Kanzlerin bisher so verhalten hat, als ob sie sich für diesen Faux pas ihres Lieblingssenders entschuldigen muss. Zugleich ist es aber die Bestätigung, dass es sich um ein Staatsmedium handelt. Außerdem: Nichts gegen die Solidarität der Satiriker und Journalisten, aber nicht jeder Unsinn lässt sich mit Journalismus oder Satirefreiheit rechtfertigen. Es ist schwer zu ertragen, wenn derartiger Müll plötzlich modellhaft für die Meinungsfreiheit instrumentalisiert wird, während andere Meinungsäußerungen gewohnheitsmäßig politisch korrekt stigmatisiert werden.
Der Text des Gedichts von Böhmermann ist, meiner Meinung nach, durchaus sehr beleidigend. Aber er hat es sehr raffiniert in eine Demonstration dessen, was streng verboten ist, gekleidet. “So etwas” dürfe man niemals und unter keinen Umständen sagen oder sonstwie verbreiten. Der Inhalt war zweifellos purer Gossenjargon. Es war eine Provokation. Und der Sultan vom Bosporus ist promt darauf angesprungen wie der Pawlowsche Hund. Böhmermann hat Erdogan vorgeführt wie einen Stier am Nasenring. Und Böhmermann hat Merkel gleich mit vorgeführt, die sich aufführte als wollte sie angstvoll jammern “mein Gott, was sollen bloß die Leute sagen?” Böhmermanns “verbotenes Gedicht” hat Merkel in eine Zwickmühle lanciert. Egal, was sie tut, es wird Nachteile haben. Ein “loose-loose” Situation gewissermaßen. Trotzdem ist die Freiheit der Meinung eine Voraussetzung für eine echte Demokratie. Und weil diese in letzter Zeit viel zu viel gerupft wurde, muß sie, besonders gegenüber dem türkischen Autokraten verteidigt werden. Deswegen erkläre ich mich auch solidarisch mit Böhmermann.
Danke für diese Analyse, die meines Erachtens einige Dinge gerade rückt und vor allem auch Böhmermanns plötzlichen Wandel vom großmäuligen arroganten Rotzlöffel zum wehleidigen Weichei erklärt. Mit so viel Gegenwind und Problemen hat dieser staatsfinanzierte Schreihals sicher nicht gerechnet. Es ist eine merkwürdige Ironie, dass ausgerechnet dieser bislang unantastbare Besser-Mensch diese Regierung in solche Schwierigkeiten bringt.
Es sollte jede Woche ein neues Lied oder Gedicht über Erdogan rauskommen!
Sehr amüsant, das Ganze. Ein Jan Böhmermann, dem es eigentlich Herzenssache ist, die sogenannten Rechten vorzuführen, bewegt sich derzeit im Nirgendwo. Rechts sind für ihn auch Leute, die vor Typen wie Erdogan gewarnt haben. Einem Erdogan, der sich Einmischung in innere Angelegenheiten der Türkei verbietet, bei seinen Propagandashows in Deutschland aber seine (Ex)-Landsleute zur “Assimilations”-verweigerung auffordert. Ich selbst halte Böhmermann für einen selbstgerechten Verarschertypen, der selbst nicht genau weiss, wass seine Aktionen eigentlich sollen, sondern vielmehr auf Interpretationen durch die Internet-Gemeinde wartet. Das “Niveau” von Böhmermanns Gedicht erreicht nicht einmal dasjenige von Kritzeleinträgen auf Kneipen-Pissoirs, auch hier warten wir auf Interpretationen von Wissenden aus dem Internet. Nichtsdestotrotz ist es ein unglaublicher Vorgang, wenn sich die Regierungschefin eines freiheitlichen Rechtsstaats ans Anschwärzen macht und die Meinungsfreiheit in bestimmten Bereichen nicht mehr als vorhanden betrachtet. Beginnend mit dem Energiewende-Desaster von 2011 erinnert mich diese Frau immer mehr an einen Kapitän auf einem Seelenverkäufer, der beim Anblick von 15m-Wellen die Parole “Wir schaffen das” ausgibt, wobei die halbe Mannschaft trotz Erkennen der Gefahr mitzieht.
Man muß diesem untauglichen und dämlichen Ablenkungsmanöver ( Beweis: Döpfners Solidarisierung) zur Ablnekung von der Unterstützung Von Daesh/ IS durch die Türkei, Saudies, Quatar keine wietre Aufmerkssmkeit geben. Weshalb wird die Unterstützung des IS, Öllieferungen, Korruptionsvorwürfe gegen Bilal Erdogan (Ausweisung aus Italien wg. mutmaßlichen Geldwäscheverdacht etc.) nicht thematisiert. Diese Böhmermann- Nummer erscheint doch reichlich inszeniert, um den antiziperten und tasächlichen gegenwärtigen udn künftigen Druck im Kessel der “sog. Volksseele” zu ventilieren. Frei nach dem Motto: “Wir decken auf, was die bösen Reichen mit euch machen. Wir sind keine Lügenpresse!” Man schaue sich diese schwache, unkritsich ängstliche “sog. Moderation” einer Frau Will zu diesem Thema an. Wenn das Journalismus sein soll, heiße ich Heinz. Panama ebenda!
Fräulein M´s Einlassung, das “Gedicht” sei “bewusst verletzend”, erinnert fatal an ihre Vorabbewertung von Herrn Sarazzins Buch als “nicht hilfreich”. Privat mag sie dies meinetwegen äußern, aber nicht in ihrer Funktion als BK. Was mich darüber hinaus irritiert: zahlreiche Journalisten, Kollegen usw. haben die Qualität des Schmähgedichts als bescheiden bewertet - Herr Böhmermann habe schon bessere Texte abgeliefert. Meiner Meinung nach verkennt diese Beurteilung, daß das Gedicht bewußt (wie angesagt) als Beispiel einer unerlaubten, reinen Schmähung innerhalb des Zwiegesprächs gedacht war. Es _mußte_ derart überzogen, dümmlich und sprachhandwerklich dilletantisch formuliert sein - als Karikatur einer echten Schmähkritik. Herr Böhmermann als “Musterleiche” - hoffentlich nicht: mutige Satiriker, Kabarettisten, Komiker und passende Sendeformate brauchen wir heute und künftig mehr denn je!
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