Zum Saisonstart seiner Vorzeigesprechstunde verkündete das ZDF stolz, im vergangenen Jahr sei „Maybrit Illner“ der „Polittalk im deutschen Fernsehen mit den meisten Sendungen und dem besten Marktanteil“ gewesen. Die 41 Sendungen hätten im Schnitt 14,3 Prozent der TV-Zuschauer erreicht – und damit nicht nur den „höchsten Jahres-Marktanteil der vergangenen 21 Jahre“, sondern auch den „Spitzenwert unter den Polittalks im deutschen Fernsehen“.
Bei solcher Reichweite wundert es nicht, dass die Prominenz kommt, wenn Illner ruft. Vergangene Woche waren es unter anderen Bundesgesundheitsminister Spahn, Sachsens Ministerpräsident Kretschmer und SPD-Medizinmann Lauterbach. Gut, der kommt immer, egal, wer ruft.
Thema war, natürlich, Corona. Viren-Mutanten, Lockdown-Verschärfungen, Impfpflicht und so weiter. Das Übliche halt. Die Wortbeiträge bewegten sich ebenfalls im Erwartbaren. Karl Lauterbach sprach sich für Total-Lockdown aus. Jens Spahn wehrte sich gegen den Vorwurf des Impfstoffversagens mit seiner neuen Standardphrase: „Wir haben kein Mengenproblem.“ Es gebe lediglich eine Knappheit zu Beginn. Man wundert sich, warum auf diese originelle Ausrede nicht schon jemand im letzten Frühjahr kam: Wir haben Masken für alle. Nur halt nicht jetzt. Oder: Klopapier ist nicht aus. Es ist nur woanders.
„Die Welt vorher war nicht normal“
Die einzige Überraschung des Abends lieferte die öffentlich-rechtliche Mehrzweckwaffe Eckart von Hirschhausen, Doktor der Medizin, Alleswegmoderierer, Zauberer, Comedian, Bestsellerautor und aktuell Teilnehmer an einer Impfstoff-Studie. Die Illner-Frage, was der Bevölkerung an Lockdown-Verschärfungen „eigentlich noch zuzumuten“ sei, ließ er unbeantwortet. Stattdessen schlug der Witz-Doktor einen großen Bogen. Nach Überlegungen zu sorgfältiger Wortwahl, zum „Solidargedanken“, zu großartigen Jugendlichen, die „im Moment etwas zum Schutz ihrer Großeltern“ leisten, näselte er sich zum ebenso humor- wie faktenfreien Höhepunkt durch (hier ab Min. 47:15):
„Könnte man sich vorstellen, dass die Großeltern dann im Gegenzug, wenn wir durch diese Pandemie durch sind, auch etwas Solidarisches tun? Zum Beispiel nicht Kreuzfahrten machen, nicht sozusagen aufholenden Konsum machen, sondern die viel größere Krise ernst nehmen, nämlich die Klimakrise.“
„Die Pandemie ist für mich ein Zeit- und Energiefresser, die wir – wir bräuchten diese Ressourcen, um die größte Gesundheitsgefahr, nämlich die Klimakatastrophe anzugehen. Und ich habe große Sorge, dass das dann im Nachhinein heißt, ja, jetzt haben wir keine Ressourcen mehr dafür, jetzt müssen wir erst mal alles wieder normal machen. Die Welt vorher war nicht normal, wir schliddern in diesem Jahrzehnt auf die entscheidende Phase zu, in der sich entscheidet, ob Menschen überhaupt auf dieser Erde bleiben können.“
Beim nächsten Talk der Wendler?
„Wir haben 20.000 Hitzetote im letzten Jahr gehabt! Das waren sehr viel mehr sozusagen Übersterblichkeit im Sommer als an Covid. Hat keiner drüber geredet. Wir sind das Land mit den dritthäufigsten Hitzetoten nach China und Indien. Warum kommt das in den Medien nicht vor?“
Aha. Zusammengefasst: Die „größte Gesundheitsgefahr“ für uns ist nicht etwa Krebs, Herzinfarkt oder irgendeine Seuche, sondern „die Klimakatastrophe“. In den nächsten paar Jahren entscheidet sich, ob die Menschheit ausstirbt, weil es möglicherweise in Deutschland so angenehm warm wird wie jetzt in Südfrankreich oder Slowenien. Und überhaupt, unser schlimmstes Problem sind „Hitzetote“ – von denen aber wundersamerweise Südfrankreich oder Slowenien weniger haben als wir.
Seine Untergangsprophezeiung leitete der TV-Kasper ausgerechnet mit der Anmerkung ein, „dass wir natürlich auch mediales Verzerren haben, wenn wir jedem, der die extreme Meinung hat, immer ein Mikrofon vor die Nase halten“. Wohl wahr. Angesichts der Hirschhausen-Darbietung mag sich mancher Gebührenzahler gefragt haben, welchen Extremisten die medialen Verzerrer als nächstes zum Fachgespräch bitten. Attila Hildmann? Xavier Naidoo? Tipp: Der Wendler soll gerade über viel Tagesfreizeit verfügen.
Übrigens, keines der bekannten Medien, die über die Sendung berichteten, schredderte die Aussagen des Klimasektierers, weder die „Frankfurter Rundschau“, noch der „Focus“, das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, der „Merkur“ oder die „Süddeutsche Zeitung“. Im Gegenteil. Die „SZ“ über den Auftritt von Doc Doom: „Der Lichtblick in der Runde ist Hirschhausen".