Thomas Eppinger, Gastautor / 09.03.2019 / 11:14 / Foto: Danbu14 / 27 / Seite ausdrucken

Lustige Antisemiten. Eine Belgienkritik

Während „Israelkritiker“ ein richtiger Beruf geworden ist – „Ich mach‘ jetzt den Israelkritiker bei Humboldt“ hat es nur deshalb nicht in die in Österreich legendäre Kampagne geschafft, weil es dafür gar keine Ausbildung braucht – herrscht ein eklatanter Mangel an Belgienkritikern. Eine Marktlücke, die gefüllt werden will.

Belgien ist nämlich nicht nur für Waffeln, Bier und Pommes frites berühmt: seit 2010 gehört der Karneval in Aalst zum „immateriellen Kulturerbe der Menschheit“. Aus irgendeinem Grund steht der Antisemitismus nicht auf dieser Liste der UNESCO, obwohl er ja auch irgendwie eine Art Kulturerbe der Menschheit ist, wenn auch keines, auf das man stolz sein müsste, aber dafür gibt es ihn schon sehr viel länger als den Karneval in dieser sicher reizenden Stadt, in der einst die erste Buchdruckerei der Niederlande gegründet worden ist.

Weil der Karneval zum Kulturerbe gehört, soll man sich dort über alles und jedes lustig machen dürfen, solange es nicht pornographisch ist oder lebendige Tiere im Spiel sind – Antisemitismus stört die Stadtverwaltung jedoch nicht. Heuer zeigte einer der Wagen des lustigen Umzugs Karikaturen von orthodoxen Juden auf prall gefüllten Geldsäcken, wie Der Stürmer sie nicht besser hinbekommen hätte. Sogar an eine Ratte auf der Schulter hat man gedacht, so viel Tradition verpflichtet eben zur Liebe zum Detail. Mit Antisemitismus hat das natürlich nichts zu tun, man habe mit dem Wagen „Sabbatjahr“ nur auf die ständig steigenden Preise aufmerksam machen wollen. Klar, was würde sich dazu besser eignen als das Bild vom „geldgierigen Juden“? Das versteht wenigstens jeder, schon seit Jahrhunderten.

Humor der ganz besonderen Art

2013 zeigten die geschmackssicheren Aalster übrigens einen Wagen, der wie ein Todeswaggon der Nazis aussah, daneben marschierten als KZ-Offiziere und Haredim Verkleidete, das Plakat auf dem Waggon zeigte flämische Politiker mit Zyklon-B Kanistern. Bei dieser Art Humor wartet man gebannt darauf, was die Zukunft bringt.

Vielleicht einen Wagen mit Schwarzen, die Frauen in schicken Baströckchen mit einem Knochen im wuscheligen Haar, die Männer mit einem Ring in der Nase und als Dekoration Bananen und abgetrennte Hände und Füße junger Mädchen?

Sie halten das für geschmacklos und übertrieben? Geschmacklos ja, übertreiben nein. Als der Kongo noch im Privatbesitz des belgischen Königs war, ermordeten die Belgier acht bis zehn Millionen Kongolesen, die Hälfte aller Einwohner. Zwischen 1888 und 1908 plünderten sie das Land mit unfassbarer Brutalität. Sie versklavten, verstümmelten, folterten, vergewaltigten und ermordeten die Einheimischen, um auch noch das letzte Gramm Kautschuk aus dem Land zu pressen. Das Bild eines jungen Mannes, der fassungslos auf die kleine Hand und den Fuß seiner fünfjährigen Tochter starrt, abgetrennt von den „Wachen“, die das Kind zur Eintreibung von Kautschuk ermordet hatten, ist eine Ikonographie des Kolonialismus. Aber es geht ja um Karneval, also brauchen wir noch ein lustiges Motto: „Kultureller Austausch mit Negern“ fände ich gut.

Humor nach Art der Terroristen

Ähnlich geschmackvoll wäre auch ein Wagen voll dunkelhaariger bärtiger Männer mit stechendem Blick, Bombengürtel umgeschnallt und Maschinengewehre in der Hand, inmitten von zerfetzten Leibern und aufgeplatzten Köpfen. Schließlich ist der Brüsseler Stadtteil Molenbeek eine der größten Brutstätten des islamischen Terrorismus in Europa. 100.000 Einwohner, 80 Prozent mit Migrationshintergrund, die meisten Muslime aus Algerien und der Türkei.

