Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ist eine der treibenden Kräfte des aktuellen EU-Kurses, der aber zunehmend mit den Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten kollidiert. Auf der Brücke des Brüsseler EU-Tankers scheint mehr und mehr Verwirrung zu herrschen. Wer wird das Schiff im nächsten Jahr übernehmen?
Um zu verstehen, was 2024 auf die Europäische Union zukommen könnte, ist es wichtig, einen Blick auf das vergangene Jahr zu werfen. 2023 war nicht so sehr das Jahr der großen politischen Ereignisse in Europa, sondern eher das Jahr, in dem die Folgen der großen Entwicklungen von 2022 sichtbar wurden.
Das waren natürlich der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die sich daraufhin verschärfende europäische Energiekrise. Sicherlich wurde in diesem Jahr an den Wahlurnen deutlich, dass keines dieser Ereignisse ohne Folgen blieb. Ein berühmter Ausspruch des amerikanischen Top-Investors Warren Buffett lautet: „Man findet nicht heraus, wer nackt geschwommen ist, bis die Flut kommt.“ Das gilt sicherlich auch für die Energiepolitik in Europa, die weitgehend von der EU-Ebene bestimmt wird.
In den letzten 20 Jahren wurden die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre eigene Produktion fossiler Brennstoffe einzustellen und im Gegenteil in sogenannte erneuerbare Energien, insbesondere Wind- und Sonnenenergie, zu investieren. Warnungen von Experten, dass diese Energiequellen eher unzuverlässig sind, wurden weitgehend ignoriert. All dies ging mit einem Ausstieg aus der Kernenergie einher und führte zu einer immer stärkeren Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen. Als sich das Blatt im Jahr 2022 wendete, führten die Sanktionen gegen Russland und die russischen Gegenmaßnahmen zu einer drohenden Gasknappheit in Deutschland, dem Motor der europäischen Wirtschaft.
Die Gasknappheit wurde durch umfangreiche Importe von teurem LNG-Gas gelöst, sodass die Energiepreise für die europäische Industrie dauerhaft hoch zu bleiben drohen. Die Folge ist eine schleichende Deindustrialisierung, wobei der energieintensive Teil der deutschen Industrieproduktion in diesem Jahr stark zurückgeht.
Aus diesem Grund und auch wegen der chaotischen Migrationspolitik muss die rot-grüne Regierungskoalition in Deutschland, zu der auch eine nominell liberale Partei gehört, in den Umfragen schwere Verluste hinnehmen, während die rechtspopulistische Opposition im Aufwind ist. Nächstes Jahr stehen Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an, und zwar genau in der Region, in der die AfD am stärksten ist. Außerdem könnte die AfD bei den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni eine der größten Fraktionen im Europäischen Parlament werden, zusammen mit Marine Le Pens französischem Rassemblement National, das derzeit ebenfalls in den Umfragen hoch im Kurs steht.
Erfolgreiches Jahr für systemfeindliche Parteien
Auch in den Niederlanden hat die herrschende politische Klasse im vergangenen Jahr einen schweren Schlag erlitten. Im Frühjahr gab es zunächst den beispiellosen Sieg der Bauernpartei – bei dem auch der übermäßig strenge EU-Stickstoffrahmen eine große Rolle spielte – und die jüngste Wahl zum Unterhaus könnte Geert Wilders sogar an die Macht bringen. Auch hier spielten europapolitische Entscheidungen – die Energieversorgungs-Experimente und wiederum die Migrationspolitik – eine große Rolle.
In der Migrationspolitik besteht das Hauptproblem darin, dass es auf europäischer Ebene nach wie vor ein Tabu gibt, das Asylverfahren außerhalb des EU-Territoriums zu organisieren, so dass kein Anreiz mehr besteht, Menschenschmuggler einzusetzen. Australien wendet dies seit Jahren erfolgreich an, nachdem ein Abkommen mit Papua-Neuguinea geschlossen wurde. Der Ansatz beendete dort den Tod durch Ertrinken, während auf dem Mittelmeer weiterhin Tausende starben.
