Stefan Frank / 04.04.2019 / 14:00 / 17 / Seite ausdrucken

Das Völkerrecht als Waffe gegen Israel

US-Präsident Donald Trump hat die Golanhöhen als israelisch anerkannt, nachdem Israel 40 Jahre lang immer wieder bilaterale Gespräche über deren Rückgabe an Syrien angeboten hatte. Am meisten empört über Trumps Entscheidung sind die Europäer. Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen hat bei einer von Syrien beantragten Sitzung des Weltsicherheitsrats erklärt, dass er den Golan weiterhin als „syrisches Gebiet“ betrachte. Gleichzeitig, so Spiegel Online, „nannte er es ‚zynisch’, dass die syrische Regierung, die selbst gegen UNO-Resolutionen verstoße, diese Sitzung beantragt habe. Damaskus bombardiere Schulen und Krankenhäuser und setze Chemiewaffen gegen das eigene Volk ein“. Fällt Heusgen nicht auf, dass er, indem er die Golanhöhen zu syrischem Gebiet erklärt, implizit die Forderung aufstellt, dass es der Herrschaft eben jenes Diktators und seiner Komplizen unterstellt werden soll, die für mehr als 500.000 Kriegstote verantwortlich sind?

Die Position der deutschen Diplomatie gegenüber Israel lässt sich ungefähr so beschreiben: Israel muss sich aus allen Gebieten zurückziehen, die es im Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 erobert hat, dann werden die Israelis in Frieden leben können. Wichtig ist Berlin nur der erste Teil des Satzes. Nie hört man aus der deutschen Hauptstadt konkrete Forderungen an die anderen Parteien. In der an Israel gerichteten Forderung stecken zwei Grundannahmen: Die erste ist, dass Israel schuld an dem Konflikt sei und sonst niemand. Darum habe es auch vollständige Macht, den Konflikt zu beenden – es müsse nur genug Konzessionen machen, eine Idee, die längst durch die Praxis widerlegt wurde. Israel hat Konzessionen gemacht, hat sich aus dem Gazastreifen und Teilen von Judäa und Samaria zurückgezogen – bekommen hat es immer mehr Terror und Hass.

Die Uhr zurückstellen, dann kommt der Frieden

Die zweite – eng mit der ersten verbundene – Annahme ist, dass man nur die Uhr der Geschichte zurückstellen und den Zustand vom 4. Juni 1967 wiederherstellen müsse, dann würde Frieden einkehren. Diese Hypothese lässt sich zusammen mit der ersten widerlegen. Was war denn das für ein Zustand, der als so wünschenswert dargestellt wird, dass er in der Welt der Ideen und Mythen, die über den arabisch-israelischen Konflikt existieren, wie das Goldene Zeitalter erscheint?

Der Zeitraum zwischen dem Waffenstillstandsabkommen 1949 und dem Krieg im Juni 1967 war alles andere als friedlich (in dieser Zeit wurden auch die Fatah und die PLO gegründet). Immer wieder verübten arabische Guerillaterroristen – die sogenannten Fedajin – Anschläge auf israelische Zivilisten, und die syrische Artillerie schoss von den Golanhöhen auf israelische Kibbuzim und auf Fischerboote auf dem See Genezareth. „1.300 Israelis fielen zwischen 1949 und 1967 dem arabischen Artilleriebeschuss, militärischen Angriffen und den Überfalltaktiken der Fedajin – ausgebildeten ‚Suizid’-Truppen – zum Opfer“, schreibt der Historiker Howard M. Sachar in seinem Standardwerk „A History of Israel“. „Vier Fünftel dieser Verluste waren Zivilisten (zwei Drittel der arabischen Opfer waren Militärs), und darunter waren viele Frauen und Kinder.“ 1966 kamen im Norden mehrere Israelis durch Landminen ums Leben, die von Syrien aus gelegt worden waren.

