Ludwig Hirsch. „Geh spuck den Schnuller aus“

"Ich will die Leut' hinterfotzig in den Hintern zwicken, ihnen dabei aber schön mit den Geigen um die Ohren schmieren." So erklärte Ludwig Hirsch den Gegensatz zwischen seiner oft glatten, manchmal kitschigen Musik voller Streicher und den dazu gesungenen, makaberen bis schmerzhaften Texten, in denen die Omama eben nicht die herzensgute Frau war. Heute vor 10 Jahren ist der Liedermacher und Schauspieler von eigener Hand gestorben, keine zwei Tage nach dem anderen Wiener Schwarzkünstler Georg Kreisler.

So kann es kommen – du denkst, es ist alles gesagt, auch von dir, und da sitzt da auf einmal ein großer schwarzer Vogel auf deinem Mauspad und sagt nur ein Wort: „Hirsch.“

„Ja“ denkst du, „Hirsch wie Ludwig; klar, dass der dir in den Sinn kommt, wenn du an den Kreisler denkst.“ Und dann haben auch noch Leser ihn erwähnt, den „typischen Wiener“, der gar kein Wiener war, sondern ein Ost-Steiermarker. Doch Hirsch ist Hirsch und Kreisler ist Kreisler, was gäbe es so ganz ohne Anlass über Ludwig Hirsch zu erzählen, wo wäre ein aktueller Bezug?

Und dann schaue ich unter „Ludwig Hirsch“ nach, und was finde ich? Keine zwei Tage nach dem Kreisler, am 24.11.2011, ist der Hirsch gestorben! Also heute vor 10 Jahren. Kann das Zufall sein? Ich weiß es nicht, nur was ich weiß: Es war noch nicht alles gesagt. Nicht mal von mir.

Ja, jetzt war sie tot, die Omama

Was verband, was verbindet Hirsch und Kreisler? „Der eine war ein Ruheloser, der andere ein Ruhiger“ heißt es in einem Nachruf auf sie beide. „Der eine sang laut mit rollendem R zu polterndem Klavierspiel, der andere mit einer Märchenonkel-Stimme am liebsten zur Gitarre, gern von Geigen umstrichen oder Hammond-Orgeltönen umschmalzt.“  Auch nicht gerade verbindend. Doch dann die Auflösung: „Aber beide schrieben sie bitterböse tiefschwarze Lieder.“ 

Der Nachruf, zu finden auf einer Trauerseite im Internet, ist leider nicht gezeichnet, was ich sehr bedauerlich finde, denn er enthält alles, was in einen Nachruf über Kreisler und Hirsch gehört, und der Autorin („eine katholisch erzogene, brave Klosterschülerin“, so wenig erfährt man von ihr) wäre es geschuldet, sie namentlich zu nennen. Auch, weil sie so beeindruckend erzählt, wie sehr die bösen Lieder und Texte der beiden Misanthropen ihre eigene Weltsicht reifen ließen. „Ich lebte in einer Welt, in der wir “Herr deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ [...] zu unserem Gitarren-Geschrumme gesungen haben, aber sicher nicht “Tauben vergiften im Park“. 

Heimlich, vor den Eltern verborgen, wurden Hirschs bitterböse Lieder gehört, „Geh spuck den Schnuller aus“, „Das Geburtstagsgeschenk“, „Die Omama“:

Wie ich klein war, hat's mir einegstopft die Knödln,
hat's glauert mit dem Pracker in der Hand;
hat's mir auch umdraht schon den Magen,
es war ihr wurscht, sie hat mi gschlagen,
so lang, dass i schon angfangt hab zum Beten:
Lieb Jesukind, laß d'Oma doch verrecken.

Ja, jetzt war sie tot, die Omama, und dem Ludwig taten die Füße weh vom langen Stehen am Grab, während der Pfarrer davon schwadronierte, welch herzensguter Mensch sie doch war. Ja, das war sie – dem Führer hat sie sogar verziehen, dass der Opa im Krieg blieb. „Er hat ihr ja das Mutterkreuz verliehn.“

Ludwig Hirsch wurde 1946 geboren, er wuchs in Wien auf, studierte zunächst Kunst und ging dann auf eine Schauspielschule. In Regensburg stand er 1973 erstmals auf einer Bühne, danach unter anderem in Wuppertal und Hamburg, ehe es ihn zurück nach Wien zog. 1978 erschien seine erstes Album, es trug den Titel „Dunkelgraue Lieder“. Das Lied „Komm, großer schwarzer Vogel“ von der Nachfolgeplatte, durfte im österreichischen Radio nicht nach 22 Uhr gespielt werden – die Verantwortlichen beim Sender fürchteten, es könne Hörer dazu bringen, sich zu entleiben. 

