Chaim Noll / 07.06.2019 / 06:06 / 103 / Seite ausdrucken

Das Dickicht der Denunzianten

Alptraum: Man erwacht eines Morgens wie in Kafkas Erzählung Die Verwandlung, zwar nicht als Insekt, doch als „Rechtsradikaler“. Was Entsetzen bei nahe stehenden Menschen hervorruft, bei Freunden, Kollegen, Geschäftspartnern. Plötzlich gehört man nicht mehr dazu. Ist ein Feind. Und zur Bekämpfung des Schädlings sind alle Mittel erlaubt.

Mir ist in den letzten Wochen genau das passiert. Kritik an der Nahost-Politik eines SPD-Außenministers führte erst zur Ausladung und Absage einer lange verabredeten Veranstaltung durch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, dann, als ich den Fall öffentlich machte, zu massiven Denunziationen. Texte auf der Achse des Guten wurden von der Ebert-Stiftung als Mitarbeit an einem „Forum, dass man mindestens rechtspopulistisch nennen kann“, diskreditiert. Daraus entstand im Verlauf weniger Wochen die Behauptung, ich sei „in der rechtsradikalen, bzw. rechtspopulistischen Szene involviert“, wie mir vor einigen Tagen ein Veranstalter schrieb, der mich eigentlich zu einem Vortrag einladen wollte, nun aber einen Schreck bekam.

Ich kann hier in Israel darüber lachen. Doch viele, die von solchen Verwandlungen in Deutschland heimgesucht werden, können es nicht. Ich weiß nicht, wie oft mir deutsche Besucher inzwischen ihre Sorgen anvertraut haben, sie fürchteten wegen einer abweichenden Meinungsäußerung zum Klimaschutz, zur Migrationspolitik oder zur Einrichtung von Toiletten für ein drittes Geschlecht in Misskredit zu geraten und existenziell geschädigt werden bis zur Entlassung aus ihrer Arbeitsstelle. Inzwischen weiß ich, dass sie nicht übertreiben. Das Denunzieren hat im heutigen Deutschland erneut Konjunktur. Als erinnere man sich nicht mehr, welches Unheil es in zwei deutschen Diktaturen angerichtet hat.

Ein Paradies der Mitläufer, Schweiger und Duckmäuser

Ich muss Angela Merkel den Vorwurf machen, dass sie mit ihrer vorschnellen, inkompetenten Verurteilung von Thilo Sarrazins erstem Buch, vorgetragen 2010 mit dem ganzen Gewicht ihrer Kanzlerschaft, wesentlich beigetragen hat zum Aufkommen des neuen Denunzianten-Unwesens und zur Vergiftung der geistigen Atmosphäre in Deutschland. Eine katastrophale Fehlentscheidung war die darauf folgende Entfernung Sarrazins aus dem Vorstand der Bundesbank, wodurch, von der Kanzlerin initiiert und sanktioniert, der Präzedenzfall geschaffen wurde, dass eine unliebsame Meinungsäußerung eine existenziell schädigende Bestrafung nach sich zieht. So hat sich in den anderthalb Jahrzehnten, seit Angela Merkel Kanzlerin ist, die einst um offene Diskussion, klare Argumentation, kreative Kontroverse bemühte Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zurückverwandelt in frühere Formen, in ein Paradies der Mitläufer, Schweiger und Duckmäuser, in ein Dickicht der Denunzianten.

Angela Merkel hat nie verstanden, was westliche Meinungsfreiheit eigentlich meint. Woher auch? Sie kennt sie nicht. Sie ist in Harmonie mit einer deutschen Diktatur aufgewachsen, dann hinüber geschlüpft in ein anderes geschlossenes System, einen anderen Partei-Apparat, den der West-CDU unter Helmut Kohl. Wo ihre Karriere nahtlos weiterging und sie weiter agierte nach den ethischen Standards ihrer Jugend.

Unter ihrer Herrschaft entstand eine selbsterklärte, konturlose Mehrheit der Mitläufer, die sich auf ein paar Schlagworte einigt, immer und überall zu wiederholen, gebetsmühlenartig, das warme Herdengefühl der Übereinstimmung: „Kampf gegen Rechts“, „Gegen Rassismus“, „Gegen den Klimawandel“. Und so undeutlich, letztlich unbrauchbar das ist, so unbarmherzig wird Erfüllung verlangt. Und jeder denunziert, der Zweifel anmeldet. Die Denunziation „rechtsradikal“ zu sein, kann einen Alt-Linken treffen, ein Jude kann beschuldigt werden, sich mit Nazis einzulassen, eine lesbische Aktivistin kann in Verdacht geraten, die strikten Gebote der „Gender Equality“ zu missachten, ein Energie-sparender Öko-Freak, der gegen Schulschwänzen ist, nicht entschlossen genug „gegen den Klimawandel“ zu kämpfen. Die Vorwände können nichtig sein, entscheidend ist der Wille, die Abweichung zu bestrafen. Das Ende dieses Weges ist bekannt, er führt in die von Orwell beschriebene Gesellschaft des Schweigens, der Selbstunterdrückung und allgemeinen Angst.

