Gregor Gysi ist einer der einflussreichsten Männer im deutschen Politik-Betrieb. Er gehört zu den Wenigen, die Überblick haben über die undurchsichtigen Vermögenswerte der reichsten politischen Partei Deutschlands, der Linken, auch über verschwundene Millionen und verdeckte Konten, über das verschachtelte System von Beteiligungen, Anlagen und schattenhafter Verbringung. Viel Geld wurde beiseite geschafft beim Untergang der DDR und der gelungenen Transformation ihrer totalitären Einheitspartei in eine Mitwirkende von Merkels Marionettentheater.
Gregor Gysis großes Glück besteht darin, dass im rechten Augenblick die KGB-Akten aus dem Stasi-Hauptquartier in der Normannenstraße verschwunden sind, die Akten der so genannten „Hauptverwaltung Aufklärung“, abgekürzt HVA. Man könnte sagen: Gregor Gysi lebt vom Verschwundenen. Sich auf weitergehende Aussagen einzulassen, ist gefährlich, denn er prozessiert gern. In aller Unschuld. Wie alle Welt weiß, ist er Jurist, überaus wortgewandt, hochintelligent und von berlinischer Schlagfertigkeit. Ich habe miterlebt, wie er 1995 vor einem Hamburger Gericht gegen Bärbel Bohley geklagt und gewonnen hat, weil sie etwas über seine seltsame Rolle im untergehenden, heute in Verkleidung wieder auferstandenen sozialistischen deutschen Staat gesagt hatte, was zwar weitgehend bekannt, aber in dieser expliziten Formulierung schwer nachweisbar war.
Über manches kann Gregor Gysi eisern schweigen, wenn es sein muss, Jahrzehnte lang, „bis ins Grab“, über anderes redet er gern und viel. Zum Beispiel über Israel und Judentum. Obwohl er von beidem so gut wie nichts versteht. Trotz seiner jüdischen Großmutter, die er bei Bedarf ins Spiel bringt. Erst vor einigen Tagen wieder, als ihm Antisemitismus vorgeworfen wurde, nach der Rede im Bundestag über Israel und Pläne zur geplanten, sicherheitspolitisch motivierten Annexion des Jordantals. Er griff dabei auf ein antisemitisches Stereotyp zurück: Juden – in diesem Fall die israelische Regierung – wären letztlich selbst schuld am Judenhass in der Welt. Denn Israels Ruf werde bei Realisierung der Pläne „weltweit noch deutlich negativer. Das trifft ebenfalls weltweit alle Jüdinnen und Juden.“ Die Aussage bildete das Kernstück der auf Moral und Völkerrecht rekurrierenden, dennoch konfus wirkenden Rede des gewieften Advokaten.
Als Anwalt in Ost-Berlin war Gysi an undurchsichtigen Fällen beteiligt, die auch Juden betrafen. Wie war das zum Beispiel mit der Quasi-Enteignung der damals hochbetagten Witwe des Herausgebers der Zeitschrift Weltbühne, Hanna Budzislawski, geborene Levy, deren Erben, Tochter und Enkelin, leer ausgingen? Und welche Rolle spielte dabei der um das Wohl der Juden „weltweit“ besorgte Rechtsanwalt Gregor Gysi? Sicher eine Affäre, über die er weiterhin schweigen wird. Der Journalist Andreas Juhnke hat 1991 in der Zeitschrift Transatlantik darüber eine Recherche veröffentlicht – sie prallte ab an der Beliebtheit der linken Gallionsfigur Gysi. Auch Transatlantik ist inzwischen verschwunden. Nur Gregor Gysi bleibt, der große Redner und Moralist.