Henryk M. Broder / 08.02.2016 / 18:51 / 13 / Seite ausdrucken

Der ewige Präsident

Am 3. Februar gab Martin Schulz dem Morgen-Magazin des ZDF ein Interview. Nachdem ich es mir angesehen hatte, war ich so erschüttert, dass ich beschloss es abzuschreiben, damit es sich nicht versendet. So etwas muss für alle Zeiten erhalten bleiben, nachfolgende Generationen sollen sich ein Bild machen können, woran Europa gescheitert ist - am Größenwahn politischer Gartenzwerge, die Andere für ihr Versagen verantwortlich machen und ungerührt nach immer mehr Macht streben.

Hayali: 2015 war ein schlimmes Jahr, sagt der EU-Parlaments-Präsident, sogar das schlimmste seiner gesamten politischen Arbeit. Es passiert aber nicht gerade viel, dass 2016 besser wird. Und damit einen schönen guten Morgen nach Straßburg, Martin Schulz.

Schulz: Guten Morgen, Frau Hayali.

Hayali: Seit Monaten reden wir immer wieder über das Gleiche, über das Gleiche, über das Gleiche. Und passiert ist relativ wenig. Warum gelingt Ihnen der Schutz der EU-Außengrenzen nicht?

Schulz: Weil eigennützige nationale Regierungen ihre merkwürdigen, teilweise sehr nationalistisch geprägten Interessen vor den gemeinschaftlichen Lösungsprozess setzen, Regierungen wie die in Budapest sagen, das ist ein deutschen Problem, da haben wir nichts mit zu tun, sind sehr repräsentativ für mehr als 20 Mitglieder der EU-Mitgliedstaaten, die sagen, mit Europa haben wir nur dann was zu tun, wenn’s Geld gibt. Ansonsten bei der Bewältigung der Flüchtlinge sollen die anderen schauen, wie sie klar kommen. Dieser Prozess der Re-Nationalisierung, also nicht Europa-Politik, sondern nationale Politik..., das ist die Ursache für die Krise. Was ich besonders zynisch finde, ist, dass diejenigen, die diese Krise auslösen, die, die nicht teilnehmen an ihrer Lösung, anschließend hingehen und sagen: Schaut euch mal an, wie schlecht Europa funktioniert. Das ist schon ein starkes Stück!

Hayali: Dann muss man sich schon ein bisschen über Europa wundern oder über die Aussagen, die jetzt aus Brüssel kommen, es gibt nämlich nicht wenige, die jetzt plötzlich Griechenland kritisieren und sagen: Die wollen gar nicht, die nehmen die Hilfe nicht an, die wollen auch nicht mit Frontex zusammen arbeiten, sowohl Griechenland bestreitet das als auch der Frontex-Chef, der gerade bei uns war. Was ist das denn für ein kryptisches Spiel?

Schulz: Griechenland muss sich helfen lassen, das stimmt schon, aber Griechenland will sich auch helfen lassen. Nur eines ist völlig klar, wenn wir die Außen-grenzen in Griechenland besser schützen, wenn wir die Leute besser registrieren, dann sind sie zunächst einmal in Griechenland. Die können aber nicht alle in Griechenland bleiben. Sonst würden wir Griechenland in ein riesiges Flüchtlingslager verwandeln. Die müssen verteilt werden.., die Verteilung funktioniert nicht. Und damit schließt sich der Kreis. Warum funktioniert die Verteilung nicht? Weil mehr als 20 von 28 Mitglieds-staaten sagen, nö, wir nehmen keine. Und das ist das große Problem... Es gibt eine Haltung in der europäischen Union, in manchen Hauptstädten sehr ausgeprägt, in manchen osteuropäischen Hauptstädten, die lautet, das ist ein deutsches Problem. Sollen die Deutschen schauen, wie sie klar kommen. Deshalb hat die Bundesregierung Recht, wenn sie sagt, das ist kein deutsches Problem, ihr müsst alle daran teilnehmen. Wir produzieren eine Krise, die Menschenleben kostet, und das will ich Ihnen auch ganz klar sagen, Sie reden immer, Frau Hayali, von Europa. Reden Sie doch mal von Nationalisten in Europa, die den europäischen Gemeinschaftsgeist in die Tonne kloppen und in Kauf nehmen, dass Menschen im Mittelmeer sterben. Das wäre präziser.

Hayali: Aber Herr Schulz, jetzt sind wir nun als Journalisten diejenigen, die Fragen stellen, und ich glaube, ich stelle Ihnen diese Fragen nun schon zum zehnten Mal innerhalb von fünf Monaten. Noch einmal: Sie sagen immer wieder, wir müssen zusammen sein und zusammen arbeiten, die nationalen Staaten versagen. Wir können gerne noch in den nächsten fünf Jahren darüber reden, aber eine Lösung muss jetzt herkommen, und dafür haben wir keine fünf Jahre mehr Zeit. Deswegen: Sind Sie im Grunde machtlos, macht jetzt jeder, was er will?

