Thilo Schneider / 22.09.2019 / 06:21 / Foto: Kürschner / 16 / Seite ausdrucken

Currywurst-Zertifikate

In Frankfurt tritt die „Fridays for Future“-Klasse von 2019, deren Lehrer mit einem hübschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde, eine Klassenfahrt an. Mit einem Kreuzfahrtschiff, weil man sich ja sonst nichts gönnt und bevor es verboten wird. Um den Rest sollen sich „die Profis“ kümmern. Ich will an dieser Stelle gar nicht näher darauf eingehen, wie der hässliche Rundfunk und die Schule sich gegenseitig die Klimaneutralität vorrechnen, mir geht es um etwas Anderes.

Wie die Schule nämlich erklärt hat, hat sie sich brav für den Ausflug „Klimazertifikate“ gekauft, so dass zwar weiterhin irgendwie Dreck in die Luft geblasen wird (die Schätzungen von Schule und der Umweltorganisation „Atmosfair“ liegen zwischen 150 und 214 kg CO2 pro Schüler und Tag), aber der verschwindet ja quasi dafür, dass ein Anderer seinen Ruß eben nicht in die Atmosphäre bläst. Das nennt sich ausgleichende Gerechtigkeit.

Es gibt diesen netten Souvenir-Witz aus Berlin, wo man „Berliner Luft“ in Flaschen oder Dosen kaufen kann, wenn man denn gerne an dem Geruch von Berlin schnuppern möchte. Ungefähr so muss man sich das mit dem Zertifikathandel vorstellen. Wie funktioniert er eigentlich, der Zertifikathandel und was kommt da gegebenenfalls auf die Bürgerinnen und Bürger und Bürgenden dieses Landes zu? Genügt es, einen Garten zu haben und dafür ein hübsches Zertifikat zu erstellen, das man dann jemandem, der keinen Garten hat, verkaufen kann, damit er weiter den alten Volvo fahren kann? Kann jeder denn durch ökologischen Landbau saubere Luft erzeugen, die er dann in Form eines Zertifikats seinem Nachbarn zum Geburtstag schenkt?

Der Zertifikatehandel ist dem Grunde nach ziemlich simpel. Ich möchte das Prinzip anhand von Currywurst erklären, weil es mir wurst ist. Weil ich alt bin. Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung möchte, dass jeder „irgendwie in Deutschland Lebende“ pro Jahr maximal eine Currywurst isst. Dann weiß das statistische Bundesamt, dass in Deutschland maximal 83 Millionen Currywürste gegessen werden können. Mehr Currywürste gibt es nicht und das ist auch unerwünscht. Ziel: maximal 83 Millionen Currywürste. 

Bei Fathma und Florian sinnlos 

Nun erhält jeder Bürger mit einer Steuernummer einen Gutschein für eine Currywurst. Den kann er einlösen, sobald er seine Currywurst holt, oder er isst eben keine Currywurst und hat dafür einen Gutschein, der bei ihm zuhause neben dem Rabattmarkenheftchen von Uschis Nagelstudio in der berühmten „muss ich auch noch wegräumen“-Box liegt. 

Gläubige Muslime und Hindus und gläubige Vegetarier dürfen aus religiösen Gründen keine Currywurst essen, so dass in etwa fünf bis sechs Millionen Gutscheine völlig umsonst versendet wurden. Die liegen jetzt bei Fathma und Florian sinnlos zuhause herum. Hinzu kommen noch einmal (geraten) 10 Millionen Menschen, die entweder zu jung oder zu alt oder zu abseits von einem Currywurststand wohnen – und Herbert Grönemeyer. Wir haben also jetzt 16 Millionen Gutscheine für Currywürste, die eigentlich nicht benutzt werden. Auf der anderen Seite tummeln sich jetzt so Leute wie ich, die Currywürste zwar nicht unbedingt für kulinarische Offenbarungen halten, aber gerne als Äquivalent zu amerikanischem Fastfood nutzen möchten. Mir wäre also eine Currywurst zu wenig, mein Gutschein wäre gleich weg. 

Der Staat eröffnet jetzt das Internetportal „Currywurst“. An und in dieses Portal stellen nun die Nicht-Wurst-Esser ihre Gutscheine ein und erhalten entweder vom Staat das reguläre Geld für den Gutschein oder sie oder der Staat versteigern diese. An so Leute wie mich. Wenn ich nun also weiß, dass ich einmal im Monat eine Currywurst esse, muss ich mir Zusatzgutscheine entweder über dieses Portal kaufen oder ich bin pfiffig genug, Süleymans von Gegenüber ihren Gutschein abzukaufen oder abzuschwatzen. 

