Der Sonntagsfahrer: Im Land der Behüteten

Bei Augsburger Klimaschützern passen „mehrmonatige Haftstrafen nicht in die Lebensentwürfe“, weshalb jetzt andere protestieren und in den Knast gehen sollen. Überall im Lande ist die behütete Generation dabei, den Begriff Risiko völlig neu zu buchstabieren.

Viele weisen mit einem gewissen Stolz darauf hin, dass sie die tägliche Impfung durch die öffentlich-rechtlichen Medien weitgehend verweigern. Die andauernde Boosterung des Verstandes durch die betreffenden Nachrichtensendungen komme einer chinesischen Wasserfolter gleich, bei dem das Opfer gefesselt unter einem tropfenden Eimer verharren muss, bis es wahnsinnig wird. Diese Gefahr besteht bei mir allerdings nicht, eher im Gegenteil: Die lokalen Informationen des Bayerischen Rundfunks sind für mich ein Quell steter Freude, Kontemplation und Heiterkeit. So auch in der vergangenen Woche, aus der ich hier einmal drei unterhaltsame Meldungen herausgreife, um Ihren Sonntag ein wenig zu entspannen.

In Augsburg, so vermelden die Regionalnachrichten aus Schwaben, gibt es beispielsweise Neues zum „Klimacamp“. Es wurde gleich neben dem historischen Rathaus aufgeschlagen. Das Rathaus ist einer der bedeutendsten Profanbauten der Renaissance, der sogar der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten unterliegt (ich hoffe, das steckt niemand der Hamas, sonst wird da eine Abschussrampe draus). Gleich neben dem Profanbau aus dem 17. Jahrhundert steht nun ein Profanbau aus dem 21. Jahrhundert, das besagte „Klimacamp". 

Es handelt sich um einen mit bunten Protestparolen dekorierten Verschlag aus Restholz, der den Touristen den Weg von der Renaissance zurück ins frühe Mittelalter weist und seit 2020 als „dauerhafte Versammlung“ die Gerichte und die Stadt beschäftigt. Da einige der Betreiber durch weitere nicht ganz regelkonforme Verhaltensweisen mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, sind die „Klimacamper“ nun ein wenig resigniert und streben eine passende Nachfolgeregelung an.

Eine ziemlich unsensible Hausdurchsuchung

„Letzte Generation soll Klimacamp in Augsburg übernehmen“, titelt der BR und schreibt, man plane, das Protestcamp zu übergeben. Mitbegründer Ingo Blechschmidt gibt als Grund die „unverhältnismäßige Repression“ der Augsburger Staatsanwaltschaft an. „Wir haben das Gefühl, dass wir unseren symbolischen, friedlichen und zielgenauen Protest in Augsburg nicht mehr weiterbetreiben können“, sagte er, „mehrmonatige Haftstrafen passen nicht in unsere Lebensentwürfe.“ Das kann ich gut nachvollziehen, mehrere Monate Knast würde auch meine Work-Life Balance durcheinanderbringen.

Und Ingo Blechschmidt hat offenbar ebenfalls keine Lust, für jeden Tag einen neuen Strich in die Zellenwand zu ritzen, schließlich ist er Mathematiker, genau gesagt Habilitant für Algebra und Zahlentheorie. Genau wie die Augsburger Staatsanwaltschaft forscht er "an komplexen Theorien“ (Süddeutsche Zeitung), weshalb erstere bei letzterem eine ziemlich unsensible Hausdurchsuchung anberaumte: „Ein Beamter hat dann noch im Spaß gesagt, gleich würde der Hubschrauber kommen, der mich zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe fliegt, das fand ich wirklich unangemessen."

Es muss also ein Nachfolger her, und der scheint auch schon gefunden. Laut Blechschmidt würden die Mitglieder der Letzten Generation Haftstrafen bewusst einkalkulieren, auch um einen „öffentlichen Aufschrei“ hervorzurufen. Dem BR sagte er: „Wenn in Augsburg schon für symbolischen, friedlichen und zielgenauen Protest Haftstrafen verhängt oder zumindest gefordert werden, dann wird es auf jeden Fall Haftstrafen geben für die Straßenblockaden der Letzten Generation im Berufsverkehr. Die haben ihren Frieden damit gemacht, dass sie für ihren Protest in Haft gehen. Wir nicht.“ Will sagen: Die letzte Generation soll statt Ingo in den Kahn wandern, und er hält sie für blöd genug, sich auf diesen Deal einzulassen. Ich bin deshalb geneigt, den Ingo vom Klimacamp fest in die Arme zu schließen, endlich sind wir mal einer Meinung.