Viele der Attentäter der letzten Jahre stammten aus Molenbeek oder fanden nach ihrer Tat dort Unterschlupf. 2016 wurde Brüssel selbst zum Ziel eines Anschlags mit 32 Toten und 340 Verletzten. Aber wir wollen ja lustig sein, also nennen wir den Wagen einfach: „Gelungene Integration“.

Es herrscht wahrlich kein Mangel an Themen aus dem Kleinstaat Belgien, die sich hervorragend für Faschingsumzüge eignen würden, und jede einzelne hätte mehr Bezug zur Realität als die antisemitischen Obszönitäten in Aalst.

Immerhin ist Belgien auch jenes Land, in dem Marc Dutroux und seine Frau aufgrund des Totalversagens der Behörden jahrelang Kinder und junge Frauen vergewaltigen und töten konnten. Dutroux war vermutlich Teil eines Kinderschänder-Netzwerks, das in die höchsten Kreise reicht und weit über Belgien hinausgeht. Und wie sich im Nachhinein herausstellte, war einer der Anwälte der Opferfamilien selbst pädophil.

Humor, über den man nicht lachen kann

Reporter der deutschen WELT und des holländischen Algemeen Dagblad arbeiten seit nunmehr zwei Jahrzehnten daran, die Hintergründe zu recherchieren. Dabei stießen sie auf weitere Fälle vermisster und ermordeter Kinder und Spuren in Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Der Vater einer der Ermordeten sagte der WELT, dass alle, die die Wahrheit in diesem Fall suchen würden, um ihr Leben fürchten müssten oder es bereits verloren hätten. Für ihn sei klar, dass Geheimdienste in dem ganzen Komplex eine Rolle spielen würden und dies der Grund sei, „dass systematisch Ermittlungen behindert wurden.

Es ist eben die Pflicht von Justiz, Polizei und Geheimdiensten, uns mitzuteilen, was wirklich mit unseren Kindern geschehen ist und wer dafür die Verantwortung trägt.“ Man mag sich gar nicht ausmalen, wie viele lustige Karnevalswagen man zu dieser Geschichte machen könnte.

Dabei ist Belgien durchaus ein Spiegelbild der Europäischen Union, was Brüssel zu einer würdigen Hauptstadt Europas macht. Innerlich gespalten zwischen einer wohlhabenden Region (Flandern) und einer armen (Wallonien), mit einem grotesken Föderalismus, in dem jeder nur auf die eigene Macht bedacht ist. „Radikalisierte Milieus in einigen Stadtvierteln (nicht nur Molenbeek), ein zersplitterter Polizeiapparat und politische Strukturen, die mit kafkaesk noch freundlich umschrieben sind, erleichtern Verbrechern und Terroristen ihr Geschäft“, schrieb der SPIEGEL nach der Festnahme des Bataclan-Attentäters Salah Abdeslam, der vier Monate lang in Molenbeek untertauchen konnte.

Aber was will man schon erwarten von einem Land mit einer Hauptstadt, dessen Wahrzeichen ein lächerliches, pissendes Männchen ist: „Der Junge, der in der Hauptstadt Europas auf die Straße pisst, steht ganz allgemein für Meinungsfreiheit, Widerstandsgeist und demokratische Werte.“ Wo ein pinkelnder Bube als Bastion der Freiheit herhalten muss, hält man antisemitische Verblendung eben auch für gesellschaftskritischen Humor.

Zuerst erschienen auf  mena-watch.com

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Christine Bauer / 09.03.2019

Tja die Belgier mögen es übertreiben mit ihren Tabulosen Faschingswagen. Diese gibt es aber nicht nur in Aalst - obwohl Aalst jetzt bestimmt ganz stolz ist als tonangebende belgische Stadt gnannt zu werden (Wer kommt eigentlich auf SO was ?)-  sondern auch anderstwo. So zu sagen in jedem Kuhkaff. Da ganz Deutschland es hinkriegt sich tagelang über einen lauen Genderwitz aufzuregen wundert mich der Artikel nur so weit als dass das ganze EU-Desaster hier am belgischen Karneval aufgehängt wird. Ich bin Belgierin und kenne niemand der antisemetismus, islamistischen Terror oder Kinderschänder gut findet. Wir gehen anders damit um - und nur weil ihr da nicht mitkommt - typisch deutsches “erst mal alles aufblasen” - muss nicht ganz Belgien runtergemacht werden. Bin echt enttäuscht über einen so undifferenzierten Artikel auf diesem Portal.