Ein Lichtblick ist, dass das Vereinigte Königreich versucht, ein solches System mit Ruanda zu gestalten. In Deutschland ist die christdemokratische Opposition diesem Ansatz zugeneigt, während SPD-Vorsitzende Saskia Esken Asylverfahren außerhalb der EU gerade eine klare Absage erteilte. Im November zeigte sich Kanzler Scholz solchen Plänen noch offen gegenüber. Der Lackmustest wird sein, ob es gelingt, mit Ländern außerhalb des EU-Gebiets entsprechende Vereinbarungen zu treffen, aber das anhaltende Migrationschaos zwingt die europäischen Mainstream-Politiker endlich zu dieser Lösung.
Weitere wichtige Wahlen fanden in Polen statt, wo die regierende PiS-Partei nach Jahren die Macht an Donald Tusk abtreten musste, der trotz der Hoffnungen der Eurokraten nicht die Absicht hat, einer neuen Runde von Machtübertragungen an die EU zuzustimmen, und in Spanien, wo die Mitte-Rechts-Opposition zwar gewann, aber zu knapp, so dass der politisch bequeme sozialistische Ministerpräsident mit Hilfe der katalanischen Regionalisten an der Macht bleiben konnte.
Auf jeden Fall dürfte 2024 ein erfolgreiches Jahr für systemfeindliche Parteien werden. In fast allen Ländern, in denen nationale Wahlen anstehen – Belgien, Portugal, Rumänien und Österreich – werden sie immer beliebter.
Grüne Politik der EU unter Beschuss
Was die „grüne“ Politik anbelangt, so scheint die vorherrschende Unzufriedenheit in Europa bereits Einfluss auf die Politik zu nehmen, auch wenn das Umsteuern des Tankers nur sehr langsam vorankommt. Das Europäische Parlament hat Anfang 2023 noch einem effektiven Verbot von Verbrennungsmotoren bis 2035 zugestimmt, aber bemerkenswerterweise stand die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei, die ideologisch in der Mitte steht, dem schon damals kritisch gegenüber. Im Sommer lehnte die EVP dann das sogenannte europäische „Naturwiederherstellungsgesetz“ ab, eine weitere Runde grüner Regelsetzung.
In beiden Fällen ist es der EVP nicht gelungen, die Gesetzgebung zu stoppen, aber es ist eindeutig ein Zeichen der Zeit. Auch die zunehmend fanatischen Aktionen von „Klimaaktivisten“, bei denen sie sich beispielsweise an öffentliche Straßen kleben, stoßen in einer niederländischen Umfrage bei einer Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung, anders als etwa die Bauernproteste. Der Basis für immer mehr „Klimapolitik“ ist damit wenig gedient, was auch das insgesamt miserable Abschneiden des europäischen „Klimapapstes“ Frans Timmermans bei den niederländischen Wahlen deutlich gemacht hat.
Leider ist es jedoch nicht so einfach, den europäischen Tanker umzudrehen, und sicherlich geht es in der Energiepolitik um langfristige Politik, bei der bestimmte falsche oder richtige Entscheidungen kurzfristig nur schwer rückgängig zu machen sind. Auf jeden Fall scheint sich der politische Konsens vom dogmatischen grünen Narrativ abzuwenden, wovon beispielsweise die Tatsache zeugt, dass die Kernenergie auf der COP28-Klimakonferenz zum ersten Mal überhaupt als Lösung zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen genannt wurde.
Nicht strafender klimapolitischer Ansatz
Auch bei der Förderung fossiler Brennstoffe in Europa scheint sich das Blatt gewendet zu haben, denn Länder wie das Vereinigte Königreich, Italien und Dänemark sind wieder offen für die Exploration von Öl und/oder Gas. In krassem Gegensatz dazu steht die Entscheidung der niederländischen Regierung, die Förderung eines der größten Gasvorkommen der Welt in Groningen trotz hoher europäischer Energiepreise mit der Begründung einzustellen, dass die Anwohner zu stark geschädigt würden. Nur wenige wagten es, dies zu kritisieren und nannten den parlamentarischen Untersuchungsausschuss „selektiv in seiner Wahrheitsfindung“.