„Im Frühtau zu Berge wir ziehn, fallera“

Die zweite Meldung hat ebenfalls mit der Minimierung von Lebensrisiken zu tun und betrifft neun bestens behütete Grundschüler aus dem romantischen Riedenzhofen unweit von Röhrmoos in Oberbayern. Statt kostenlos mit dem Bus sollen die Schützlinge seit neuestem über einen Feldweg geradewegs durch die Geografie zur Schule nach Röhrmoos laufen, der als offizieller Schulweg nun eine Entfernung von zwei Kilometern unterschreitet. Und das hat Folgen: Gibt es eine solche Möglichkeit, ist der Schulbus nicht mehr gratis, sondern kostet etwa einen Euro pro Tag. „Die Eltern sind schockiert“, vermeldet der Bayerische Rundfunk, angesichts der Zumutung, die in finsterer Vorzeit in dem rechtspopulistischen Wanderlied „Im Frühtau zu Berge“ besungen wurden:

1. Im Frühtau zu Berge wir ziehn, fallera,
Es grünen die Wälder und Höh'n, fallera.
Wir wandern ohne Sorgen,
Singend in den Morgen,
Noch ehe im Tale die Hähne kräh'n.

2. Ihr alten und hochweisen Leut', fallera,
Ihr denkt wohl, wir wären nicht gescheit, fallera.
Wer sollte aber singen,
Wenn wir schon Grillen fingen,
In dieser herrlichen Frühlingszeit.

3. Werft ab alle Sorgen und Qual, fallera
Und wandert mit uns aus dem Tal, fallera.
Wir sind hinausgegangen,
Den Sonnenschein zu fangen,
Kommt mit und versucht es doch selbst einmal.

2023 entspricht dieses Szenario einer lebensbedrohlichen Gefahrenlage für die kleinen Racker, die der BR so beschreibt: „Ein unbeleuchteter Feldweg, der im Winter auch nicht geräumt wird, etwa 500 Meter an Äckern vorbei – und danach über eine vielbefahrene Kreisstraße…. Von Tür zu Tür beträgt der Fußweg etwa 25 Minuten – wenn man nicht durch den Schnee stapfen muss“. Für die Eltern sei dies eine mögliche Gefahrenquelle: „Im Winter müssen die Kinder im Dunkeln den Feldweg entlang. Im Sommer führte der gekieste Feldweg durch zwei hohe Maisfelder auf beiden Seiten“. Man könne sein Kind morgens nicht mit gutem Gewissen diese Strecke entlang schicken. 

Der deutsche Amtsschimmel sieht die Sache ausnahmsweise mal lockerer: Nach der Rechtsprechung sei bei der Beurteilung von Schulwegen auf durchschnittliche Witterungsverhältnisse und nicht auf gelegentliche Erschwernisse durch Eis und Schnee abzustellen. Und dann ist da noch die Sache mit dem nach rechts und nach links gucken, bevor man über die Straße läuft: „Kann der Schulweg mit den Schülern geübt werden und können Gefahrensituationen durch Verhalten des Schülers umgangen werden, so liegt keine besondere Gefährlichkeit vor.“ 

Damit die Kleinen wieder Busfahren können, hat die Gemeinde jetzt 40 Prozent Zuschuss zum Fahrgeld von einem Euro angekündigt. Andere Eltern expeditieren die behütete Brut gleich mit dem eigenen Auto zur Schule. Und jetzt mal eine ganz bescheidene Frage: Wie wärs mit Fahrradfahren? Oh, ist auch zu gefährlich, sagt die Vorsitzende des Elternbeirates: "Bis zur Fahrradprüfung in der vierten Klasse sollen sie jedoch nicht mit dem Roller oder Fahrrad in die Schule kommen“. Ich schlage deshalb ein altes, frisiertes Moped vor. Das vertreibt knatternd auch die letzte Wildsau, die mit ihren Frischlingen im Maisfeld schmatzend auf der Lauer liegen könnte. Ansonsten heißt es einfach Fersengeld geben, das weiß ich aus Erfahrung als Landei und Klassenbester im 50-Meter-Lauf.