Inzwischen schlägt auch die deutsche Wirtschaft Alarm. Denn in einem Land, in dem man die kreative Kontroverse abschafft, das alternative Denken, die intellektuelle Infragestellung, wird es auch nichts mit neuen Technologien und der digitalen Revolution. Da wird gar nichts mehr.

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Leserpost

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Anders Dairie / 07.06.2019

Heinrich MANN hat in “DER UNTERTAN”  den Deutschen beschrieben, der bis zur Entblödung seiner Herrschaft hinterherläuft.  Statt die Vertreter immer mal wieder in den Hintern zu treten.  Beziehungsweise an ihre Pflichten in allen relevanten Ämtern zu erinnern.  Um ein demokratisches Bewusstsein nebst folgender Handlungsweise zu behalten.  Alles was geschenkt-kostenlos wurde, wird nicht mehr geschätzt.  Und alles, was Vorteil verspricht,  kommt zur Verwendung.  So haben in der DDR sage und schreibe 103.000 Hauptamtliche der StaSi gegen Lohn und Privileg gedient.  Sie haben vielleicht 200.000 Spitzel “geführt” und Milli-onen Berichte “ausgewertet”.  10 x mehr als die GESTAPO in einem 5 x größeren Reich.  Danach wurden Politikwege vor- und eingeschlagen… die krachend in den Untergang führten.  Mit riesen Aufwändungen den eigenen Untergang herbeiführen… das ist leider eine deutsche Krankheit !  Das ist es, was uns Angelsachsen bei ihren bis zum Unverständnis führenden demokr. Traditionen seit langer Zeit vorwerfen.  Erinnert wird der BREXIT, dessen Abstimmung nicht wiederholt wird, um das Prinzip Demokratie nicht zu zerschlagen.  Sehr hart und sehr weise !  Während die Wiederholung hier immer neu empfohlen wird.  Herr NOLL, zum Trost:  Sie haben einen Ausweich-Ort.  Alternde , weniger wohlhabende Deutsche haben keinen.  Die alte BRD,  mit ihren vielen “Nazi-Bekehrten” ,  ist leider vergangen. Jetzt kommen die Quexe .

Andreas Rühl / 07.06.2019

Leider ist an dieser Analyse etwas dran. Wie weit das Phänomen aber tatsächlich reicht, weiß man nicht, wäre eine Aufgabe der Forschung. Aber eines folge davon ist unübersehbar. Die Verarmung des Diskurses. Die echokultur. An die stelle sachlichen streites mit Worten und Argumenten ist das aufsagen von Mantras getreten. Taeglich beten in den Medien zumeist unberufen, ungefragt und geistig limitierte Papageien den klimaschutzundsoweiter Rosenkranz. Glaube erzeugt Unglauben. Fanatismus erzeugt Fanatismus auf der anderen Seite. Erasmus hatte viele Jahre gewartet, bevor er luther auf dessen Thesen zur Willensfreiheit antwortete. Warum? Offensichtlich, weil er erkannte, dass luther Fanatiker war. Und damit die Gefahr sah, dass, wer einem Fanatiker widerspricht, selbst zu einem wird. Der Ausweg war, die Thesen Luthers als Thesen zu entlarven, die keinem Beweis zugänglich sind, als, sagen wir heute, eine Meinung unter vielen andern. Damit hat er luther mehr beleidigt als durch blossen Widerspruch. Fanatiker vertragen den Widerspruch, er festigt das Weltbild. Und genau hier liegt das Problem. Die manichaeisierung der Debatten und damit die Vernichtung der Prinzipien der Aufklärung. Schlimm, wenn einer den Arbeitsplatz verliert, noch schlimmer aber, wenn der Fanatismus das Denken blockiert und damit die Vernunft.

Horst Lange / 07.06.2019

Ich kann nur zustimmen. Ich beginne mittlerweile regelrecht psychisch zu leiden, da ich mich der Logik und Vernunft nahe fühle. Doch Aussprechen darf ich es nicht, da ich sonst ggf meinen Arbeitsplatz gefährdet würde. Gemeinnützige Vereine entfernen systematisch Kritiker und Selbstdenker aus Ehrenämtern oder verweigern AfD-Mitgliedern per se die Aufnahme. Dass diesen Verbände oftmals Funktionäre der SED/Linken vorstehen, scheint kein Problem. O ich wünsche mir tatsächlich Neuwahlen und eine kurze Grüne Herrschaft. Sodann haben wir wenigstens die Möglichkeit, diese Krypto-Kommunisten an ihren Taten zu messen und wieder auf die Plätze zu verweisen. Demokratisch, friedlich, so wie es einst gute Sitte war.

