Auch wenn es Winter war – für einige Wochen fuhr ich mit dem MG, sofern die Straßen frei waren, ab und an durch die Lande, froh, den Stress mit der technischen Abnahme hinter mich gebracht zu haben und in freudiger Erwartung des Frühlings. Ich kaufte zwar noch ein Hardtop hinzu, das dem Wagen quasi volle Wintertauglichkeit verlieh, allerdings nutzte ich es selten; ich kam mir unter dem festen Dach vor wie ein Tretrollerfahrer mit Integralhelm.
Dann kam Post vom Finanzamt in Namur, der wallonischen Hauptstadt. Post vom Finanzamt bleibt immer erst einmal ungeöffnet liegen. Weitere Wochen vergingen, dann kam wieder Post vom Finanzamt, und ich wusste, nun war es an der Zeit, zu schauen, was dieses denn wohl wolle.
Ich habe, so erfuhr ich aus dem Schreiben, vor geraumer Zeit ein Auto angemeldet. Ja, das wusste ich. Dieses sei aus dem Ausland eingeführt worden. Auch das war mir bekannt. Es stelle daher eine bis dahin im Lande noch nicht existierende Quelle für schädliche Emissionen dar, und dafür müsse ich nun bluten, in Form einer CO2-Strafsteuer. Deren Höhe hinge vom CO2-Ausstoß pro Kilometer ab, ich möge ein vom Hersteller stammendes Dokument vorlegen, aus dem diese Zahl hervor gehe.
Vom Hersteller. Sie ahnen: das war der Beginn einer unschönen Geschichte. Auch ich ahnte das. Ich sah meine Papiere durch, auch das – Sie erinnern sich – so mühsam herbeigeschaffte CoC, doch nirgendwo war ein CO2- Wert aufgeführt. 1998 war CO2 noch nicht erfunden, Hysterie äußerte sich in Bezug auf anderes. In Hongkong brach eine Vogelgrippe aus, Windows 98 kam auf den Markt, Russland erklärte den Staatsbankrott, Falco und Ernst Jünger starben, in Freiburg im Breisgau fand ein Lesben-Frühlings-Treffen statt, ein Comeback von Modern Talking erschütterte die Welt und Pur veröffentlichten eine Platte. In Madrid fiel ein Tor um. Greta Thunberg war noch nicht geboren, und in Europa brauchte noch kein Land für den Unterhalt von Neubürgern aus irgendwelchen noch so an den Haaren herbei gezogenen Quellen viel Geld.
Ich versuchte es noch einmal mit Vernunft
Ich meldete mich per Mail zurück. Aus Mails kann man eingetippte Flüche, Voodoo-Formeln und Verwünschungen beim nochmaligen Durchlesen vor dem Abschicken löschen, aus Telefonaten geht das nicht. Ich sei mir meines schweren Vergehens durchaus bewusst und bedauere zutiefst, dass der Meeresspiegel dank meines Zweisitzers nun vermutlich in naher Zukunft den Hafen von Ostende oder das Casino von Knokke überspülen würde, mit einem CO2-Wert könne ich allerdings nicht dienen, da der Hersteller nicht mehr existiert. Sie mögen doch bitte in ihren Unterlagen über dieses auch in Belgien nicht unbekannte und entsprechend häufig angemeldete Fahrzeug nachschauen, anbei eine Kopie des CoC, in dem alle relevanten Angaben zu finden seien; mit diesen müsste es problemlos möglich sein, die CO2-Produktion beim Verbrennen des Benzins zu eruieren.
Sie ahnen es – damit war man beim Finanzamt nicht zufrieden. Nur eine Bescheinigung des Herstellers werde akzeptiert. Ich versuchte es noch einmal mit Vernunft. Der CO2-Ausstoß ließe sich, sofern man den durchschnittlichen Verbrauch des Wagens kenne (und der war aus meinen Papieren sowie zahlreichen Artikeln in der Fachpresse ersichtlich), mit 2,23 multiplizieren.