Habe ich nun meine zwölf Gutscheine beisammen und merke, dass ich sie nicht brauche, weil ich plötzlich (wegen Grönemeyer) eine herbe Currywurstallergie bekommen habe, dann biete ich meine überzähligen Gutscheine wieder auf jenem Portal an. Natürlich kann ich auch spekulieren, dass beispielsweise die Nachfrage nach Currywurst in den Wintermonaten steigt. Dann kaufe ich mir im Frühjahr so viele Gutscheine wie möglich und halte sie bis meinetwegen Oktober. Meine potenziellen Kunden und ich wissen jedoch, dass es Schlag 1.1. nächstes Jahr wieder 83 Millionen Gutscheine geben wird und jetzt habe ich entweder Glück, und die Wurstsüchtigen zahlen mir sehr harte Euros für die Restwürste des Jahres, oder ich habe Pech und alle warten auf das kommende Jahr. Eine böse Sache, wenn das Zertifikat am 1.1. wertlos wird, interessant, wenn ich die Wurstgutscheine ins nächste Jahr übertragen kann. Theoretisch kann ich mir so sogar eine Altersvorsorge mit der Spekulation auf Currywurstnachfrage aufbauen. Ich brauche nur genug Gutscheine und genug Wurstesser. 

An verschwiegenen Autobahnraststätten gefälschte Currywürste

Der Staat hätte auf jeden Fall sein Ziel erreicht, denn es wären in diesem Jahr ja keine 83 Millionen Currywürste über den Tresen gegangen. Ich hätte ja meine paar Gutscheine nicht eingelöst. Damit hätte der Staat sein Wurstziel erreicht. Natürlich nur offiziell. Inoffiziell gäbe es nämlich illegale Currywursthändler aus dem ehemaligen Ostblock, die an verschwiegenen Autobahnraststätten entweder gefälschte Currywürste verkauft hätten oder Currywürste aus dem Ausland gefuttert hätten. Und der ein oder andere hat vielleicht auch einen Metzger gekannt, der ihm quasi schwarz und am Staat vorbei eine Currywurst gemacht hat. 

Die Metzgerei Müller übrigens, die bisher ein Kontingent von 12.000 genehmigten Currywürsten zur Herstellung hatte, teilt dem Staat mit, dass sie künftig nur noch 3.000 Currywürste herstellen wird. Jetzt hat der Staat sozusagen noch 9.000 Wurstgutscheine in der Hand, für die es aber keine Gegenwurst gibt. Dieses Kontingent kann er jetzt entweder unter den anderen Metzgereien versteigern oder er behält sie für sich, in der Hoffnung, dass wenigstens 9.000 Gutscheininhaber ihren Gutschein nicht einlösen. 

Die Metzgerei Müller könnte jetzt aber auch Fake-Zertifikate ausstellen, weil sie künftig Tofu- statt Currywürste anbietet und jedem, der es möchte, ein Bestätigungszertifikat für einen nicht benutzten Currywurstgutschein ausstellen – maximal natürlich 9.000 Stück. 

Ich für meinen Teil würde aber lieber die zwölf Currywürste essen. Ich hätte dabei sogar ein gutes Gewissen, denn dafür hätte ein anderer eben keine Currywurst gegessen, so dass unter dem Strich der Obergrenze kein Schaden entstanden und das Currywurstziel erreicht worden wäre.

Über dem Strich habe ich die Currywurst aber eben gegessen. Und wieder ausgeschieden. Faktisch war sie also trotzdem da. Aber ich hatte ein kulinarisches Erlebnis ohne schlechtes Gewissen. 

Dieser Zertifikatehandel lässt sich übrigens nicht nur für Currywürste und CO2-Emissionen einrichten, er geht, wie im Krieg die Kleidungs- und Lebensmittelbezugsmarken, für so ziemlich alle Dienstleistungen, Waren und Güter, die der Staat limitiert sehen möchte. In diesem Sinne sollten eigentlich auch Wahlstimmen handelbar sein. Dann könnten die, die eh nicht wählen gehen, ihren Stimmzettel meistbietend verkaufen und wir hätten endlich nahezu 100 Prozent Wahlbeteiligung und eine schwingende Konjunktur für die Nichtwähler.

Und es wäre interessant, zu wissen, welche Partei die Reichen dann an die Macht wählen. Für die Linke wäre es das jedenfalls gewesen. Alternativ könnte die Regierung auch sagen, welche Obergrenze sie für jede Partei festlegen möchte und dafür dann Wahlgutscheine ausgeben. Wobei dann ein Wahlgutschein für die AfD aufgrund der 5 Prozent-Hürde wesentlich teurer als ein CDU-Gutschein wäre, die ja sowieso immer die gleiche Kanzlerin stellen. Da ist es eben wurscht. 