Neben der menschlichen Tragödie gab es auch wirtschaftliche Auswirkungen des syrischen Beschusses. Fischerei auf dem See Genezareth war nur eingeschränkt und unter großer Gefahr möglich; dasselbe galt für wichtige Infrastrukturprojekte wie die Trockenlegung der Sümpfe in der Hula-Ebene westlich der Golanhöhen und die Wasserentnahme aus dem Jordan zur Entwicklung des Negev. Die 2017 freigegebenen Protokolle der Sitzungen des israelischen Sicherheitskabinetts zeigen, dass der syrische Beschuss vom Golan Anfang 1967, im Vorfeld des Sechs-Tage-Kriegs, ein drängendes Thema war. General Yigal Allon erstattete folgenden Bericht:

„Wir können es nicht zulassen, dass die Syrer auf unser Gebiet eindringen, ob demilitarisiert oder nicht. Wir können nicht davor zurückschrecken, unser eigenes Territorium zu nutzen. Wir haben für ein oder zwei Monate aufgehört, unsere Felder zu bewirtschaften, weil [UN-General Odd] Bull um Zeit gebeten hatte, ein Abkommen mit den Syrern zu erzielen. Die gaben wir ihm, niemand kann das bestreiten. Es hatte keinen Erfolg. … Je länger wir nicht reagieren, desto frecher wird die syrische Wildkatze werden. So begreift sie das Ausbleiben einer Antwort unsererseits. Heute haben sie auf einen unserer Traktorfahrer geschossen, der auf einer wichtigen Ortsstraße fuhr, die weit entfernt ist von jeglicher demilitarisierten Zone. Die Menschen ziehen dort ihre Kinder groß, und die Syrer lassen sie nicht ihr Leben führen. Je mehr von der falsch verstandenen Mäßigung wir an den Tag legen, desto harscher werden wir später sein müssen.” 

Ägypten und Syrien sagen Nein

Das war am 9. Januar 1967. Diese untragbare Situation war der Grund, warum Israel im Sechs-Tage-Krieg die Golanhöhen erobern musste, unter Inkaufnahme großer Verluste. Und doch bot die israelische Regierung von Ministerpräsident Levy Eschkol schon am 19. Juni 1967 an, im Zuge von Friedensverträgen alle im Krieg eroberten Gebiete, einschließlich der Golanhöhen, zurückzugeben. Die US-Regierung leitete den Vorschlag über die diplomatischen Kanäle an Ägypten und Syrien weiter, beide lehnten ab.

Im Oktober 1973 wurde Israel wieder von Syrien überfallen. Am 6. Oktober überschritten drei syrische Divisionen die „lilafarbene Linie“, die Waffenstillstandslinie, die nach dem Sechs-Tage-Krieg in den Karten der UNO gezogen worden war. Die Syrer hatten fast zehnmal mehr Panzer als die Israelis und kamen bis auf zehn Kilometer an den See Genezareth heran. Der Historiker und Journalist Abraham Rabinovich schreibt in seiner Geschichte des Yom-Kippur-Kriegs:

„Als die Frontlinien unter massiven Angriffen nachgaben, wurde die Nation von existenzieller Angst erfasst. … Ich berichtete als Reporter über den Krieg. Als ich am fünften Tag die Golanhöhen erreichte, war das Schlachtfeld gespenstisch still. Eine zahlenmäßig völlig unterlegene israelische Streitkraft hatte gerade einen syrischen Angriff von fast tausend Panzern gestoppt. Ein Gegenangriff hätte an diesem Tag beginnen sollen, doch die erschöpften Soldaten schliefen ein, wann immer ihre Panzer aufhörten zu fahren.“