Schulz: Ja. Ja, sie haben es genau beschrieben. Wir haben das Europa, das von vielen, manchen ihrer Kollegen übrigens auch, als das Zukunftsmodell angepriesen wird, nämlich weniger Macht, weniger Einfluss für die europäischen Instanzen, mehr Einfluss für die nationalen Regierungen. Das ist exakt das Europa, das wir jetzt haben, das Europa, wo die nationalen Regierungen sagen, wenn es eine Geldverteilungsmaschine ist, die Europäische Union, dann machen wir mit, wenn es aber um die Lösung globaler Probleme geht, dann ziehen wir einen Zaun um unser Land. Und Sie haben Recht: Ich habe die Machtmöglichkeiten nicht, um das zu ändern. Ich hätte sie gerne, weil dann würden weniger Menschen sterben im Mittelmeer. Aber ich unterstütze die Bundesregie-rung dabei, dass sie diesen Kampf nicht aufgibt, weil ich glaube trotzdem, dass wir bei der Kombination verschiedener Überlegungen, nämlich zum Beispiel, wer finanziert eigentlich welche Prioritäten, investieren wir mehr Geld in die Flüchtlingsbewältigung, zum Beispiel in Sprachkurse, in die Betreuung der Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen? Oder machen wir weiterhin die Finanzierung von nicht fertig gestellten Autobahnen in irgendwelchen Regionen, darüber werden wir reden müssen.

Dazu drei Anmerkungen:

Erstens: Schulz sitzt seit über 20 Jahren im Europa-Parlament. Er hat sich mit Ausdauer, Ehrgeiz und Ellenbogen von einem Hinterbänkler zu einem der führenden Politiker der EU emporgearbeitet. Bei der letzten Europawahl 2014 strebte er das höchste europäische Amt an. Der „rote Rheinländer“ (Die Welt) warb für sich mit der Parole: „Nur wenn Sie Martin Schulz wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden.“ Nun wirft ausgerechnet er anderen Nationalismus vor.

Zweitens: Niemand hat Martin Schulz je daran gehindert, innerhalb der Organe der EU für seine Vorstellungen von einem Vereinten Europa zu arbeiten, statt sie in Interviews und Talk-Shows zu verkünden. Dass die EU „nicht fertig gestellte Autobahnen in irgendwelchen Regionen“ finanziert, ist ebenfalls seit langem bekannt und wird neben anderen sinnlosen Projekten regelmäßig vom EU-Rechnungshof gerügt, ohne dass sich an der Praxis etwas ändert.

Drittens: Wenn es jemand gibt, der die EU als „Geld-verteilungsmaschine“ schätzt, dann ist es Martin Schulz.

Als Abgeordneter und Präsident des Parlaments sitzt er in der ersten Reihe und hält beide Hände auf. Zusätzlich zu seinen üppigen Einnahmen von über 200.000 Euro, die sich aus dem Grundgehalt, diversen Pauschalen und Zulagen zusammensetzen, bekommt er ein „Tagegeld“ von etwas mehr als 300.- Euro täglich, völlig unabhängig davon, wo er sich gerade aufhält, in Brüssel oder Straßburg, daheim in Würselen oder beim SPD-Vorstand in Berlin, die ihn zu ihrem „Europabeauftragten“ gewählt hat. Dieses „Tagegeld“ summiert sich im Jahr zu mehr als 110.000.- Euro, die Schulz nicht zu versteuern braucht. Das sind etwa zwei Brutto-Jahreseinkommen eines gut bezahlten Facharbeiters.

Kein Wunder, dass Schulz, dem es immer nur um hehre Ziele geht, gerne etwas länger als geplant im Amt bleiben möchte. Entsprechend einem Abkommen zwischen der Fraktion der christlich-konservativen Europäischen Volkspartei und der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten, die zusammen über eine satte Mehrheit von 412 der 751 Sitze verfügen, wurde Schulz für eine halbe Periode in sein Amt gewählt. Nach zweieinhalb Jahren soll er durch einen Kandidaten der EVP abgelöst werden. „Martin Schulz, der ewige Präsident von Europa“, meldete DIE WELT am 30. Dezember 2015, wolle gerne bis zur nächsten Europa-Wahl im Jahre 2019 im Amt bleiben, um dann noch einmal für „sein eigentliches politisches Lebensziel“ ins Rennen zu gehen, das Amt des Kommissionspräsidenten.

