Kennen Sie diese Wand in Jerusalem, in die man kleine Zettel mit seinen Wünschen reinsteckt? Die …, wie heißt sie doch gleich? Ich komm‘ gerade nicht drauf. Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen kennt sie jedenfalls, hat sich sogar eine Kippa aufgesetzt und ein Zettelchen reingesteckt. Und ein Video davon drehen lassen vor dieser Dings, mir fällt der Name einfach nicht ein, vor dieser Mauer eben. Manchmal bin ich ein wenig vergesslich, fragen Sie meine Frau. Zum Glück erklärt uns der Präsident: „Sie erkennen vielleicht im Hintergrund den Felsendom, die Mauer, die Stützmauer, …“
Das hat mich ein bisschen verunsichert. Welche Stützmauer? Die Mauer ist die Umfassungsmauer des Zweiten Jüdischen Tempels, der 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde. Wieso sagt der Herr Bundespräsident das nicht? Oder fällt ihm auch gerade der Name nicht ein? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, er hat ja sicher genug Leute mit, die er fragen könnte. Da wird wohl einer dabei sein, der nicht so vergesslich ist wie ich. Das Video ist ja kein Selfie. So lange Arme hat er nicht, dass er sich dabei filmen kann, wie er einen Zettel in die Mauer steckt. Und Google geht auch in Israel, die haben sogar riesige Entwicklungszentren dort. Also will er uns was sagen damit. Bloß was?
Ohne Stütze könnte der Felsendom umfallen
Dass es sich um eine Stützmauer für den Felsendom handle, dürfte er kaum gemeint haben, auch wenn man das als Zuseher so verstehen könnte, denn ohne Stütze könnte der Felsendom ja umfallen. Dann hätte unser Präsident beim Filmen auch noch Angst haben müssen, dass ihm der Felsendom auf den Kopf fällt. Gott behüte. Doch die Araber waren nicht so vorausschauend, zur Zeit von Christi Geburt eine Stützmauer für den Dom einer Religion zu errichten, die erst 600 Jahre später gegründet worden ist.
Warum sagt er dann „den Felsendom, die Mauer, die Stützmauer“? Warum vermeidet er krampfhaft jeden Bezug auf das Judentum und verbindet ihren Zweck, absichtlich oder nicht, auch noch mit dem Felsendom? „Es ist eine schöne Tradition, dass man in eine Ritze, die man findet, vielleicht einen kleinen Zettel oder einen Brief deponiert mit einem Wunsch.“ Aha. Aber hat es mit dieser Mauer nicht noch irgendwas anderes auf sich, außer einer beliebigen Tradition wie jener, in den Trevi-Brunnen eine Münze zu werfen, auf dass man wieder nach Rom zurück komme? Irgendwas mit Religion vielleicht, mit Juden und mit Beten? Scheut der Präsident jeden noch so kleinen Hinweis auf tausende Jahre jüdischer Geschichte in Jerusalem?
Viele seiner Fans sind jedenfalls begeistert. „Jerusalem ist die Hauptstadt von Palästina“, schreiben sie unter das Video und malen gaaanz viele kleine Palästina-Flaggen und Victory-Zeichen dazu. Sieht süß aus. Sie erinnern ihn daran, dass „Jerusalem arabisch ist und für immer arabisch bleiben wird“, und hoffen, „es wird auch Kritik an Israels Regierung geben.“ Aber sicher doch, vielleicht findet sich sogar ein Stündchen, um einen Kranz an Arafats Grab niederzulegen.
Alles Palästina oder was?
Mit Jerusalem als Hauptstadt. Warum nicht? Ein Staat für Juden ist eh irgendwie so 20. Jahrhundert, klingt schon ziemlich völkisch, finden Sie nicht? Van der Bellen trifft sich ja auch mit Mahmoud Abbas auf seiner Israel-Reise. Abbas sei auch in Wien immer willkommen, hat er davor gesagt. Sehr wichtig, nur nicht einseitig sein. Gerade als neutraler Staat darf man auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man würde sich auf die israelische Seite schlagen. Was würde uns das schon bringen? Außer Ärger? Die Araber haben das Öl, und außerdem ist ja wirklich nicht alles fein, was die Israelis mit den Palästinensern machen. Der Landraub, die Siedlungen, die ganze Apartheid und all das. Sind ja inzwischen tootaaal rechts dort. Und Gaza ist schließlich auch nicht so viel was anderes als ein KZ. Gelernt haben sie nicht wirklich was aus dem Holocaust, da könnten sie sich schon noch was abschauen von uns.
Van der Bellen hat das sehr gut gemacht, sehr diplomatisch. Ohne Judentum kommt die Gewaltspirale gar nicht erst in Gang. Also erwähnen wir es nicht. Aus den Augen, aus dem Sinn, hat schon meine Oma gesagt. Was bin ich froh, diesen Mann gewählt zu haben! Gleich doppelt, das hält bekanntlich besser. Oder war es dreimal? Hab‘ ich leider vergessen. Van der Bellen findet einfach immer die richtigen Worte. Ob er uns empfiehlt, alle mal öfter Hijab zu tragen, oder jetzt vor dieser Mauer – wenn mir bloß der Name einfiele …
Irgendwie macht das Dings nicht mehr richtig mit, Sie wissen schon, dieses Teil mit Augen, das dazu da ist, damit es nicht in den Hals regnet.
Hier geht es zum Nachtrag.