Komm großer schwarzer Vogel, komm zu mir!
Spann' Deine weiten, sanften Flügel aus
und leg's auf meine Fieberaugen!
Bitte, hol' mich weg von da!

Die Post brachte eine 5,50-Schilling-Briefmarke

Viel geliebt und geehrt wurde er, der Ludwig, mit einigem Stolz konnte er auf über 20 Platten und hunderttausende von Zuschauern und -hörern blicken. Er sang nicht nur; er spielte auf der Bühne (Jedermann, Einen Jux will er sich machen, Was ihr wollt) und vor der Kamera (Kommissar Rex, Tatort, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk). Anders als beim Kreisler war Österreich stolz auf ihn, die Post brachte eine 5,50-Schilling-Briefmarke mit seinem Bild heraus, es gab diverse Medaillen und Ehrenorden, und man zeichnete ihn mit dem Amadeus Austrian Music Award, dem bedeutendsten österreichischen Musikpreis, aus. Und bei Ö3, wo man einst seinen großen schwarzen Vogel nicht spielen mochte, moderierte er später eine eigene Sendung. Ja, und seit 2017 gibt es in der Wiener Leopoldstadt einen Ludwig-Hirsch-Platz („... ideal um eine Pause zu machen. Bier und Pferdeleberkässemmel gibt es um das Eck am Karmelitermarkt“.)

Ich gestehe, zu seinen Lebzeiten war ich nicht wirklich ein Fan von Ludwig Hirsch, zu süßlich war mir oft seine Musik, und die Texte nahm ich kaum bewusst wahr. Dass es genau dieser Gegensatz zwischen Melodien für Millionen und Texten für Melancholiker war, die den Liedern ihre besondere Kraft war, verstand ich erst später, als ich bereit war, Ludwig Hirsch mein Ohr zu leihen. Dann aber hatte er mich sofort.

Wie zwei Tage vor ihm Georg Kreisler, starb auch Ludwig Hirsch in einem Krankenhaus. Während Kreisler mit 89 in Salzburg die Augen schloss, beendete Hirsch mit 65 sein Leben von eigener Hand im Wiener Wilhelminenspital und kam so einem nahenden, unvermeidlichen Krebstod zuvor. Dass ein Schwerkranker sich nach dem Tode sehnt, hatte er ja schon mit dem Lied vom Großen Schwarzen Vogel drei Jahrzehnte zuvor thematisiert. Heute vor 10 Jahren hat er diese Sehnsucht für sich selber gestillt, indem er sich früh morgens so weit aus dem Fenster seines Krankenzimmers lehnte, dass er sich den Schwingen des Vogels anvertrauen konnte.

Komm großer schwarzer Vogel,
jetzt wär's grad günstig!
Die anderen da im Zimmer schlafen fest
und wenn wir ganz leise sind,
hört uns die Schwester nicht?
Bitte, hol mich weg von da!

Ob jetzt alles gesagt ist, sogar von mir? Ich hoffe. Ich traue mich nicht, nach weiteren Lebensdaten zu schauen. Qualtinger. Sowinetz … Eigentlich schreibe ich gerne Nekrologe, an meinem eigenen sitze ich seit Jahren, mit zunehmendem Vergnügen. Aber es sollte sich nicht allzu sehr häufen. Auch nicht in der Rückschau. 

 

Ludwig Hirsch – Die Omama 

Ludwig Hirsch – I lieg am Ruckn

Ludwig Hirsch – Dunkelgraue Lieder 

In Memoriam Ludwig Hirsch Gala Volkstheater Wien 2012 

Ludwig Hirsch ist tot – ORF Nachruf  

 

Foto: Manfred Werner /Tsui CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Franck Royale / 24.11.2021

Ich machs kurz, ist ja gleich Sperrstunde: schön, wieder was von Ihnen zu lesen, Herr Bechlenberg.