Eine grundsätzliche Abkehr von der zentralen grünen Planungsmentalität in der EU ist jedoch noch nicht erfolgt. Vielleicht könnte der alternative Ansatz zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen, der von Mitgliedern der sogenannten „Climate & Freedom International Coalition“ propagiert wird, etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Die Idee dabei ist, das Pariser Abkommen aufzugeben und stattdessen einen internationalen Vertrag zu vereinbaren, bei dem die Länder, die ihn unterzeichnen, in den Genuss von Handelsvorteilen kommen, sofern sie eine klimafreundliche Politik der freien Marktwirtschaft verfolgen.
Dazu könnten „Steuererleichterungen bei der Demonopolisierung“ gehören, wodurch der Verkauf von Monopolanteilen im Energiesektor zwei Jahre lang von der Kapitalertragssteuer befreit wäre. Andere Maßnahmen könnten die Gegenseitigkeit von Steuerbefreiungen für Investitionen in umweltfreundliche Innovationen oder „saubere Steuersenkungen“ sein, die sich speziell auf zwei Sektoren konzentrieren, die für etwa die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sind – den Verkehrs- und den Stromsektor.
Darüber hinaus würde dieser nicht strafende klimapolitische Ansatz auch eine „Liberalisierung der Märkte“ beinhalten, wofür die Regierungen, die diesen neuen Vertrag unterzeichnen, belohnt würden. Dadurch könnten alle konventionellen Energiesubventionen abgeschafft und der staatlichen Einmischung in den Energiesektor ein Ende gesetzt werden, um eine gesunde Dosis an Dynamik einzuführen, die für die Schaffung von Innovationen notwendig ist.
Eine Europäische Union ohne Kompass
Die europäische Politikebene taumelt derweil ohne klaren Kompass vor sich hin. Einerseits gab es in den letzten Jahren Ansätze zur Zentralisierung wie den EU-Konjunkturfonds Covid, der durch gemeinsame Schulden finanziert wird und deshalb dauerhaft zu werden droht. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, liegt die letzte politische Macht immer noch bei den Mitgliedsstaaten.
Dies zeigte sich bereits in der Covid-Krise mit der Schließung der nationalen Grenzen, aber auch in ausländischen Krisen wie dem Krieg in Gaza, wo die Mitgliedstaaten ihren eigenen bevorzugten Kurs verfolgten. Das gilt zunehmend auch für die Haltung gegenüber der Ukraine, wo der unberechenbare ungarische Ministerpräsident Orban seit kurzem einen Verbündeten hat – seinen slowakischen Kollegen Fico.
Nichts hält die Eurokraten davon ab, weiterhin von einer einheitlichen europäischen Außenpolitik zu träumen, mit ebenso einheitlicher Armee, dafür vernachlässigt die europäische Politikebene inzwischen ihre eigenen Kernaufgaben, wie die Öffnung des Dienstleistungsmarktes oder die Erleichterung des Autokaufs in einem anderen Mitgliedstaat, wobei einige Mitgliedstaaten in den letzten Jahren sogar zusätzliche Handelsschranken für Geschäfte innerhalb der EU eingeführt haben.
Als Reaktion auf den US-Protektionismus entwickelt die EU nun ihren eigenen Protektionismus, indem sie nicht nur ihre eigenen Vorschriften für unfaire staatliche Beihilfen lockert, sondern auch ein Instrument schafft, um selbst EU-Beihilfen zu vergeben. Darüber hinaus droht die EU mit altmodischen Handelszöllen auf Stahlimporte, falls die USA dasselbe tun, und hat gerade einen Klimazoll eingeführt, der die afrikanischen Volkswirtschaften mit neuen Zollschranken von bis zu 25 Milliarden Euro belasten wird.
„Ungezügelte Meinungsfreiheit“
Anstatt sich auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen in Europa zu konzentrieren, ist man in Brüssel von der amerikanischen „Big Tech“ besessen. Wenn nicht über die eher einseitige Anwendung wettbewerbspolitischer Regeln, so doch über neue europäische Rechtsvorschriften für Anbieter digitaler Dienste, gehen die EU-Kommissare scharf gegen Plattformen wie Elon Musks Twitter/X vor, wobei ihnen die dort angeblich vorherrschende „ungezügelte Meinungsfreiheit“ und „Desinformation“ ein zusätzlicher Dorn im Auge ist, weshalb die Kommission sie am liebsten eindämmen möchte. Außerdem ist es fraglich, ob europäische Initiativen in diesem Bereich mit dem nationalen verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit vereinbar sind.
