Dirk Maxeiner / 07.06.2020 / 06:25 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Widerruf eines Nachrufes

Für einen Journalisten gibt es wenig Peinlicheres als ein zu früh oder versehentlich veröffentlichter Nachruf. Im Leser keimt dann stets der begründete Verdacht, dass solche Nachrufe auf verstorbene Zeitgenossen nicht etwa in spontaner Anteilnahme geschrieben werden, sondern für den Fall der Fälle bereits in der Schublade liegen.  Das ist natürlich nicht sehr pietätvoll, wird aber aus praktischen Gründen durchaus so gehalten. In Zeiten des Internets ist das besonders gefährlich. Da genügt ein falscher Mausklick, und ein quicklebendiger Zeitgenosse wird in die ewigen Jagdgründe geschickt. Und da das Internet nichts wirklich vergisst, geistert der Betroffene fortan als Zombie durchs Leben. 

So wie der Flughafen Berlin Tegel. Wer dessen wechselhafte Lebensgeschichte googelt, findet eine ganze Chronik von Todesdaten, das letztgültige Ableben von „Otto Lilienthal“ war für Montag in einer Woche, den 15. Juni, angekündigt. Doch dann sprach sich bei den im Coronaschlaf dämmernden Berliner Behörden herum, dass nun doch wieder mit mehr Flugverkehr zu rechnen sei. Der als Vertretung vorgesehene DDR-Rentner Schönefeld pfeift aber ebenfalls auf dem letzten Loch. Und der BER macht ein bezahltes Berlin-Sabbatical – und das kann von der Wiege bis zur Bahre dauern. 

In letzter Sekunde wurde in Tegel die Herz-Lungen-Maschine von Otto Lilienthal wieder angeworfen. Ansonsten hätte man die deutsche Hauptstadt nur noch mit dem Fallschirm erreichen können. Als Landeplatz sollte man in jedem Fall die Wiese vor dem ebenfalls nachhaltig verkehrsberuhigten Flughafen Tempelhof vorhalten. Die Zeit kolportierte zum Flughafen-Chaos: „Berlin versagt jetzt doppelt – den einen kriegen sie nicht zu, den anderen nicht auf“. 

In so einer Art Legoland

Die aktuelle Architektur von Berlin Tegel stammt aus dem Jahre 1974. Wer etwa aus Shanghai anreist, wähnt sich in so einer Art Legoland. Aber immerhin: Das Ding funktioniert noch und gilt derzeit vom Passagieraufkommen her als Deutschlands viertgrößter Flughafen. Es ist ja durchaus symptomatisch, dass uralte Infrastruktur und ebenfalls in die Jahre gekommenes Personal dieses Land am Laufen halten, während die ambitionierten Zukunftsvisionen eine Bauchlandung nach der anderen produzieren. Es gibt tausende Tegels in Deutschland – von Bahn bis Autobahn, von Energieversorgung bis Kommunikation, von Krankenhaus bis Polizei, von Schulen bis Bundeswehr.

Mich erinnert das ein bisschen an einen alten Schulfreund. Der lebte in einer großen Familie, die wiederum immer ein bisschen über ihre Verhältnisse lebte. Jedenfalls hatten Sie ein schönes großes Haus erworben und dafür Schulden gemacht, die sie nicht bezahlen konnten. Alles hing an der Rente der Oma, die gehätschelt und gepflegt wurde, auf dass ihr ein ewiges Leben beschieden sein möge. Oma tat ihnen bis in die hohen 90er den Gefallen, wofür man ihr aufrecht dankbar war. 

Was den Generationenfrieden im heutigen Deutschland angeht, hat sich das irgendwie verändert. Oma und Opa sind ’ne Umweltsau und ohnehin nicht mehr lange da, das Geld für die Zinsen fällt vom Himmel, wir reißen die Bude ab und stellen stattdessen ein richtig schickes Luftschloss hin. So wie letzte Woche hier beschrieben, in Philippsburg, wo man ein AKW im Wert von 3 Milliarden Euro in die Luft jagte, ohne irgendeinen sinnvollen Ersatz dafür vorweisen zu können. Die technischen Berufe, die für diesen Ersatz sorgen könnten, werden gleich mitabgewickelt. Wer als Atompysiker oder Gentechnologe was werden will, sollte gleich auch Mandarin lernen. 