„Nach Luft schnappen, Husten und nach Wasser rufen“

Ein bisschen Thrill muss in diesem Alter nämlich sein, wie die dritte Meldung der Woche zeigt: „Hot Chily Challenge: Jetzt greifen die Behörden ein“, warnt der BR. Weiter heißt es: „Immer noch spüren die Lehrkräfte der Grundschule an der Turnerstraße in München Schülerinnen und Schüler auf, teilweise keine zehn Jahre alt, die ,Hot Chips' mitgebracht, an andere weitergeben oder gegessen haben“.

Unter den Beteiligten kursieren extrem scharfe Chips der Marke „Hot Chip“, die als zeitgenössische Mutprobe coram publico eingenommen werden, wobei man sich filmen lässt, um die Grenzerfahrung mit Anderen zu teilen. „In sozialen Netzwerken kursieren Videos von Teenagern, die nach Luft schnappen, Hustenanfälle bekommen und nach Wasser rufen", schreibt der BR, „sie alle haben den ,Hot Chip‘, einen extrem scharfen Tortilla-Chip, gegessen“. Deshalb sei er in Deutschland längst auch „in den Fokus der Behörden gerückt“. Das enthaltene Capsaicin könne gefährliche Nebenwirkungen auslösen, weshalb das „Bundesamt für Risikobewertung“ (BFR) die Sache nun prüfe. 

Ich persönlich empfehle den Kinderchen, die Chips zur Gefahrenabwehr an lauernde Unholde, etwa die Staatsanwaltschaft in Augsburg oder die Wildschweine zwischen Röhrmoos und Riedenzhofen, zu verfüttern. Das toppt garantiert keiner im Challenge. Aber erzählt euren Alten nichts davon.

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten.Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

Jetzt bestellen

 

Foto: Montage Achgut.com/ Drichards CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

C. Dauer / 29.10.2023

Ich halte es da mit Herrn Hopf: „Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Und schwache Männer schaffen harte Zeiten.“ (Wie einseitig maskulin. Das gibt bestimmt Ärger…) Unser Wohlstand und die damit einhergehende Verwahrlosung fallen uns jetzt auf die Füße. Aber vielleicht will unsere Ampelregierung diesen hart erarbeiteten Wohlstand ja deswegen sukzessive abschaffen, um uns vor Schlimmeren zu bewahren. Also hört auf euch zu wehren. Es ist nur zu eurem Besten…

Gisel Schinnerer / 29.10.2023

Danke für das „lachende und weinende Auge“ am Sonntagmorgen, dazu einen „Valentin“ …. Über kurz oder lang kann das nimmer länger so weitergehen, außer es dauert noch länger, dann kann man nur sagen, es braucht halt alles seine Zeit, aber Zeit wär‘s, daß des bald anders wird,

S. Weisser / 29.10.2023

Ausnahmsweise kann Ihnen nicht ganz folgen, zumindest das mit dem Schulweg. Meinen Sie, da hätte man im Falle von Flüchtlingskindern genauso entschieden? Ich meine Nein. In unserem Dorf haben wir jahrelang für eine Erweiterung des Busverkehrs gekämpft, damit auch die Kinder mit Nachmittagsunterricht mit dem Bus nach Hause können. Das wurde immer abgelehnt, zu teuer, rentiert nicht. 2016 wurden dann 40 Flüchtlinge bei uns untergebracht, und siehe da, der Bus fuhr von da an stündlich, damit die Flüchtlinge sich willkommen fühlen. Da waren meine Kinder längst aus der Schule. Die sind übrigens regelmäßig von der letzten Haltestelle im Nachbarort nach Hause gelaufen und das waren mehr als 2 km.!