Auch die jüngste politische Einigung über ein EU-Gesetz zur Regulierung der künstlichen Intelligenz ist bezeichnend für die Richtung, in die sich die EU bewegt. Seltsamerweise wurde dies kurz danach von keinem Geringeren als dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron scharf kritisiert. Er warnte, dass solche neuen Regeln europäische Technologieunternehmen im Vergleich zu ihren Konkurrenten in den USA und China sowie im Vereinigten Königreich benachteiligen könnten, das seiner Meinung nach keine derartigen Vorschriften einführen würde. Dies könnte eine Lehre für diejenigen sein, die glauben, dass das Vereinigte Königreich nicht vom Brexit profitieren wird, weil es keinen politischen Willen gibt, alte innovationsfeindliche Vorschriften aus der Zeit der EU-Mitgliedschaft abzuschaffen. Dabei erklärte Macron: „Wir können durchaus beschließen, viel schneller und schärfer zu regulieren als unsere Hauptkonkurrenten. Dabei werden wir jedoch Dinge regulieren, die wir nicht mehr selbst herstellen oder erfinden. Das ist nie eine gute Idee.“ Einer diplomatischen Quelle zufolge wird Frankreich daher die vorgeschlagene Gesetzgebung blockieren.
DigitalEurope, der Verband der europäischen Technologiebranche, hat davor gewarnt, dass die EU noch viel mehr solchen Unsinn vorhat. Demnach gibt es auch „andere weitreichende neue Gesetze wie den Data Act“, die „Unternehmen viel Geld kosten werden, um sie einzuhalten, Ressourcen, die für Anwälte ausgegeben werden, anstatt KI-Entwickler einzustellen“.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ist eine der treibenden Kräfte hinter der aktuellen politischen Ausrichtung der EU. Zum neuen KI-Gesetz erklärte sie kürzlich: „Das KI-Gesetz überträgt die europäischen Werte in eine neue Ära.“ Auch beim Thema Klima ist es ihr nie genug. Auf der COP28-Konferenz in Dubai sagte sie: „Bei der Klimafinanzierung müssen wir von Milliarden zu Billionen kommen. Um das zu erreichen, brauchen wir neue Einnahmequellen. Neue Abgaben, grüne Anleihen und natürlich – Kohlenstoff-Bepreisungen.“
Eine der großen politischen Fragen des Jahres 2024 ist, ob die ideologisch links-grüne von der Leyen ein neues Mandat als Kommissionspräsidentin erhalten wird. Die vergangenen fünf Jahre sollten deutlich machen, wie wichtig es ist, eine Person in dieses Amt zu berufen, die mehr Kontakt zur – überwiegend Mitte-Rechts-gerichteten – öffentlichen Meinung in Europa hat, aber ob die europäischen Staats- und Regierungschefs dies ausreichend erkennen, ist sehr fraglich.
Europäische Handelspolitik vom Kurs abgekommen
Zwar hat die Europäische Union lange Zeit nicht viel Energie in den Abbau interner Handelshemmnisse gesteckt, aber in der Außenhandelspolitik konnte sie insgesamt weiterhin Erfolge erzielen. Der Brexit-Deal mit Großbritannien etwa war alles andere als einfach, und man muss sagen, dass die EU auch hier am Ende den nötigen Pragmatismus gezeigt hat.
Das Jahr 2023 war jedoch kein gutes Jahr für die europäische Handelspolitik. Die Gespräche mit Australien sind aufgrund des europäischen Agrarprotektionismus ins Stocken geraten, was auch der Hauptgrund dafür ist, dass es letztlich nicht zu einer Einigung mit dem lateinamerikanischen Handelsblock Mercosur gekommen ist. Ein Lichtblick ist die Verabschiedung des Handelsabkommens zwischen der EU und Neuseeland, doch insgesamt ist dies von begrenzter Bedeutung. Ironischerweise haben es die EU-Mitgliedstaaten auch versäumt, den Handel dort einzuschränken, wo sie es wollten. Der Energiehandel mit Russland zum Beispiel lief trotz aller Sanktionen weiterhin gut.