(Mehr Geschmacksverirrungen des Autors gibt es auf www.politticker.de)

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Gabriele Kremmel / 22.09.2019

Das Listige am Zertifikathandel ist, dass keine einzige Currywurst eingespart wird, aber die besonders Verfressenen nun mit bestem Gewissen Currywürste bis zum abwinken in sich hineinstopfen können. Übertragen auf das angeblich so klimaschädliche CO2 heißt das, dass es nicht um die Einsparung von CO2 geht sondern um ein Therapeutikum gegen Flugscham und für den Staat um die Züchtung eines weiteren Goldesels.

Jens Richter / 22.09.2019

Bei diesem Abgashandel kann man sich ein reines Gewissen bis zum Tod bewahren. Wenn’s um die Urlaubsreise geht, fragt man vorher Nachbarn und Freunde, ob die verreisen (oder fragt bei Facebook nach). Wenn nicht, hat man pro Verzichter eine schöne Reise gut - mit gutem Gewissen.

Anders Dairie / 22.09.2019

Das “Klimakabinett” sitzt gestern vor der Qualitätspresse.  Ich gehen mal davon aus,  dass eine konzertierte Aktion lief.  Da sitzen oben welche, die natürlich wissen, dass es um NONSENS geht.  Denn sie haben beste Informationen.  Erstens vom IPPC/Weltklima-Rat , über mindestens 10 Jahre.  Zweitens wurde ihnen das Schwerverständliche vom WD / Wiss. Dienst des Bundestages in Häppchen aufgedröselt.  Sie sitzen also da und verkünden Maßnahmen, die extrem teuer sind—und sie stehen gar nicht dahinter.  Sie markieren Ernsthaftigkeit,  weil es politisch opportun ist.  Vor ihnen sitzt die Journaillen-Elite und stellt Fragen, die den Nonsens nicht erfassen :  Gibt es den Klimawandel überhaupt?  Heisst, sie stellen nichts infrage und fragen lieber nach dem festgelegten Preis der Tonne CO², die tatächlich kein Schadgas ist !?  Auch wenn die Menge verdoppelt würde.  Das ist Erkenntnis der Physik !  Die Beziehung zur Sonne, den Wolken und den Rechenfehlern erkennen sie erst recht nicht.  Draussen demonstrieren die Kinder,  drinnen fragen Erwachsene wie die Kinder. Das ist nun:  INFANTIL !

Anders Dairie / 22.09.2019

Lebensmittelmarken kenne ich noch.  Als Kind musste ich damit einkaufen gehen, bzw. fahren, 10 km mit dem Rad.  Das hat zum Schlankbleiben beigetragen und zur Befreiung von Hänseleien. Es wäre prima,  wenn ich heute meine Lebensmittelmarken versteigern dürfte. Ich lebe auf dem Land, verwurste mein Schwein und könnte mir mit dem Markenerlös jährlich zwei neue Schweine kaufen.  Also, Frau MERKEL, nur zu !  Mir und den Schweinen ist es egal, was sie, Frau Kanzlerin,  da machen.  In den Geschichtsbüchern steht dann:  Sie war erst Physikerin, dann Kanzlerin und zuletzt sogar Börsenmaklerin mit Überblick.  Ich sehe es vor mir !

Ilona G. Grimm / 22.09.2019

Lieber Herr Schneider, Sie haben zwar ein launiges Stück abgeliefert und den Irrsinn mit dem Zertifikatehandel ganz wunderbar erklärt, aber ich brauche trotzdem schon wieder ein Geländer, über das ich mich hängen kann. Es darf doch nicht so weitergehen, dass wir uns jeden noch so absurden Quatsch widerstandslos gefallen lassen. Bitte machen Sie doch mal einen Vorschlag, wie wir uns gegen den Unverstand wehren und mit unserem Protest auch wahrgenommen werden können. Mir fehlt dazu leider die Kraft. // Ceterum censeo: Atomkraft? Ja bitte! / Gern auch Kohlekraft. / Beides mit modernster Technologie und höchsten Sicherheitsstandards. (Bitte forschen! Deutschland war mal gut in solchen Sachen.) / Ich möchte nämlich unterbrechungsfreie Stromversorgung. Jeden Tag, jede Nacht. Und ich habe die Nase gestrichen voll von dem Klimafanatismus kleiner und großer Kinder, der nicht die Bohne dazu beiträgt, die Emission zu reduzieren.

Heiko Stadler / 22.09.2019

So richtig perfide wird der Zertifikathandel, wenn es sich um ein Dreieckgeschäft handelt: A kauft mit dem Geld von B Zertifikate, um dann ohne Skrupel fast täglich mit dem eigenen Flieger zu fliegen. Ein Schelm ist, wer bei A an Politiker und bei B an Steuerzahler denkt.

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