Gerhard Schmidt / 29.10.2023

Das mit dem “öffentlichen Aufschrei” beim Einfahren von Kilmadeppen sehe ich auch so, dieser könnte allerdings nach “Hurra, endlich sind ‘se weg!” klingen…

Dr. Joachim Lucas / 29.10.2023

Um all diese Dinge wieder in eine deutsche Ordnung zu bringen, gibts eigentlich nur den heiligen deutschen Dreisatz: verbieten - verordnen - regeln. So gehts ja nicht. Diese Weltretter kriminalisieren - denn schon bei den Indianern wurden Geistesgestörte als Heilige angesehen. Dann noch Kinder zur Schule laufen lassen. Diese rückständige Zeit der 60iger ist vorbei. Der SUV von grünen Müttern ist der wahre Fortschritt. Und dass man essen kann was man will, geht auch nicht. Das regelt, sobald er es erfährt, bestimmt der vegetarische Kindergärtner Cem Özdemir mit einer ganz leckeren Hirsegrützen-Schulspeisung als gesundem Ersatz.

A.Schröder / 29.10.2023

Was ist hier ungewöhnlich, wir haben doch Gewaltenteilung. Die einen begehen Straftaten, die anderen haften dafür. Ins wahre Leben übertragegen: Die Politik ist unfähig, korrupt und kriminell, der Bürger steht dafür gerade oder büßt dafür.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Dirk Maxeiner / 12.05.2024 / 06:15 / 47

Der Sonntagsfahrer: Denkmalschützer, rettet die Atomkraft!

Windrad-Betreiber können den „Rückbau" ihres Elektroschrotts vermeiden, wenn sie schlau sind und den Propeller zum Denkmal erklären lassen. Eine echte Steilvorlage für die AKW-Branche! Windmüller ist…/ mehr

Dirk Maxeiner / 05.05.2024 / 06:15 / 128

Der Sonntagsfahrer: Schiffbruch im Oderbruch

Katrin Göring-Eckardt wurde mit ihrem Dienstwagen von der Landbevölkerung stillgelegt. Das findet sie prinzipiell gut, nur nicht bei sich selbst. Im Deutschen gibt es so…/ mehr

Dirk Maxeiner / 02.05.2024 / 14:00 / 26

Schotten dicht für E-Autoflut aus China?

Sind geplante EU-Zölle zu niedrig, um den Dumping-Import chinesischer E-Autos zu stoppen? Oder sollen protektionistische Umwelt- und Sicherheitsvorschriften sie draußen halten? Vielleicht erledigt es aber auch der Kaufunwille der Kunden.…/ mehr

Dirk Maxeiner / 28.04.2024 / 06:15 / 84

Der Sonntagsfahrer: Ich sage nur China, China, China

Der chinesische Geheimdienst weiß in jedem Fall besser Bescheid über deutsche Regierungsvorlagen als der von der Berliner Falun-Gaga-Sekte informierte Wirtschaftsminister.  In Deutschland leben etwa 150.000 chinesische…/ mehr

Dirk Maxeiner / 21.04.2024 / 06:15 / 121

Der Sonntagsfahrer: Fahrverbote und Gesetze, die niemand einhalten kann

EU und Bundesregierung verabschieden immer weltfremdere Gesetze und schreiben Lösungen vor, die es schlicht nicht gibt.  Der sogenannte Klimaschutz wird dabei immer menschenfeindlicher, der Bürger willkürlich…/ mehr

Dirk Maxeiner / 14.04.2024 / 06:15 / 62

Der Sonntagsfahrer: Der Augsburger Gasballon

Augsburg ist eine Stadt von Friedensfreunden. Die schritten vergangene Woche aber zur Generalmobilmachung. Grund: Das Gasnetz soll früher oder später weg. Wenn es um Friede,…/ mehr

Dirk Maxeiner / 07.04.2024 / 06:00 / 119

Der Sonntagsfahrer: Betteln um die Pleite

Trotz der gescheiterten E-Auto-Wende betteln einflussreiche Autohersteller darum, das Verbrennerverbot nicht infrage zu stellen. Die Wünsche der Kunden sind längst egal. Wer hält länger durch? Die…/ mehr

Dirk Maxeiner / 31.03.2024 / 06:15 / 58

Der Sonntagsfahrer: Ich will nachhause telefonieren

Der erhobene Zeigefinger liegt schon länger voll im Trend. Nationalspieler Antonio Rüdiger machte den ET und auch allerhand weitere Berühmtheiten gestikulieren, bis der Arzt kommt.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com