772 Israelis und 3.100 Syrer wurden bei der Schlacht getötet. Seither herrscht – abgesehen von der Luftschlacht über dem Bekaatal am 9. Juni 1982 – weitgehend Ruhe zwischen Syrien und Israel. Denn das ist der Schlüssel zum Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn: Israel muss so stark sein, dass niemand sich traut, es anzugreifen. Würde Israel die Golanhöhen an Syrien übergeben, würde Israel nicht nur strategisch enorm geschwächt – die syrischen Truppen stünden wieder am See Genezareth, ohne ein großes natürliches Hindernis, das sie davon abhalten würde, nach Haifa und Tel Aviv zu marschieren –, es wäre auch ein verheerendes Signal an Israels Feinde: dass die Ergebnisse von 1967 rückgängig gemacht werden können. Wenn das möglich ist, dann, so würden sie denken, kann auch das Ergebnis des Krieges von 1948 rückgängig gemacht werden. Und wenn das möglich ist, dann, so würden sie denken, kann auch Israels Gründung rückgängig gemacht werden.

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Leserpost

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Klaus Müller / 04.04.2019

Der hier beschriebene deutsche Standpunkt nähert sich immer mehr dem Standpunkt der DDR zwischen 1967 und 1989

Matthias Braun / 04.04.2019

” Es gibt nur eine Sünde, die gegen die ganze Menschheit mit all ihren Geschlechtern begangen werden kann, und dies ist die Verfälschung der Geschichte.” ( Friedrich Hebbel )

Wolfgang Kaufmann / 04.04.2019

Wenn die Deutschen meinen, mit Soumission den Frieden stärken zu können, ist das die Sache eines dekadenten und lebensunwilligen Volkes. Überall sonst auf der Welt wird ein Angreifer bei einem verlorenen Krieg zu Recht einige Gebiete verlieren, wie es dem Deutschen Reich mit erst Elsass-Lothringen und dann mit Schlesien und Ostpreußen ergangen ist. Da möchte heute auch keiner mehr die Uhr zurückdrehen.

Petra Wilhelmi / 04.04.2019

Als angehender islamischer Staat, können wir uns doch wohl auf keinen Fall für Israel stark machen. Das zeigt nicht nur das Verhalten Deutschlands zu Israel, sondern auch sein Verhalten zum Iran. Wir wollen doch unsere kommenden Brüder nicht verärgern. Wir müssen nur noch den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten lernen.  Sarkasmus aus.

Michael Lorenz / 04.04.2019

Genau darum geht es doch, die Gründung Israels rückabzuwickeln - was auch einem Herrn Heusgen so wie allen anderen Israelfeinden klar sein dürfte. Der entscheidende Unterschied zwischen ihm und einer typischen Kampfstiefel-Glatze ist nur der, dass letzterer wenigstens nicht versucht, so zu tun, als sei er kein Idiot.

Thomas Taterka / 04.04.2019

1. Zur Imagepflege des ” neuen ” Deutschland gehört ( noch ! ) der gehorsame Alibi-Jude. 2. Die Signalwirkung wäre verheerend weltweit : kein Ort wäre mehr sicher für Juden. Morde und Mordversuche würden täglich geschehen. Es gäbe vielerorts keinen öffentlichen Frieden mehr und keine Möglichkeit, ihn wieder herzustellen. 3. Von diesem Schock würde sich dieses Land und Europa auf absehbare Zeit nicht mehr erholen. Das Trauma würde die kulturelle Verunsicherung steigern in absolutes gesellschaftliches Chaos.    

Marcel Seiler / 04.04.2019

Nach meiner Meinung sollten die Israelis auch den Gaza-Streifen übernehmen. Die arabische Bevölkerung dort hat durch permanente militärische Angriffe, Attentate, Raketenangriffe, Brandstiftungen, zivile Morde usw. das Recht verwirkt, dort leben zu dürfen. Arabien ist groß; dorthin sollten sie gehen. Einen echten Frieden wird es andernfalls nicht geben.

Wilfried Cremer / 04.04.2019

Herr Heusgen ist straff eingebunden. Die Gruppendisziplin für die Fraktionen ist erweitert worden, seit Merkel steht man ohne Grenzen stramm.

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