Eine besorgniserregende Entwicklung in diesem Jahr war die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der EU und den aufstrebenden Handelsnationen Südostasiens, die für Europa angesichts der wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und China eine Alternative darstellen könnten. Auslöser des Konflikts war die neue Abholzungsrichtlinie der EU, die den Importeuren von Palmöl, einem wichtigen Exportprodukt von Wachstumsmagneten wie Indonesien und Malaysia, lästige neue bürokratische Anforderungen auferlegt. Beide Länder reagierten darauf, indem sie kurz vor dem Sommer die Handelsgespräche mit der EU einfroren.
„Sarg der Wettbewerbsfähigkeit“
Der Ansatz des Vereinigten Königreichs zeigt, wie man es besser machen kann. Das Vereinigte Königreich erkennt lokale Programme zur Verringerung der Entwaldung, wie das malaysische Zertifizierungsprogramm für nachhaltiges Palmöl (MSPO), einfach als gleichwertig an, nicht zuletzt, weil die Nichtregierungsorganisation Global Forest Watch Anfang dieses Jahres feststellte, dass Malaysia große Fortschritte bei der Verringerung der Entwaldung macht. Die britische Politik in diesem Bereich war auch einer der Gründe dafür, dass das Vereinigte Königreich als erstes europäisches Land in das transpazifische Handelsabkommen CPTPP aufgenommen wurde, das größte Handelsabkommen für die Briten seit dem Brexit.
In diesem Zusammenhang warnte die ITC, eine gemeinsame Einrichtung der UN und der Welthandelsorganisation, dass das Vorgehen der EU „katastrophale“ Auswirkungen auf den Welthandel haben könnte, da insbesondere kleinere Hersteller Gefahr laufen, vom Marktzugang „abgeschnitten“ zu werden. Der europäische Ansatz ist Teil einer breiteren Bewegung, bei der die EU zunehmend versucht, Handelspartnern bestimmte politische Entscheidungen und Bedingungen aufzuerlegen, die diese natürlich oft nicht akzeptieren. Jüngstes Beispiel ist die neue europäische „Sorgfaltspflicht“-Richtlinie, nach der importierende Unternehmen nicht nur prüfen müssen, ob ihre Lieferanten Menschenrechtsverletzungen begehen, sondern auch, ob sie alle möglichen spezifischen ökologischen Standards einhalten. Laut Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), ist das der „nächste Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“.
2024: Alle Augen auf Trump gerichtet
Eine für die geopolitische Zukunft Europas wichtige Entwicklung wird sich im nächsten Jahr in Amerika vollziehen, wobei die große Frage ist, ob Donald Trump als US-Präsident wiedergewählt wird.
Einige warnen, dass Trump aus der NATO austreten oder die Zusage der USA, die baltischen Staaten vor Russland zu schützen, aufkündigen wird. Wahrscheinlicher ist, dass Trump solche Dinge andeutet, um die europäischen Länder aus dem Schlaf zu reißen und sie dazu zu bringen, ihre eigene Verteidigung endlich ernst zu nehmen. Die Frage ist jedoch, ob Europa das Risiko eingehen will, das Blatt tatsächlich zu wenden.
Für den russischen Präsidenten Putin war das Jahr 2023 eine echte Achterbahnfahrt: Der rasche Vormarsch der privaten Wagner-Söldnerarmee durch Russland im Juni hat Zweifel an der Stärke seiner internen Position aufkommen lassen. Im Gegenzug stärkte ihn die Wende der russischen Kriegschancen in der Ukraine später in diesem Jahr. Dass er dies dank der Aufrüstung der russischen Kriegsindustrie erreicht hat, sollte für Westeuropa ein „Weckruf“ sein, dass nicht Sanktionen – die weitgehend gescheitert sind –, sondern eine starke Verteidigung unsere Sicherheit gewährleisten werden. Bislang herrscht jedoch Selbstzufriedenheit.
Pieter Cleppe war Leiter des Brüsseler Büros des Think Tanks „Open Europe“. Er schreibt regelmäßig für Rundfunk- und Printmedien in ganz Europa und diskutiert häufig über die EU-Reform, die Flüchtlingskrise und die Eurokrise. Der gelernte Jurist war zuvor in Belgien als Rechtsanwalt tätig und arbeitete als Kabinettsberater und Redner des belgischen Staatssekretärs für Verwaltungsreform.