Thilo Schneider / 28.01.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 11 / Seite ausdrucken

Das verfluchte Kettchen

Sehr geehrte Damen und Herren von FengShuiWorldWideUnlimited Ltd.,

hiermit möchte ich das vor 14 Tagen bei Ihrer Firma gekaufte Armband reklamieren. Es funktioniert nicht.

In einem Video Ihrer Firma erzählt eine Mittdreißigerin, deren Mutter bei der Geburt starb und die, bis sie 16 Jahre alt war, von ihrem alkoholsüchtigen Vater verprügelt wurde, bevor sie auf dem Straßenstrich ihre ersten Gehversuche als Jungunternehmerin machte, dass sie einst einem Obdachlosen eine milde Gabe zuteil werden ließ. Dieser bedankte sich mit den Worten, keine gute Tat bleibe unbelohnt. Zwei Tage später, so sagt die Frau, bekam sie anonym ein Päckchen, in dem sich ein Armband befand. Beigefügt war ein Zettel: „Trage dieses Armband, geladen mit positiver Energie, und alles wird gut.“ Sie legte es an und bekam sofort eine leitende Stelle in einem großen Konzern. Dann verdiente sie elend massig Geld, wurde Landtagsabgeordnete der SPD und lernte den Mann ihrer Träume kennen.

Die beiden kauften sich mehrere Sportwagen, eine hübsche Immobilie am Ammersee und eine auf den Malediven, und dann fuhr das junge Glück nach Thailand in den Urlaub. Und da verlor dann die Frau das Armkettchen, und dann ging es steil bergab. Der Mann starb bei einem Unfall mit dem Zweit-Ferrari, die Immobilien brannten aus oder wurden Opfer von unbegründetem Vandalismus, die SPD verlor den Wahlkreis, die Firma ging pleite und die Frau wurde so depressiv, dass ihr sogar eine Rückkehr in ihren alten Beruf unmöglich wurde. Dann telefonierte Ihre Kundin nach eigener Aussage mit einer Freundin, bei der es im Moment wirklich gut lief, und bei einem Besuch sah Ihre Kundin, dass die Freundin das gleiche Kettchen trug, dass ihr einst ihr anonymer Dankschuldner zugestellt hatte.

Und Sie, sehr geehrte Damen und Herren, wurden als Bezugsquelle genannt. Ihre Kundin kaufte dann bei Ihnen ebenso ein Kettchen, wurde Staatssekretärin und bekam viele Kinder und eine Rolex und auch die Sportwagen wieder und hatte sogar einen eigenen Twitteraccount, den sie während der Arbeitszeit nutzen konnte. Sie sah jünger und besser und smarter aus und macht seitdem viel von sich reden. Woran sie wieder dem Kettchen Ihrer Firma die Schuld gibt.

Seit dem Kettchen steht alles auf dem Kopf

Jetzt habe ich bei Ihnen auch so ein Kettchen bestellt und angelegt und seitdem ist der Teufel los. Es ging uns vorher, also bevor ich das Kettchen anlegte, nicht schlecht, aber seit dem Kettchen steht alles auf dem Kopf. Ich wurde in einer 30er-Zone mit 80 Sachen geblitzt, die Lichtmaschine vom Renno hat den Geist aufgegeben und musste ersetzt werden, ich habe eine fette Steuernachzahlung erhalten, die Playstation ist komplett – mit allen Spielständen – abgeraucht und seit ein paar Tagen habe ich Krach mit meiner Frau, weil ich gelacht habe, als sie das enge Kleid anzog.

Der Rechtsanwalt, der mich wegen der Verkehrssache raushauen sollte, ist wegen anderer Dinge selbst in den Bau gewandert, die Katze hat Durchfall, die Kreditkarte wurde gehackt, Facebook hat mich gesperrt und ich habe das Passwort meines WLAN verlegt. Und es sieht nicht so aus, als würde das besser.

Ich sende Ihnen daher das Kettchen zur Überprüfung oder zum Austausch zurück. Vielleicht hat es ja einen Montagefehler oder die positive Energieaufladung wurde nicht ordentlich durchgeführt oder der „altchinesische Meister“ ist in Wirklichkeit Koreaner und hat keine Ahnung, was er da tut. Ich meine, ich hätte jetzt nicht unbedingt mit der Rolex gerechnet und zur SPD will ich auch nicht, aber eine Casio und der Ortsvorsitz bei der hiesigen Arbeiterwohlfahrt hätten es schon sein dürfen. Ich bin auch kein grundsätzlich negativer oder gieriger Mensch, und im Grunde wäre ich schon zufrieden gewesen, wenn es uns ein bisschen besser geht (und der Nachbar aus dem 3. OG links stirbt, weil er ein sehr unangenehmer Typ ist), aber dass sich Katastrophe an Katastrophe reiht, war nicht abgemacht.

Bitte prüfen Sie dyher dys Yrmbynd und lyden Sie es besser yuf oder übersenden Sie mir ein neues Kettchen, dymit ich endlich yuch reich und berühmt werden kynn. Das tyugt doch so nichts. Wys mache ich fylsch? Tryge ich dys Kettchen ym falschen Yrm? Gibt es eine Gebryuchsynleitung?

Sogyr jetzt, wo ich den Brief schreibe, sind plötzlich die „y“ kaputt und werden durch y ersetzt. Es kotzt mich nur noch yn.

Frzstrierte znd enttäzschte Grüße ThS

(Weitere unglückliche Verkettungen des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Scherrer Charles / 28.01.2021

DER Aufyteller der Woche! Bei mir iyt ey day y, way nicht mehr funktioniert, auch ohne Kettchen.

Florian Bode / 28.01.2021

Herr Schneider, das Kettchen wirkt sich nur bei Frauen positiv aus! Da die Weltglücksmenge konstant ist, wird das Glück von den männlichen Trägern abgesaugt und den weiblichen Kundinnen zuteil. Also entweder Rückgabe nach Fernabsatzgesetz oder Ihrer Frau umlegen.

B. Ollo / 28.01.2021

Aber Herr Schneider! Ja, es stimmt, es war im beruflichen Kontext, als sie vom Ex-Botschafter nach kurzer Verspätung mit den Worten begrüßt wurde, “Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“ . Aber nein! Dort war sie mit in Wahrheit weit über 30 Jahren nicht als Prostituierte erschienen, sondern als Staatsekretärin. Zugegeben: Die Empörung angesichts der Begegnung lässt vermuten, dass sich eine der beteiligten Personen oder die Öffentlichkeit die Aufregung nur mit einem solchen Missverständnis erklären konnte. Irgendwer von den Personen, einschließlich sie selbst, muss sie ja für eine Prostituierte gehalten haben, sonst ergibt die Aufregung ja keinen Sinn. Am Ende will es dann wieder niemand gewesen sein. Es bleibt aber natürlich ein Missverständnis. Staatssekretärin - das ist auf den Aufnahmen ganz eindeutig zu erkennen. ... Nicht dafür, ich habe doch gerne geholfen!

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