Rudolf George / 07.06.2019

Dass Frau Merkel gewisse Aspekte der DDR verinnerlicht hat, die somit zu festen Bestandteilen ihrer Persönlichkeit geworden sind, will ich gerne glauben. Was mir jedoch ewig ein Rätsel bleiben wird, ist wie die deutschen Medien sich freiwillig und ohne erkennbaren Zwang uniformiert auf Aktuelle-Kamera-Niveau begeben haben. Die „Berichte“ zu Merkels Harvardrede waren so peinlich, dass sich sogar ein Stalinhuldiger aus den 50er Jahren geschämt hätte.

Sebastian Weyrauch / 07.06.2019

Es war zwar nicht 1910 sondern 2010, aber unglücklicherweise hat sich an der deutschen Neigung zu bornierten Irrläufen in den hundert Jahren offensichtlich gar nichts geändert. Wenn ich sehe wie Fanatiker sich bei FFF ereifern, grüne Bannerträgerinnen mit fetten Meilenkonto und jeder Menge Urlaubsfotos bei Instagram dem gemeinen Volk bei Markus Lanz ohne mit der Wimper zu zucken das Recht auf Reisen absprechen oder Politiker trotz (oder wegen) völliger Abwesenheit jeglichen technischen Grundwissens die Energieversorgung eines hochentwickelten Industrielandes sabo… äh neu planen, dann kriege ich langsam richtig Angst. Die 25% für die Grünen erscheinen da tatsächlich wie ein kafkaesker Albtraum aus dem man aufwachen möchte. - Es ist schon wieder Zeit über Auswanderung nachzudenken. Dem Umerziehungslager für Klimaleugner sind wir nicht mehr so fern…

B.Kröger / 07.06.2019

Lieber Herr Noll, vielen Dank für Ihren Beitrag! Sie beschreiben genau die Probleme, vor denen Deutschland leider wieder steht. Verordnete Einheitsmeinung an Stelle einer offenen, öffentlichen, kontroversen Diskussion. Wer nur eine Meinung zulässt, sollte nicht von Vielfalt, Diversität sprechen. Wer Denunzianten staatlich alimentiert und fördert, sollte nicht von demokratischem Rechtsstaat sprechen.  Traurig, in Deutschland werden nach wie vor die bekannten Fehler gemacht. Lieber verordnete Einheitsmeinung als demokratische Kontroverse. Aber “mal eben kurz die Welt retten” wollen…..

Matthias Braun / 07.06.2019

” Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ ( George Orwell )

Gabriele Kremmel / 07.06.2019

Zwar dürfte Merkel nicht 1910 sondern 2010 ihr Debüt als Literaturkritikerin gegeben haben, doch mit allem anderen liegen Sie völlig richtig, Herr Noll. Ihr Artikel berührt mich in zweierlei Hinsicht unmittelbar: zum ersten habe ich mich, seit ich kritisch denken kann gefragt, was für Menschen das sind, die im dritten Reich andere denunziert haben - egal wen. Ich war jedoch der Meinung, wir wären inzwischen zu aufgeklärt, gebildet und geläutert, dass sich das widerholen könnte. Zum zweiten habe ich zu Beginn von Merkels Kanzlerschaft das deutliche Gefühl gehabt, in der DDR sozialisierte Politiker (die keine Dissidenten waren) könnten ein Problem werden, da sie Demokratie nicht können (also demokratisches Denken und Handeln nicht verinnerlicht haben) und dieses auch geäußert. Verstanden hat das niemand. Zu meinem und unser aller Leidwesen hat sich meine Befürchtung in einem Ausmaß bewahrheitet, das ich nicht ansatzweise erahnen hätte können. Mit dem, was unter Merkels Regentschaft und mit Hilfe der neuen Medien (Internet, social Media) in den letzten Jahren zu beobachten ist, wurde zumindest meine erste Frage nach dem “wie war DAS damals möglich” hinreichend beantwortet. Rudelverhalten - Denunzieren, Ausgrenzen, Ächtung von Andersdenkenden hat wohl nichts mit Bildung zu tun sondern ist ein archetypischer Wesenszug, der nur geweckt und gesellschaftlich legitimiert werden muss, um Teile einer modernen Gesellschaft dazu zu bringen, ihn voll auszuleben. Das hat Merkel vorbildlich getan. Sie geriert sich als Führerin und Lenkerin und legitimiert Verfassungs- und Rechtsbrüche zum vermeintlich Wohl des Rudels, und schon werden die Rudeltiere zahm und folgsam - und im Sinne des vermeintlichen Rudelwohls aktiv.

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