„Also dein Gedicht...“
Kater Django sieht mich von schräg unten an. Um seine Augen zeichnen sich Augenringe ab, manchmal größer, manchmal kleiner. Kein Wunder, er war die halbe Nacht draußen, jedenfalls bis es anfing zu regnen, dann kam er in mein Bett, um sich zu trocknen. Ich liebe es, wenn ein Wochenende so beginnt. Und dann auch noch seine Bemerkung...
„Was ist damit? Es missfällt dir?“ Der Katz schüttelt den Kopf.
„Nein, nein, es gefällt mir gut. Nur...“
„Raus damit. Ich bin ganz Ohr.“
„Nein, wirklich, es ist geradezu … anrührend. Nur das Timing ging daneben.“
Ich sehe dem Katz tief in die Augen, jedenfalls versuche ich es, denn er hat sie inzwischen geschlossen, so, als denke er nach.
„Welches Timing meinst du, Katz? Es war mein Antidepressivum vom letzten Sonntag, und ich glaube, es war diesmal sogar schon vor Redaktionsschluss abgeliefert. Wovon redest du?“
Der Katz gähnt, dann beginnt er, die Vorderpfoten zu putzen.
„Du hättest es nicht in der Woche abliefern sollen, in der diese großartige Eloge auf eure Herrin der Augenringe in aller Munde war. Du weißt schon, die in dieser Zeitung mit der stark schwindenden Auflage erschienen ist.“
„Du meinst ‚Ich mag, wenn sie ihre Hände zu einer Raute faltet, wenn sie sie im Reden in der immer gleichen Bewegung öffnet und wieder schließt‘?“
„Genauuu.“ Django blinzelt mich an. „Gib zu, es ist schwer, da mitzuhalten: "Sie hat uns Deutschen damit ein Stück ihrer Größe und Würde als Auftrag zurückgegeben."
„Ach was?! Du kannst meine Verse doch nicht mit dem pubertären Lobhudeln auf Liebes-Tagebuch-Niveau vergleichen!“
Der Katz gähnt wieder.
„Inhaltlich natürlich nicht. So etwas könntest du sicher auch...“
Vielleicht noch was mit Tieren?
„Unsere Angela ist alt geworden / die Schultern der Mutti tragen nichts mehr. / Dieses trostlose graue Haar / Einst konnte es eisenharten Widerstand brechen...“ stoppel ich rasch aus der Erinnerung zusammen.
„Ja, schon nicht verkehrt“ nickt der Katz. Vielleicht noch was mit Tieren? „Tiere und Kinder gehen immer.“
„Und durch den Schwarzwald wandert ihre Güte / Und winkt zu sich heran ein scheues Reh...“
„Großartig! Und jetzt zum Höhepunkt!“ Django schaut mich an, als hielte ich ihm eine Scheibe feinste Foie Gras vor die Nase.
„Wenn sich vor Freude rot die Wangen färben / Dankt man dir, Mutti, und sagt nichts als: "Du!" / Ein Rentner flüstert "Mutti" noch im Sterben / Mit ihrer Raute drückt sie ihm die Augen zu.“
„Sehr schön“, nickt der Katz, „jetzt hätte ich gerne einen Becher Quark.“
„Kannst du nicht auch mal etwas Nettes zu mir sagen?“ Ich versuche, Django am Nacken zu packen, aber er ist immer noch nass von der Nacht, und so entgleitet er mir.
„Ich fand dein Gedicht wirklich toll. Ich meine, wer kommt schon auf den Gedanken, in ein und das gleiche Poem Rilke, Walther von der Vogelweide und Wörter wie Thermofensterscheiben, Auslegware sowie ein Synonym für ‚scheißen' zu packen? Und Harold Pinter! Dazu muss man schon ziemlich einen an der...“
„Schnüss!“ Ich werde jetzt doch etwas energisch. „Mag ja sein, dass das etwas unkonventionell ist. Aber keineswegs ohne Vorbild!“
Der Katz rutscht noch etwas näher an mich heran, die Nässe des Regens glänzt mich tückisch an, aber zumindest stinkt er nicht wie nasser Hund. „Erzähl!“
„Sagt dir der Name Loriot etwas?“ Ich blinzle Django von oben herab an.
