Quentin Quencher / 01.04.2019 / 17:00 / Foto: Tomaschoff / 15 / Seite ausdrucken

Der Feind ist böse? Nö, er hat einfach nur andere Interessen!

Wir erleben eine Wiederkehr der Gut-Böse-Unterscheidung. Das Urteil des „Jüngsten Gerichts“ wird vorweg genommen. Vom Reich des Bösen wird gesprochen, mindestens gedacht. Dem Gegner wird Hinterhältigkeit unterstellt, sich selbst werden hehre Motive attestiert. Hier die Guten, dort die Bösen, die eigene Moral verhüllt die Interessen, bei sich selbst, wie beim Gegner. Zu akzeptieren, dass auch der Gegner „gute Gründe“ für sein Tun hat, oder zumindest haben könnte, kommt den Kontrahenten nicht in den Sinn. Das Böse wäre ja dann auf einmal nicht mehr uneingeschränkt böse, das Gute nicht mehr gut.

Eine klassische Gegnerschaft, eine, die sich über Interessen beschreibt, die sagt, was sie will und ohne die moralische Gut-Böse-Überhöhung auskommt, wäre immer noch eine Freund-Feind-Konstellation, setzt aber gerade die Interessen in den Vordergrund und nicht die Moral. Ich habe nie geglaubt, dass meine Feinde, früher bei der Stasi beispielsweise, böse Menschen sind. Sie hatten nur ganz einfach andere Interessen als ich. Meine Feinde waren sie trotzdem. Die Freund-Feind-Unterscheidung kommt ohne Hypermoral aus, verlangt aber eine Beschreibung der eigenen Motive, wie der eigenen Interessen.

So glaube ich auch heute nicht, dass meine politischen Feinde böse Menschen sind. Klar verhalten sie sich manchmal hinterhältig, arbeiten mit schmutzigen Tricks; doch das ist normal und gehört zur Natur jedes Kampfes, vor allem dann, wenn dessen Regeln nicht klar definiert sind. Außerdem verhalte ich mich genauso, schon allein die Freude, welche in mir aufkommt, wenn es mir gelungen ist, einen Gegner in einen Hinterhalt zu locken, verrät mich.

Meinem Feind kann ich Respekt zollen

Die derzeitigen politischen Auseinandersetzungen, sei es, wenn es um die EU geht, um Klimaschutz, um Immigration oder was auch immer, gehen aber immer weiter weg von einem Kampf, der sich über Interessen beschreibt, hin zur moralischen Gut-Böse-Unterscheidung. Jeder Unterton, jede Geste – im TV sowieso – drücken Verachtung aus. Von Klimaleugnern wird gesprochen, der Brexit als ein Angriff auf das „gute Europa“ beschrieben und der Trump erst, der Orban, der Höcke, oh je, gar der Putin. Eine Auseinandersetzung um Interessen findet nicht statt, nein, diese werden nicht mal beschrieben, warum auch, schließlich sind die anderen die Bösen.

Das große praktische Problem an dieser Gut-Böse-Unterscheidung ist, dass der Kampf nur mit Sieg oder Niederlage enden kann, während die klassischen, von Interessen geleiteten Freund-Feind-Konstellationen, sich zu Partnerschaften wandeln können. Es ist dann kein Endkampf notwendig, kein striktes Schwarz oder Weiß, kein Richtig oder Falsch.

Die Gruppierung der Menschen in Freund und Feind – Carl Schmitt beschrieb diese Unterscheidung simpel als Politik, als den äußersten Intensitätsgrad von Assoziation oder Dissoziation – mag arg konfrontativ erscheinen, dennoch ist sie human, also moralisch nicht verwerflich, da sie Auswege zulässt. Aus dem politischen Kampf muss keine Gewaltauseinandersetzung werden. Freund und Feind sind somit Bezeichnungen, mit denen sich Politik machen lässt. Anders sieht es bei der Gut-Böse-Unterscheidung aus. Hier gibt es keine Spielräume, das Böse muss vernichtet, mindestens besiegt werden, eine Kooperation ist nicht denkbar.

Seien wir also vorsichtig im Umgang mit unseren Gegnern. Bezeichnen wir sie als „das Böse“, dann lassen wir uns und ihnen keine Wahl, ein Kampf in der Art „du oder ich“ ist die Folge. Um Interessen geht es dann nicht mehr, sondern um Vernichtung. Meinen Feind allerdings, den kann ich achten und respektieren, auch wenn ich seine Interessen und Überzeugungen nicht teile. Ich muss nicht ihn als Person besiegen, kann mich um seine Argumente kümmern und mit ihm streiten. Und wenn wir beide zivilisiert sind, dann geht das sogar ohne Gewalt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Michael Jansen / 01.04.2019