Wenn Schulz nun „eigennützige nationale Regierungen“ angreift, die ihre „nationalistisch geprägten Interessen vor den gemeinschaftlichen Lösungsprozess setzen“, dann vergisst er nicht nur, dass es sich um demokratisch gewählte Regierungen souveräner Staaten handelt, die nicht verpflichtet sind, nach seiner Pfeife zu tanzen, er lässt auch seine eigenen „Interessen“ unter den Tisch fallen und präsentiert sich als ein Idealist, dem es nur um „Europa“ geht.

Ja, der brave Mann denkt an sich selbst – bis zuletzt.

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Leserpost

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Peter Bellmann / 09.02.2016

Realsatire ist, wenn der Dorfschulze in seinem Wahn den Nagel auf den Kopf trifft. Freilich, er hält den Hammer für den Nagel: “Was ich besonders zynisch finde, ist, dass diejenigen, die diese Krise auslösen, die, die nicht teilnehmen an ihrer Lösung, anschließend hingehen und sagen: Schaut euch mal an, wie schlecht Europa funktioniert.” Im ebenso harten wie einseitigen Weltbild des Herrn Präsidentissimo existiert nur DIE eine richtige Lösung, an der alle gefälligst mitzuwirken haben. Nicht überraschend ist, dass dies die sozial(istisch)e Lösung einer alle(s) umarmenden, alle(s) finanzierenden Eingliederung sein soll. Der Gedanke, am deutschen Migrantenaufnahme- und Versorgungswesen solle die Welt genesen, findet tatsächlich - ebenso wie frühere Vorläufer hiesiger Beglückungsvorstellungen - nur überschaubare Zustimmung außerhalb des Landes. Wer hätte es gedacht? Schulzchen jedenfalls nicht. Es liegt folgerichtig außerhalb der Vorstellungswelt einer solchen Person, dass die Aufnahme großer Mengen außereuropäischer Migranten nicht nur eine erhebliche Belastung der hiesigen Staatengemeinschaft darstellt - sondern vor allem eine eigenbrödlerische Handhabung eines weltweiten Problems. Für sozial(istisch) geprägte Moralisten scheint es schlicht ausgeschlossen zu sein, Armutsmigration (zumindest auch) als wirtschaftliche Gefahr und die millionenfache Einwanderung von Menschen mit “kämpferischer” Religion als sozialen Sprengstoff zu begreifen. Anderenfalls wäre nicht zu leugnen, dass ein Problem diesen Ausmaßes sensibel und vorausschauend unter Berücksichtigung aller – gerade auch der nationalen (!)– Interessen angegangen werden müsste. Und dass es hierfür demokratischer Prozesse – z.B. einer handlungsfähigen Legislative – statt exekutiver Alleingänge einzelner Gesinnungstäter bedarf. Allein – es bocken die Fans der Muttikratie. Unter dem Knall der finanziellen Peitsche erheben sie trotzig ihre reichlich schmutzigen moralischen Zeigefinger und fordern in (un)guter alter Tradition Gehorsam. Dieses europäische Verständnis als zynisch zu bezeichnen, trifft vollends zu.

Lars Kruse / 09.02.2016

Waere nur noch zu ergaenzen, dass er auch inhaltlich groben Unfug redet. Schulz: “Nur eines ist völlig klar, wenn wir die Außengrenzen in Griechenland besser schützen, wenn wir die Leute besser registrieren, dann sind sie zunächst einmal in Griechenland. Die können aber nicht alle in Griechenland bleiben.” Nein. Wenn wir die Aussengrenzen in Griechenland besser schuetzten, dann kaemen sie ja erst gar nicht unkontrolliert nach Griechenland rein.

Frank Jankalert / 08.02.2016

Schulz ist wohl auch mit dem Begriff des Grenzschutzes überfordert. Für die meisten Europäer bedeutet das immernoch, illegale Einreisen zu unterbinden, für Schulz und die deutsche SPD anscheinend nicht. Auch Frau Halali meint mit ihrem Fragen etwas anderes, als was man sich normalerweise darunter vorstellen würde.  Sie fragt eigentlich, warum die EU nicht endlich viel mehr Einreisewilllige aus dem Nahen Osten nach Europa holt. Schulz und Halali hocken auf ihren Posten und bedienen ihre eigenen Interessen.

Geert Aufderhaydn / 08.02.2016

Schulz - dieser Kerl, nie demokratisch gewählt vom “europäischen Volk”, hatte doch jüngst in einem TV Feature die Frechheit, zu behaupten: “Ich spreche für 800Mio. Menschen.” !

Thomas Krubeck / 08.02.2016

Der wird gefragt, warum der Schutz der Außengrenzen nicht funktioniert, und gibt Ungarn die Schuld, genau dem Staat, der seine Außengrenzen wirksam zu schützen weiß.

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