„Ja, jemand, der sich nach einem Vogel benannt hat und Hunde liebte. Muss ich den kennen?“
„Kommenden Montag könnte er seinen 95. Geburtstag feiern. Die Hunde sind Möpse, und der Vogel war ein Pirol, und wenn du jemals so einen fressen...“
„Früher war mehr Lametta...“
„...ein nirgends sehr häufiger Brut- und Sommervogel, der im Federkleid einen auffälligen Sexualdimorphismus zeigt...“
„Ach was!?“ Ich sehe den Katz durchdringend an, doch er hat die Augen wieder geschlossen und beginnt behutsam zu schnurren. „Loriot war ein Universalgenie. In Deutschland müsste ich wohl niemandem erklären, was er so drauf hatte...“
„...zumindest niemandem, der schon länger hier lebt“ ergänzt Django mit einem ganz leichten Sarkatzmus in der Stimme.
„Richtig. Alle kannten ihn, alle liebten ihn, wenn auch nicht in jungen Jahren. Sein schon damals ausgeprägter schräger, ich würde sagen pythonesker Humor stieß bei Herausgebern von Zeitschriften, Verlegern und nicht zuletzt einer verkniffenen Leserschaft immer wieder auf energischen Widerspruch. Das legte sich mit zunehmender Bekanntheit Loriots, insbesondere durch das noch recht neue Medium Fernsehen. Er wäre im höheren Alter der ideale Bundespräsident gewesen. Jetzt in der Adventszeit wird garantiert allenthalben wieder „Weihnachten bei Hoppenstedts“ ausgestrahlt. Ein Klassiker, aus dem etliche Zitate längst in den deutschen Wortschatz übergegangen sind...“
„Früher war mehr Lametta...“ schnurrt der Katz mit feste geschlossenen Augen.
Ja, früher, denke ich. Ich erinnere mich gut. Sehr gut sogar, was Loriot betrifft. Es muss noch vor Beginn meiner Schulzeit gewesen sein, also vor mehr als 60 Jahren, dass ich zum ersten Mal etwas aus seiner Hand zu Gesicht bekam. Im Haus meiner Großeltern, wo ich ab und an übernachten durfte, gab es zwar kaum Bücher, dafür aber allerlei Zeitschriften und Magazine. Darunter waren dünne Heftchen, die von einer Krankenkasse herausgegeben wurden, und in diesen Heften sah ich zum ersten Mal Zeichnungen, in denen die Menschen auffällige Knubbelnasen besaßen. Ich mochte diese Bilder sehr, hatte aber natürlich keine Ahnung, von wem sie stammten.
Erst Jahre später sah ich dann anderswo solche Zeichnungen wieder, und ich erfuhr, dass sie von einem gewissen Loriot stammten. Und dann plötzlich, es muss in den späten 1960er Jahren gewesen sein, tauchten die Knubbelnasen im Fernsehen auf, und das auch noch in animierten Cartoons, zu deren bekanntesten wohl einige Jahre später die bizarre Begegnung der Herren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner in einer Badewanne gehört, die visuelle Umsetzung von Wilhelm Bendows und Franz-Otto Krügers Sketch „Wo laufen sie denn?“ oder auch „Ich will hier nur sitzen", eine Geschichte, über die viele geplagte Männer vielleicht gar nicht lachen konnten.
Gegensatz von Erhabenheit und Lächerlichkeit
Über Loriot zu erzählen hieße, Pirole nach Mecklenburg zu tragen. Mich haben vor allem stets zwei Dinge an seiner Arbeit fasziniert. Zum einen der in allen seinen Ausdrucksformen – sei es Sketch, Zeichnung oder Cartoon – auftretende Gegensatz von Erhabenheit und Lächerlichkeit. Da sitzen zwei Menschen in einem Flieger eng beieinander und zitieren Rilke, während sie an der Verpackung ihrer Bordverpflegung verzweifeln. Und damit nicht genug, ein Dritter schaltet sich ein. „Kalle und Bonzmeier, Anbaumöbel. Der Juniorchef ist ein Cousin von mir und schreibt auch Gedichte.“
Ein Klassiker auch „Das Bild hängt schief“, in der ein Besucher, Typ Versicherungsvertreter, innerhalb von knapp vier Minuten einen kompletten, bis ins Detail „gestylten“ Salon vollkommen demoliert, begleitet von einer leise im Hintergrund zu hörenden Paraphrase auf Ravels Bolero. Und wer kennt nicht Evelyn Hamanns verzweifelten Versuch, als TV Ansagerin die bisherigen Folgen einer der damals so beliebten englischen TV Serien zusammenzufassen?