Man hat nur dummerweise den Eindruck, dass gerade diejenigen, die heutzutage meinen, auf der “guten” Seite zu stehen, vor allem von eben dem Interesse getrieben werden die Guten zu sein und durch ihren Kampf gegen die “Bösen” ihre moralische Position erhöhen und ihr Renommee in ihren Kreisen steigern zu können. Es ist dummerweise häufig kein objektiv nachvollziehbares sachliches Interesse in ihren Handlungen erkennbar, wenn sie sich denn über die Folgen ihrer Forderungen überhaupt im Klaren sind. Jedem Propagandisten einer unbegrenzten Zuwanderung sollte klar sein, dass etwa ein Zuzug von vielleicht zehn Millionen kulturfremden unqualifizierten Migranten unser soziales System in jeder Form kollabieren ließe, ein Zustand bei dem er selbst nichts zu gewinnen hätte. Radikale Klimaretter sollten ahnen, dass eine komplette Abwicklung unserer industriellen Kapazitäten den Wohlstand in unserem Land beenden würde, was auch für sie selbst nur negative Folgen hätte. Trotzdem wird zu beiden Themen ein Kampf der vermeintlich Guten gegen die Bösen geführt, die mangels guter Argumente als rassistisch, islamophob, als Klimaleugner oder gleich als Nazis diffamiert werden. Da bleiben doch nur zwei Alternativen in Sachen Motivation. Entweder handelt es sich um eine Kombination aus Dummheit, Weltfremdheit und Naivität, dass tatsächlich die langfristigen Konsequenzen der radikalen eigenen Forderungen nicht erkannt werden und man wirklich meint, die Welt retten zu müssen, oder man vollführt das ganze Theater, um sich im hier und jetzt als Zugehöriger zu den erleuchteten “Guten” zu stilisieren und nahezu gottgleichen Status zu erlangen, man beachte die förmliche Heiligenverehrung der Prophetin Greta. Da bleibt am anderen Ende eben nur noch die Verteufelung der Gegner, Götter diskutieren nicht.

Brandt, Oliver / 01.04.2019

Es hat sich nichts geändert, die Engländer sind pragmatisch und vollziehen mit ihrem Brexit ein neue Variante von “Dünkirchen”. Dabei standen eigene Interessen und der Wille zum Überleben im Vordergrund. Dagegen bleiben die Deutschen halt dogmatisch. Als moralische Hyperventilierer kennen sie wieder keine Parteien mehr, sondern nur sich selbst in ihrer Selbstgerechtigkeit. Sie halten an Ihrer Energie-, Verkehrs, Klima- und was weiß ich- Wende fest, bis Deutschland sein neues “Stalingrad” erlebt. Es geht nicht um Interessen, sondern um den Vorrang des Prinzip. Im Ergebnis haben die Engländer letztlich Dank des churchillschen Pragmatismus den Krieg gewonnen, die Deutschen hoffen wohl, daß nach dem totalen Desaster wieder ein transatlantischer Sponsor den Besserdeutschen als Anerkennung des guten Willens unter die Arme greift.

Volker Derouaux / 01.04.2019

Guten Abend Herr Quencher, eine Hommage an die Vernunft?! Danke

Wolfgang Kaufmann / 01.04.2019

Den legitimen Kampf um Interessen zu einem metaphysischen Kampf um Moral zu machen, ist das Kennzeichen einer infantilen Gesellschaft. Dazu müsste man aber auf die wohlig-warme Selbstüberhöhung verzichten, ein Vertreter der „Guten“ zu sein. – Sich in einem ständigen Ringen mit dem Endgegner zu wähnen, in einem permanenten Ragnarök, ist vielleicht ein Erbe der Reformation, wo in einer Welt voller Teufel jeden Tag aufs Neue das gläubige Bekenntnis gefordert ist. Nun gut, die Folge dieses Bekennerwahns war der Dreißigjährige Krieg. Und wenn wir nicht endlich Fair Play und Common Sense lernen – erzbritische Tugenden –, dann steuern wir geradewegs wieder auf eine ähnliche Katastrophe zu.

Paul H. Ertl / 01.04.2019

Das funktioniert leider nicht, wenn das Hauptinteresse des Feindes die vollständige Unterwerfung seiner Feinde ist. Mit solchen Leuten kann man keine Kompromisse machen, selbst wenn man wollte.

Peter Hamse / 01.04.2019

@Peer Munk: Kleiner Tip: Betrachten Sie die Islamversteher&Co; als übersozialisierte Mitglieder unserer Gesellschaft, die die moralischen Dogmen und Imperative unserer Gesellschaft sehr ernst nehmen. Rassismus, Intoleranz, Umweltzerstörung, Chauvinismus, die Nutzung gefährlicher Technologien, und so weiter, sind in unserer Gesellschaft verpöhnt. Es sind Dinge, die unsere Gesellschaft am besseren Funktionieren hindern, und die gefährlich sind. Die linken Gruppierungen, die Sie genannt haben, bekämpfen diese Dinge. Diese Linken sind in gewisser Weise die Extremisten unserer Gesellschaft, die gegen den Teil unserer Gesellschaft rebellieren wollen, der den moralischen Idealen unserer Gesellschaft am wenigsten entspricht. Die von ihnen beschriebenen Menschen sind Extremisten eines aufgeklärten, freiheitlichen, liberalen, demokratischen, und sozialen Wertekanons, den Sie persönlich wahrscheinlich auch vertreten, weil Sie seit Ihrer Kindheit darauf abgerichtet, aka- sozialisiert wurden. Die Linken wurden jedoch übersozialisiert. Normale Menschen haben auch ihre asozialen Phasen, in denen den Druck abbauen, den unser Regelkorsett erzeugt. Aber die Linken können das nicht. Die können nur für die Ideale unserer Gesellschaft in ihrer reinsten Form einstehen. Der destruktive Eindruck entsteht, weil die versuchen, zu rebellieren, aber die rebellieren halt nicht gegen ihr Regelkorsett, sondern die rebellieren für ihr Regelkorsett.

Dr. Gerhard Giesemann / 01.04.2019

L’enfer, ce sont les autres - die Hölle sind immer die Anderen.

B. Anders / 01.04.2019

Und deshalb haben Politiker und vorallem Medien eine Verantwortung, die Interessen der anderen Seite zu berücksichtigen und nicht leichtfertig Feindbilder zu erschaffen. Ich stimme zu, Feinde gibt es wohl hier und da. Die Beweggründe sollte man immer hinterfragen, genauso Personen, die den Feind als Bösen brandmarken. Das geschieht meist durch fehlende oder falsche Informationen. Aber im Internet-Zeitalter kann man sich (noch) bei verschiedenen Quellen informieren.

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