Nichts gegen einen beherzten Marsch in die Zukunft, aber warum muss man alle Brücken hinter sich sprengen und die Fähigkeiten einer Industrienation in den Fluss kippen? Ist man seiner Sache doch nicht so ganz sicher? Fürchtet man, die Stimmung könnte kippen und die Gefolgschaft umkehren? Deutschland wird allmählich zum Weltmeister in der Produktion von Alternativlosigkeit, so ähnlich wie ein Kapitän, der an einem Kahn mit Schlagseite auch noch die Rettungsboote kaputt machen lässt, damit schneller Hilfe kommt. Allein die Bundeswehr ahnt was und hat sich 40 Fallschirme aus US-Produktion ausgeliehen. Berlin, wir sind im Anflug!

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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Leserpost

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Matthias Haus / 07.06.2020

Wieder genial verfasst sehr geehrter Herr Maxeiner. Ich sag’s ja immer wieder,die alten DDR Slogan über die ich mich als Jugendlicher totgelacht habe sind aktueller denn je “Überholen ohne Einzuholen” oder ” wo wir sind ist vorn , wenn wir hinten sind ist hinten vorn ” . Herrlich dieses Land der genialen Politiker-,der sogenannten Top-Manger und der kritischen Presse , vorallem der kritische Wähler, ist doch überall erkennbar . Deswegen weiter so in die Alternativlosigkeit .Läuft doch.

Rainer Berg / 07.06.2020

Der Vergleich mit dem Kapitän, der trotz Schlagseite seine Rettungsboote kaputt machen lässt, ist sehr gut und treffend gewählt…

K. Schmidt / 07.06.2020

Der “behertzte Marsch in die Zukunft” endet wahrscheinlich Mitten im Elend oder in Zuständen wie auf dem Floß der Medusa. Dass man die Initiatoren gerne die “Grünen Khmer” nennt, macht ebenfalls wenig Hoffnung.

S.Clemens / 07.06.2020

Sehr schöne Erweiterung zu dem Artikel von Herrn Hofmann-Reinecke heute über den amerikanischen Drachen. Die Webstühle werden gerade gendergerecht zerstört und das Motto heisst : “Frieren rettet die Welt!”—— Main engine cut off: Germany zillion points…

Bärbel Steiner / 07.06.2020

So traurig die Zustände auch sind,so herzerfrìschend ihr Artikel. Ich habe herzlich gelacht.

Dr. Joachim Lucas / 07.06.2020

Wir bauen jetzt mit dem neuen Billionengeld aus dem Computer planwirtschaftlich lauter neue schöne Sachen, die nicht funktionieren und die niemand braucht (Elektro, Genderquark, Windrädchen) und natürlich auch so üble Sachen wie Straßen, Brücken, Gebäude usw. Anschließend wird das Geld entwertet, da wir die Schulden eh nicht zurückzahlen können und alles ist Supi. Wir haben das Land saniert, sind unsere Schulden los (außer die Privatschulden) und leben wieder ganz aufs Wesentliche konzentriert (Luft und Liebe, vegetarisch Essen, Trinken, Fahrrad fahren).

Wilhelm Lohmar / 07.06.2020

Betreffend BER muß ich manchmal daran denken, daß die USA während des 2. Weltkrieges ab Ende Juli 1944 mit dem North Field auf der Insel Tinian in kürzester Zeit einen Großflugplatz von enormer Leistungsfähigkeit gebaut und in Betrieb genommen haben.

Heiko Stadler / 07.06.2020

Was die Bundesregierung von John Smith, dem Käpitän der Titanic unterscheidet, ist, dass sie: 1. Die Rettungsboote auf dem sinkenden Schiff gleich mit in die Luft sprengen lässt, 2. Den Untergang als “alternativlos” bezeichnet und 3. Ein Vorbild für die ganze Welt sein will.

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