Ich hätte mir diese Mail sparen können. Man gebe mir jetzt noch eine kurze Frist, wenn bis dahin der Schädlings-Wert meines Auto nicht vorliegen würde, gebe es zwei Möglichkeiten. Entweder eine Einzelabnahme des Autos oder eine CO2-Schätzung. Die Einzelabnahme werde einen deutlich vierstelligen Betrag kosten, die Schätzung vielleicht nur einen dreistelligen. Ich könne wählen.
Ruhig, Brauner, ruhig. Ich zwang mich, weiterhin nur per Mail und nicht live zu kommunizieren. Besser war das, zudem ich bemerkte, dass meinen letzten Mails bereits der bis dahin eher unterwürfig einsichtige Ton abhanden gekommen war. Der Kontakt zum MG Owners Club ergab nichts wirklich neues, niemand dort hatte jemals für seinen Oldie CO2 Werte nachweisen müssen. Immerhin machte mich der Clubpräsident auf eine Webseite der Europäischen Kommission aufmerksam, in der man, so seine Vermutung, die rechtlichen Hintergründe der Forderung finden könne, sei es zu meinen Gunsten, sei es zugunsten des Finanzamtes.
Beide Richtlinien liegen in 22 Sprachen vor
Ich arbeitete mich Stunden um Stunden durch Dokumente von epischer Länge mit Titeln, die zu wiederholen nicht lohnen, man müsste dazu ein Gedächtniskünstler sein. Aber ich fand schließlich die RICHTLINIE 98/69/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 13. Oktober 1998 über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen und zu Änderung der Richtlinie 70/220/EWG des Ratessowie, in Aktualisierung dieses Papiers, die VERORDNUNG (EG) Nr. 715/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge.
Aus letzterem zitiere ich einen beliebig ausgewählten Absatz, damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, mit was sich unsere Beamten in Brüssel beschäftigen:
„Mit Wirkung vom 1. September 2015, jedoch für Fahrzeuge der Klasse N1 Gruppen II und III und der Klasse N2 mit Wirkung vom 1. September 2016, sehen die nationalen Behörden für neue Fahrzeuge ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigungen für die Zwecke des Artikels 7 Absatz 1 der Richtlinie 70/156/EWG als nicht mehr gültig an, wenn diese Fahrzeuge dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen nicht entsprechen, insbesondere den in Anhang I Tabelle 2 aufgeführten Euro-6-Grenzwerten, und verweigern aus Gründen, die die Emissionen oder den Kraftstoffverbrauch betreffen, ihre Zulassung und untersagen ihren Verkauf oder ihre Inbetriebnahme.“
Beide Richtlinien liegen in 22 Sprachen vor, die erste umfasst 56 Seiten, die zweite 16 Seiten, Format A4, Schriftgröße 8 Punkt. Ich arbeitete mich hindurch, sofern mir das Kopf-auf-den-Tisch-Knallen nicht allzu üble Schmerzen bereitete, und das Ergebnis war eindeutig: Mich bzw. mein Auto ging das alles nichts an, beide waren wir älter als die Richtlinien.
Für gutes Geld, aber mit Wasserzeichen im Papier
Ich wagte erneut einen Einspruch und erhielt die selbe Antwort wie zuvor: amtliche Bescheinigung oder Prüfung bzw. Schätzung. Verweise auf die technischen Daten in allenthalben online zu findenden Verkaufsangeboten für MGF, die zwar jünger waren als meiner, technisch aber kaum verändert als Referenz für meinen CO2 Ausstoß genommen werden konnten, wurden konsequent ignoriert. Ich kündigte für den Fall einer unverhältnismäßigen Schätzung eine gerichtliche Auseinandersetzung an, ja, ich dachte daran, den MG dem Vorbesitzer in Holland zum erneuten Verkauf hinzustellen, er durfte meinetwegen die Hälfte des Erlöses behalten. Das könne ich nicht, klärte mich mein Versicherungsmann auf, ich solle doch mal auf meinen früheren KFZ-Brief schauen, da sei ein Stempel „Ausgeführt nach Belgien“. Ich müsse den Wagen dann erst wieder in die Niederlande einführen und ob ich eine Vorstellung davon hätte, mit was das.... Ja, die hatte ich.