Joachim Brede / 09.03.2019

Ich bin entsetzt, dass es anlässlich eines Karnevalumzuges eine derartige Entgleisung geben kann! Wo, so frage ich mich, bleibt die Entrüstung des Mainstreams?

Monique Brodka / 09.03.2019

Nix für ungut aber es wird keine 20 Jahre mehr dauern dann wird Deutschland übersät sein mit Molenbeeks!

Karla Kuhn / 09.03.2019

“Dabei ist Belgien durchaus ein Spiegelbild der Europäischen Union, was Brüssel zu einer würdigen Hauptstadt Europas macht.”  WÜRDIG !  SEHR treffend ausgedrückt ! Mir schmecken nicht mal mehr die belgischen Pralinen, ich stelle jetzt meine eigenen her. Made in Germany.

Ralf Ehrhardt / 09.03.2019

Analog der Witzigkeit:  auch “VERWERFLICHKEIT” kennt keine Grenzen.  Statt offenen “Judenhass” zu demonstrieren (...latent darf man das nur bei UN-Beschlüssen und durch grenzenloses Hereinlassen von Hunderttausenden Judenhassern zeigen),  jagen unsere Wagenbauer die “Ratte Trump” und wollen sie vernichten, verunglimpfen das AfD-Mitglied Höcke als Baby von Joseph Goebbels, u.s.w.  Beim Bashing gegen Andersdenkende kennt auch „deutsche Witzigkeit“ kein Tabu. Komisch (!) ist nur, dass anscheinend nirgendwo ein Wagen mit offener Islamkritik, gegen Islamismus oder gegen islamischen Terrorismus in den Zügen gestartet ist ...oder starten durfte…oder aus Angst vor ungezügeltem Hass der Gutmenschen nicht starten wolle.  Der Karneval der Gutmenschen ist nämlich eine äußerst ernste Angelegenheit, wobei längst nicht alle Meinungen erwünscht und vertreten werden dürfen !  Insoweit den Blick bitte eine bisschen mehr nach innen richten und nicht -wie deutschlandtypisch- nur das Ausland kritisieren !

Sanne Weisner / 09.03.2019

Ok, Belgien ist ein Shithole State, in dem außer der der Majorisierung von Korruption wenig funktioniert, aber ist dieser Beitrag nicht am Ende nicht auch nur Shithole Journalismus? In einem Forum, wo mans auchmal derber krachen lassen kann, sicher kein Problem. Als Gastbeitrag für eine Zeitung ist es aber zu wenig Journalismus und zu viel gehässige Ätzerei. Bitte weniger davon.

Rolf Lindner / 09.03.2019

Hatte kürzlich in Brüssels Stadtteil Mallonen zu tun. Künstlerberg nennt sich die Gegend auch. Es gibt dort zwei wesentliche Straßen, in denen sich früher Galerien und Antiquitätengeschäfte aneinander reihten. Früher! Jetzt scheinen von dort viele Ladenbesitzer geflüchtet zu sein, weil bei einer ganzen Reihe die Rollläden heruntergezogen sind. Von den noch offenen Läden sind ein großer Teil in arabischer Hand. Die Straßen waren schmuddelig und besonders morgens sieht man zahlreiche bekopftuchte Frauen ihre Kinder zur Schule bringen. Es war wie ein Blick in die Zukunft, auf die sich ein großer Teil meiner deutschen Mitbürger zu freuen scheint.

Richard Kaufmann / 09.03.2019

Der Autor vergisst, dass auch Antwerpen in Belgien ist, wo Juden leben und sich anders als in Deutschland nicht bedroht fühlen. So befremdend so eine Karikatur auch sein mag und bloß Vorurteile widerspiegelt, kann man in Belgien damit umgehen, hierzulande nicht. Und: In Belgien gab es keine “Ferienlager” mit der Überschrift “Arbeit macht frei”. Wenn der Autor nichts zu schreiben hat, soll er es auch lassen und stattdessen lesen.

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