Wenn im Frühling 2023 es so geschieht, wie es die Grünen wollen, nämlich dass die AKW „rückgebaut“, also zerstört und unbrauchbar gemacht werden, dann ist das in der Tat ein Atom-Wumms. Der scheint fast unausweichlich.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat das, was er unter Krisen-Politik versteht in letzter Zeit bekanntlich gern gefühlig-infantil kommuniziert. Mit zumindest einem Erfolg. Die Worte: „Unterhaken“, „Wumms“ und „Doppel-Wumms“ bringt wahrscheinlich jeder Deutsche inzwischen mit dem Kanzler in Verbindung. Eine so unterkühlte Vokabel wie „Richtlinienkompetenz“ passt eigentlich nicht so ganz in diese Reihe. Aber mit der soll Scholz „Führung“ gezeigt haben, indem er ein „Machtwort“ gesprochen habe, schreiben einige Kollegen. „Machtwort“ passt ja auch irgendwie ganz gut zum „Wumms“. War also seine Entscheidung zum Weiterbetrieb der drei letzten Kernkraftwerke für ein paar Wochen nun der Atom-Wumms? Zunächst hört es sich nicht danach an.
Wer in seinem Denken nicht von Parteiprogrammen oder anderen ideologischen Barrieren behindert wird, hat wahrscheinlich geglaubt, eine Regierung würde in Zeiten, in denen die Städte wegen der Energie-Krise verdunkelt werden, jede Möglichkeit nutzen, Strom zu erzeugen außer mit Gas, weil ja ein Gashahn zugedreht wurde. Demnach sollten logischerweise auch die restlichen Kernkraftwerke jede Kilowattstunde produzieren, die sie produzieren können. Und dies auch längerfristig, denn die Energiekrise ist nach diesem Winter nicht vorbei.
Doch bekanntlich sehen das die Grünen anders. Sie haben ja schon seit etlichen Jahren eine weitgehende weltanschauliche Lufthoheit im politisch-medialen Raum erobert. Vor elf Jahren hatte das auch die damalige Bundeskanzlerin anerkannt und war auf den Kurs von schnellem Atom-Ausstieg und Energiewende eingeschwenkt.
Doch in der aktuellen Krise haben die vor elf Jahren regierenden Atomaussteiger aus CDU/CSU und FDP den Gedanken geäußert, für die bestehenden drei AKW doch noch ein paar neue Brennstäbe zu bestellen, um sie zwei Jahre lang weiter Strom liefern zu lassen. Die AfD würde sogar gern richtig auf Kernenergie setzen, aber mit der wollen die anderen möglichst auch in keiner neutralen Sachfrage gemeinsam abstimmen.
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag beschlossen, zwei Atomkraftwerke weiter zu betreiben, aber nur bis zum April und ohne Beschaffung neuer Brennstäbe. Danach sollten diese AKW dann möglichst umgehend "zurückgebaut" werden. Die Brücken in die atomare Stromerzeugung sollten schnell abgerissen werden, eine Umkehr oder ein Kurswechsel auf dem deutschen Energiewendeweg unmöglich gemacht werden.
Das kleinste Kompromiss-Karo
Die FDP sah sich nun in einer ungewohnten Rolle gefordert, nämlich Inhalte gegen die grünen Koalitionspartner zu vertreten. Bislang hatte sich die Partei recht geschmeidig in die inhaltlich vor allem rot-grüne Regierung eingefügt. So entstand also eine Koalitionskrise, die man nicht lange ausdiskutieren konnte, denn es muss jetzt entschieden werden, das Atomgesetz zu ändern, sonst gehen die letzten drei Kraftwerke zum Jahresende vom Netz.
Nun war, von dramatischem medialen Trommelwirbel begleitet, der Kanzler gefragt, mit seiner Richtlinienkompetenz, mit dem Machtwort, mit einem Wumms. Und was er dann dekretierte, war kleinstes Kompromiss-Karo. Hätte die Koalition Zeit gehabt, wäre wahrscheinlich genau das Gleiche nach dramatischen Koalitionsausschusssitzungen beschlossen worden.
Die Grünen bekommen den definitiven Atom-Ausstieg im April, weshalb auch keine Brennstäbe mehr beschafft werden. Bis dahin dürfen aber alle drei Kernkraftwerke noch Strom erzeugen und die Deutschen über diesen Winter retten. Was ein Jahr später sein wird, scheint diese Verantwortungsträger nicht zu interessieren. Und wenn dann im Frühling 2023 es so geschieht, wie es die Grünen wollen, nämlich dass die AKW „rückgebaut“, also zerstört und unbrauchbar gemacht werden, dann ist das in der Tat ein Atom-Wumms. Der scheint fast unausweichlich.
Dass im Bundestag neben dem Regierungs-Gesetzentwurf auch über einen Antrag der CDU/CSU zur Laufzeitverlängerung für die letzten Kernkraftwerke abgestimmt wird, mag noch einmal Anlass zu einer interessanten Parlamentsdebatte sein, doch eine Chance auf eine Mehrheit hat er nicht. Die FDP hat ja, nach dem „Machtwort“ des Wumms-Kanzlers schon signalisiert, der Scholz-Linie zustimmen zu wollen.
Die Energieversorgung in diesem Winter werden die Verbraucher teuer bezahlen, aber vielleicht gibt’s ja immer Strom. Wenn das so ist, sollten es die Deutschen genießen, denn wie die Atomkraft-Lücke einen Winter später geschlossen wird, weiß noch niemand. Aber bis dahin sind ja noch ein paar Monate Zeit, in denen sich die selbsternannte Fortschritts-Koalition bestimmt noch etwas einfallen lässt.