Einmal wollte ich mich abends in den Wagen setzen und in das nicht weit entfernte Würselen fahren, ein Ort, der außer für sein defizitäres Spaßbad noch für einen prominenten Einwohner (und Initiator dieses Millionengrabes) berüchtigt ist und diesem sein Europageschwätz um die Ohren hauen, doch hatte ich mit Laphroiag vorgeglüht, was mich das Fahren fahren ließ.
Dann entdeckte ich meinen grundsätzlichen Fehler. Für die erste Nervenprobe mit dem CoC Papier war das Verkehrsministerium zuständig gewesen. Nun aber war das Finanzministerium am Zuge. Und dem war völlig egal, ob die CO2-Werte aus technischer Sicht bei meinem Oldie nicht relevant waren. Das Finanzamt rechnete mit dem Ist-Zustand: das Auto ist neu in Belgien und hat CO2-Ausstoß, und die Strafe für seine Inverkehrbringung ist daher zu erbringen. Auf die alten Erlasse und Richtlinien und deren Zutreffen für meinen MG konnte ich pfeifen. Die kümmert das Finanzamt, das musste ich anerkennen, nix. Vertane Lebenszeit, sich damit zu beschäftigen. Wer CO2 besteuert, hat das Geld dringend nötig. Punkt.
Doch natürlich war ich nicht bereit, eine – vermutlich schikanöse – Schätzung oder eine den Kaufpreis des Autos erreichende „Steuer“ zu errichten. Und da fiel mir das Notariat in England wieder ein, das mir seinerzeit das CoC hatte zukommen lassen, zwar für gutes Geld, aber mit Wasserzeichen im Papier. Ich kontaktierte Albion. Leider, so teilte ich den Herren mit, fehle in dem CoC eine Angabe über den CO2 Ausstoß, die sei aber dringend erforderlich, sonst käme ich nämlich persönlich auf die Insel, und das entweder per Landungsboot oder per Flieger und Fallschirm.
Das kostbare Dokument nicht der belgischen Post anvertrauen
Die Antwort kam prompt und enthielt eine schlechte und eine gute Nachricht. Für meinen Wagen aus dem vorigen Jahrhundert sei eine CO2 Angabe noch nicht notwendig gewesen, daher sei die auch nicht in meinem CoC aufgeführt worden. Man könne mir aber – die technischen Werte lägen vor – eine extra Bescheinigung ausstellen, in welcher meinem durch die Fahrgestellnummer klar definierten MG die von ihm ausgestoßene Giftmenge attestiert wird. Natürlich auf offiziellem, wassergezeichneten Papier der Firma MG sel. .
Begeistert orderte ich das Dokument, das ich wenige Tage später in Händen hielt. „To whom it may concern...“ Umgehend informierte ich das Finanzamt davon: Ich hätte nun endlich die verlangte Bescheinigung erhalten, wolle die aber nicht aus den Händen geben, daher würde ich sie persönlich vorbei bringen....
Es mag Gründe geben, mich nicht persönlich vor sich zu haben, erst recht nicht nach einer solchen Vorgeschichte. Dabei führte ich absolut nichts im Schilde; es ging mir wirklich nur darum, dieses kostbare Dokument nicht der belgischen Post anzuvertrauen. Umso erstaunter war ich dann über die Nachricht, eine per Mail übersandte Kopie des Papieres würde genügen. Das enthob mich einer schadstoffreichen Fahrt durch die Wallonie; ich scannte das Papier und richtete dazu den Scanner so ein, dass man sogar das Wasserzeichen erkennen kann. Ab die Post!
Dies ist inzwischen sechs Wochen her, seitdem habe ich nichts mehr vom wallonischen Finanzministerium beziehungsweise einer seiner Außenstellen gehört. Nicht, dass ich drängeln würde, aber man will ja schon das Thema abhaken können. In der Hoffnung, dass sich nicht weitere Ministerien mit Forderungen melden. Sollte also demnächst eine Aufforderung zur Entrichtung einer Strafe für die Einfuhr des MG nach Belgien bei mir eintreffen, werde ich dieser natürlich Folge leisten. Vorausgesetzt, die Höhe der Forderung wurde aus den tatsächlichen Werten errechnet und nicht aus denen eines Hummer oder Marauder.
Falls allerdings nicht, lesen Sie es hier an dieser Stelle. Oder in der Zeitung.