Es gibt so vieles aus Vicco von Bülows Werk, das zitiert werden müsste, und ich sehe schon die Waschkörbe voller Zuschriften vor mir, in denen Sie mir tadelnd vorwerfen, ich hätte aber die Steinlaus vergessen, die Weinprobe mit Herrn Blümel („Selbstverständlich abgepackt und originalverkork(s)t von Pahlhuber und Söhne!“), das Jodeldiplom („Da hat man was Eigenes!“), den Kosakenzipfel („ein Mokka-Trüffel-Parfait mit einem Zitronencreme-Bällchen“), den Lottogewinner („Ich heiße Erwin und bin Rentner. Und in 66 Jahren fahre ich nach Island und da mache ich einen Gewinn von 500.000 Mark. Und im Herbst eröffnet dann der Papst mit meiner Tochter eine Herrenboutique in Wuppertal.“), die Nudel („Nein, sagen Sie noch nichts! Es gibt Augenblicke im Leben, wo die Sprache versagt, wo ein Blick mehr bedeutet als viele Worte.“), den Skatspieler („Kennen Sie Schnipp-Schnapp? Das ist auch ein Spiel für drei Personen, da muss man…“), das Frühstücksei („Ich bringe sie um... morgen bringe ich sie um.“), die Kalbshaxe („Sie haben mir ins Essen gequatscht!“), die Bettenprobe („Wir schlafen im Liegen“), die Eheberatung („so ein Braun-Grün-Grau mit einem Stich ins Grünliche"), die Politesse („Ist Ihnen der unbekannte Verkehrsteilnehmer bekannt?“), der Anzugkauf („Er sieht aus wie eine Wurst!“ „Aber nicht schlecht!“) und die Vertreterversammlung („Der Saugblaser Heinzelmann fehlt derzeit in Goslar, Göttingen und Braunlage!“) sowie seine häufigen Karikaturen von Politikern in Wort und Bild („Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal“). Und Loriots Spielfilme („Krawehl, Krawehl!“) müssten ebenfalls einer ausführlichen Würdigung unterzogen werden, und dann natürlich auch seine Masken und seine kongenialen Mitstreiter wie Evelyn Hamann oder Heinz Meier. Doch Sie wollen diese Kolumne ja heute lesen und nicht erst in einigen Wochen...
„Prinzessböhnchen“, „Krausbandnudeln“, „Moosröschen“
Zu den Faktoren, die mir Loriot ganz besonders ans Herz wachsen ließen, gehört sein Umgang mit der Sprache; mit einer Sprache, die ich „originalverkork(s)t“ nennen möchte. Immer wieder tauchen in seinen Texten und Sketchen Begriffe auf, die durch ihren loriotesken Kontext etwas zutiefst Bizarres erhalten. „Prinzessböhnchen“, „Krausbandnudeln“, „Moosröschen“, „kreuzweise verspannte Federmuffen“, „impregnierte Halbzwirnware“, „hüftfreundlich“ „reinschlüpfen“, „Doppelfaden in der Knopflochverarbeitung“, „Beinkleid“ – alle diese Begriffe existieren ja durchaus, erhalten aber in ihrem szenischen Zusammenhang eine ganz und gar gallige Gespreiztheit. Das ist ganz große Kunst, sie beweist Loriots einmalige Fähigkeit zur Beobachtung des Alltags und zur anschließenden Dekonstruktion von Wortblasen und Dummsprech. Dafür lasse ich ihm auch Wum und Wendelin durchgehen.
Mein Lieblingssketch ist das Gespräch Evelyn Hamanns mit dem Horrordarsteller Vic Dorn, in welchem Loriot wie eine Mischung aus Franz Josef Wagner und Ralf Stegner aussieht. „Mein Vater war Kirchendiener in Westfalen, und meine Mutter ist unbekannt“, beginnt Vic Dorn seine Biografie. Rasch merkt der Zuschauer, dass mit dem Mann etwas nicht stimmt. Er zeigt unkontrollierte Zuckungen, hat Angst vor Feuer und möchte seine „fantastische, scheußliche Gesichtsmaske“ nicht ausziehen. Dass Kartoffelpuffer sein Lieblingsgericht sind, reißt das aus der Kurve geratene Gespräch dann auch nicht mehr raus. Zuletzt kommt noch ein wenig Melancholie auf. Warum haben Sie in den letzten Jahren keine Angebote mehr aus Hollywood bekommen?“ fragt die Interviewerin, und Vic Dorn schaut bedröppelt in die Kamera. „Vielleicht bin ich denen einfach zu deutsch.“
Weihnachten bei den Hoppenstedts
Der Lottogewinner
Script von „Das Frühstücksei“
Vertreterversammlung
Vic Dorn
Der Kosakenzipfel
Viele weitere Sketche und weitere Videos von und mit Loriot finden Sie bei Youtube.