Ich hasse diese respektlose Duzerei! Wenn mich nächstes Mal wieder jemand völlig Unbekanntes vom Kundendienst irgendeines Unternehmens forsch-frech am Telefon fragt: “Was kann ich für dich tun?” werde ich antworten: “Als erstes können Sie mich siezen!” Pause. Dann: “Oder habe ich Ihnen das Du angeboten? Kennen wir uns?” Auf der anderen Seite wird dann leichte Verwirrung herrschen, manchmal Zerknirschung, das weiß ich aus Erfahrung. Wenn ich dann leicht erbost frage: “Wie kommen Sie dazu, mich einfach so zu duzen?” folgt regelmäßig ein Gestammel von Firmenphilosophie und Kundenzentriertheit, und das müssten sie alle auf oberste Anweisung der Unternehmensleitung hin jetzt so handhaben… Manchmal mache ich mir den Spaß und verlange den Chef zu sprechen, der ist natürlich noch nie abkömmlich gewesen, und so bescheide ich mich damit, dem Chef bitte auszurichten, wie unerträglich, ja geradezu bescheuert diese plumpe, verlogene, anbiedernde Duzerei ist und dass ich inzwischen zweifele, hier noch weiter Kunde zu bleiben usw. und so fort. Das arme Telefongegenüber kriegt dann aber noch ein Lob für seine Geduld, mich anzuhören, es könne ja auch nichts für diese blöde Firmenphilosophie und müsse sie im Gegenteil ausbaden… Was für depperte Zeiten!
Verschwurbelte Sprache als politische und ideologische Umerziehung ist ja nicht so neu. Ausgedacht von einer lebensverbrämten intellektuellen Nomenklatura, die ihren Hass auf alles Lebensnormale auslebt. Diese Leute steigern sich in ihre Dystopie bis hin zum Fanatismus hinein: unfähig zur Umkehr, unfähig zur Einsicht, unfähig zum Diskurs, unfähig zur Demokratie… Wenige entscheiden für alle funktioniert nur, wenn Kontrolle und Korrektiv funktionieren!
Ich bin erstaunt über einige Kommentare hier. Man mag das Duzen mögen oder nicht aber ich gewinne den Eindruck dass manche glauben das sie, wenn sie auf dem Siezen bestehen, mehr Abstand zum Pöbel halten können. Das ist allerdings eine Illusion. Und das man sogar Bestellungen und Aufträge rückgängig macht nur weil man unverschämter Weise geduzt wurde - so etwas gibt es wirklich nur in Deutschland.
Da ist aber die respektlose Anrede in den USA viel schlimmer. Hier werden ältere Menschen mit sweetie und honey angeredet, was der Inbegriff von Geringschätzung ist. Die Anrede mit Mr. und Mrs. ist schon seit Jahrzehnten in Vergessenheit . Man tut, als kenne man sich seit Jahren. Distanz, was ist das?
Das ungefragte Duzen empfinde ich als Aggression, ausserdem halte ich es für verlogen, weil es eine gemeinsame Basis vortäuscht, die es so nicht gibt. Letzten Endes ist es ein Angriff auf die Privatsphäre, weil es die gesunde Distanz zerstört, die für einen respektvollen Umgang notwendig ist. Etwas völlig anderes ist natürlich das einvernehmliche Duzen, auf das man sich unter Freunden, Nachbarn, Kollegen einigt, nachdem man sich über längere Zeit kennen- und schätzen gelernt hat. Vielleicht bin ich zu empfindlich, weil mich das Duzen an die DDR erinnert. Dort wurde man öfter auf plumpe Weise geduzt, und manchmal habe ich das als bewusste Herabwürdigung empfunden - “Hier bist du kein “Herr”, hier bist du einfach jemand, der nach unserer Pfeife zu tanzen hat.”
Ich gebe zu, dass ich auch etwas “steifer” bin, obwohl ich noch gar nicht soooo viele Jahre auf dem Buckel habe. Wenn mich ein Fremder oder zumindest nicht gut Bekannter einfach duzt, zucke ich erstmal zusammen. Und ich selbst habe auch Hemmungen, jemanden einfach ungefragt zu duzen. Es kommt mir (beides) übergriffig und ein bisschen respektlos vor. Ich bin vor vielen Jahren in der Universitätsverwaltung in Berlin von einer leitenden Mitarbeiterin, die man ruhig als Altachtundsechzigerin bezeichnen kann, geduzt worden. Meine knappe Antwort: “Ich möchte nicht geduzt werden!”. Hat sie dann auch gelassen. Naja, eine Stadt wie Berlin rüttet allerdings unablässig an dieser natürlichen Barriere zwischen den Menschen, viele denken sich nichts dabei. Daran gewöhnen werde ich mich nie. Was soll ich sagen? Ich bin halt ein etwas feinerer Mensch.
Das sog. Ihrzen ist mir in Köln begegnet. Hat mir gefallen! Auf Nachfrage hörte ich, man komme aus der Eifel. Zum Thema gibt es einen interessanten Wikipedia-Artikel: “Pronominale Anredeform”.
Dieses „Du“ kommt mir in vielen Situationen unangemessen, gewollt locker, äußerst künstlich vor. Wieder etwas Nachgemachtes, Kopiertes, Un-eigenes. Es soll wohl Distanz abbauen und wirkt stattdessen eher zudringlich. Man dringt ungefragt in meine Sphäre ein. Wo bleibt der Respekt gegenüber den Älteren? Gut, die Jungen sollen den Älteren ja neuerdings Beine machen. Oma, die Umweltsau und so. Es passt nicht. Wir sind anders sozialisiert worden, anders groß geworden. Doch genau diese jeweiligen Eigenarten will man wohl nivellieren. Einebnen. Passt zu dem Ansinnen, die Nationen abzuschaffen. Alle gleich. Für den Kommerz mag das von Vorteil sein, für das Individuum eher nicht.
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