Manni Meier / 24.11.2021

@Hans Hintzenstern “Guten Tag Herr Bechlenberg! ..., mir scheint , Sie sind eine berühmte Persönlichkeit. Ich traf vor zwei Tagen erstmals ... auf Sie. Ja, Sie schreiben interessant und anders, als häufig anzutreffen ist.  ... Sie sind ein angenehmer Erdenbürger!” Stimmt ja alles, ist ja alles richtig, Herr Hintzenstern . Aber ‘nen bißchen “schwierig” ist der Herr Bechlenberg schon. Man weiß nie wann er schreibt und ob er überhaupt noch schreibt. Naja, Künstler halt ;-)

Thomas Taterka / 24.11.2021

@Archi W. Bechlenberg - Sie sprechen wie ein wahrer Aktionär . Ich werd’ mir mal ‘ne Flasche von dem Zeug besorgen, aber nicht, bevor mein “Macallan - Schrein” leer ist ( das kann noch einige Herbstmonde , japanisch gesprochen , dauern ) und es noch Talisker - Vorräte gibt . Meist trinke ich abends Tee aus dem Samowar. Ich bin genügsam wie ein Mönch ... geworden . Mir -  geht es damit besser . 

RMPetersen / 24.11.2021

Ja, der Ludwig Hirsch, das war auch so einer, den ich in den späten 70ern und dann den 80ern gerne hörte, immer mal wieder.— (Aber an sich war ich Leonard-Cohen- und Joni-Mitchell- und ein klein wenig Zappa-Fan. Der Ösi-Schmäh war nicht so mein Ding, auch wenn ich dann später aufm Wiener Zentralfriedhof vergnügliche Stunden gewandert bin.)

Manni Meier / 24.11.2021

Drei Tage und zwei Mal Bechlenbergs, Archi W.! Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder in dieser “unseligen gnadenlosen Coronazeit.” So, und nun nutzen Sie mal diesen unerwarteten Schaffensschub zu neuen (Un)taten. Nekrologe gut und schön, aber ganz entre nous, Archi W., Sie haben doch mehr drauf. Jeden Sonntag nur Paetows Gerichte in Tichys Gasthaus und hin und wieder ein Gourmethappen aus Schneiders Küche reichen uns auf Dauer nicht. Am Wochenende sollten es schon Bechlenberg’sche Austern sein, frisch aus dem Meer, und serviert vom Chef de Cuisine persönlich.

rei svager / 24.11.2021

also das mit dem “sendeverbot ab 22h” ist so eine “staatsfunk-legende”. es darf daran erinnert werden, daß ab 1984—- 10 jahre lang im österreichischen “pop-sender Ö3” ein musikverbot für “deutschsprecher” herrschte. das gilt in aufgeweichter form immer noch. die gruppe STS kann mit ihrem song “FÜRSTENFELD” diesbezüglich im wahrsten sinne ein liederl singen. ps: sind übrigends auch steirerbuam…

Hans Hintzenstern / 24.11.2021

Guten Tag Herr Bechlenberg! Wenn ich die Leserbriefe durchforste, scheint mir, Sie sind eine berühmte Persönlichkeit. Ich traf vor zwei Tagen erstmals im Zusammenhang mit Georg Kreisler auf Sie. Ja, Sie schreiben interessant und anders, als häufig anzutreffen ist.  Bei Ihrem Kreislerbeitrag war das Buch für Leserbriefe bereits zugeklappt für einen Kommentar von mir. So nutze ich jetzt die Gelegenheit. Sie sind gut informiert, nicht aber, was die Ehen von Georg Kreisler angeht. Barbara Kreisler-Peters ist die vierte Ehefrau von Georg Kreisler.. Es werden leider bei Georg Kreisler die schwarzhumorigen Lieder in den Vordergrund gestellt. Diese sind zahlenmäßig in der Minderheit gegenüber seinen zärtlichen, lustigen und liebevollen Liedern. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit. Sie sind ein angenehmer Erdenbürger!

Ludwig Luhmann / 24.11.2021

Manuel Leitgeb / 24.11.2021 - “Bitte, die Bewohner der Steiermark heißen Steirer und nicht Steiermarker. Hirsch war also Oststeirer. Ansonsten hat Herr Andrej SToltz Recht, Hirsch war gut und hatte meines Wissens nach kein Parteibuch, aber er war in diesen Kreisen schon weit lieber gesehen und wohl gelitten als die anderen erwähnten Künstler.”—-—- Dem Hirsch ein bisschen posthume Kontaktschuld zuzuschieben ist ein bisschen schäbig. War Österreich also 43+ Jahre links regiert, dass Hirsch ein “typischer österreichischer Haltungs Staatskünstler” werden konnte? Darf man seinen schwarzen Humor nicht unpolitisch betrachten?

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