Jetzt greift der Staat aber durch. Es geht um Cum-Ex-Geschäfte, gierige Banker und hilfsbereite Anwälte. Nebelpetarden vor einem einmaligen Staatsversagen. Das Geschäftsmodell scheint aus dem feuchten Traum eines Gierbankers zu stammen. Zahle einmal, kassiere zweimal. Eine idiotensichere Methode, eine Rendite von 100 Prozent einzufahren. Das Schönste daran: Der Zahler ist garantiert solvent. Denn es handelt sich um den Staat.
Viele Beteiligte tun bis heute so, als sei das eine komplizierte und undurchschaubare Transaktion gewesen, so kompliziert wie die Black-Scholes-Formel, nur für Experten, Nerds oder Quantenphysiker verständlich. Deshalb sei es auch den staatlichen Behörden jahrzehntelang nicht gelungen, diesem Geldverpulvern auf Kosten des Steuerzahlers Einhalt zu gebieten.
Alles Unsinn. Bei Cum-Ex, Cum-Cum und allen ähnlichen Basteleien handelt es sich um das seit Urzeiten bekannte Dividendenstripping. Dafür braucht der Betrüger nur drei Dinge. Eine Aktie, einen Leerverkauf und einen Leerkäufer. Nahe beim Termin der Dividendenausschüttung werden damit kurzzeitig zwei Besitzer der gleichen Aktie, ein echter und ein leerer, hingeschummelt. Dadurch entstehen mehr Ansprüche auf Rückzahlung der Kapitalertragssteuer, als ursprünglich abgeführt wurde.
Jahrelang erfolgte keine Reaktion
Ein Geschäft, wie es der Investor liebt. 100 Prozent Gewinn, garantiert durch den Staat mit seinen tiefen Taschen. Aus denen bedienten sich Dividendenstripper schon seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Richtig Fahrt nahm die Sache auf, als der ehemalige Steuerbeamte Hanno Berger den Zuckerguss einer vermeintlich schlüssigen Erklärung, dass das ganz legal sei, drüberschüttete.
Es handle sich da um sogenannte Arbitrage-Geschäfte, also das Ausnützen von Preisunterschieden bei der gleichen Ware auf verschiedenen Handelsplätzen. Nun wurden ganze Fonds gegründet und bei gierigen Reichen viel Geld eingesammelt. Denen wurden garantierte Traumrenditen von mindestens 10 Prozent versprochen. Während die übrigen Beteiligten sich den Löwenanteil von 90 Prozent einverleibten.
Immer wieder wurde der Fiskus, die Bundesregierung, Finanzminister darauf aufmerksam gemacht, dass hier Milliardenbeträge ertrogen werden. Jahrelang erfolgte keine Reaktion. Wohl nach der Devise: Ist ja nicht unser Geld. Erst 2011 wachte der Gesetzgeber auf und baute einen Damm vor diesen Abfluss, in den bereits Milliarden an Steuergeldern gegurgelt waren.
Wie viele? Schwer zu sagen; auch einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags gelang es nicht, eine genaue Zahl zu eruieren. Es dürften wohl mindestens 10, möglicherweise bis zu 40 Milliarden Euro sein, die abkassiert wurden. Ohne jeden Zweifel der größte Steuerbetrug aller Zeiten. Mit Abstand. Dagegen ist jeder deutsche Steuerhinterzieher, der mit Tarnkonstruktionen und großem Aufwand Schwarzgeld versteckt, ein Stümper.
Die Finger in allen wichtigen und großen Geschäften drin
Aber inzwischen will der Fiskus sich zumindest einen Teil des Geldes zurückholen. Fleißig sekundiert von den Medien, die zuvor höchstens mal berichteten, wenn reiche Sympathieträger wie Carsten Maschmeyer oder Drogerie-Müller Geld zurückforderten, das sie in Cum-Ex-Fonds gesteckt hatten, die nach der Gesetzesverschärfung von 2011 implodierten.
Nun werden einzelne Banken an den Pranger gestellt, darunter die Maple Bank, die zudem den Vorteil hat, dass sie bereits die Bücher deponierte. Die Staatsanwaltschaft wirft mit markigen Worten um sich, es handle sich hier um „eine Form von organisierter Kriminalität“. Das hat sie aber schnell gemerkt. Denn bereits im November 2019 verhaftete sie den Steueranwalt Ulf Johannemann in seiner Bad Homburger Villa.
Der wurde dann auf Kaution zu den Weihnachtsfeierlichkeiten entlassen; der ehemalige Boss der Maple Bank und andere Beschuldigte verbrachten aber traurige Feiertage im Knast. So tatkräftig wünscht man sich die Strafverfolger. Allerdings wäre es vielleicht schön gewesen, wenn sie schon vor 30 Jahren aktiv geworden wären. Oder vielleicht vor knapp zehn Jahren. Aber damals konnte man sie nicht einmal zum Jagen tragen.
Neben den üblichen Gierbankern und Fonds-Bastlern gerät auch eine Anwaltskanzlei in den Fokus der Ermittlungen. Nicht irgend eine. Sondern die älteste, einflussreichste und größte Anwaltskanzlei überhaupt. Freshfields Bruckhaus Deringer heißt sie, mit 2.800 Anwälten macht sie einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro. Weltweit. Aber wichtiger noch: Freshfields hat die Finger in allen wichtigen und großen Geschäften drin. Firmenfusionen, Firmenbankrotte, immer braucht es Anwälte. Vor allem aber braucht es Anwälte, wenn Regierungen komplizierte Finanzfragen in Gesetze und Verordnungen gießen wollen.
Paradebeispiel für’s Staatsversagen
Wer durchschaut denn schon den modernen Dschungel des Finanzmarkts? Sicherlich nicht der zuständige Finanzminister, der oftmals nicht in der Lage wäre, die richtige Antwort auf die einfache Frage zu geben, wo denn das Eigenkapital in einer Bilanz verbucht wird, rechts oder links? Erst recht nicht die Ministerialbürokraten, diese Sesselfurzer, die ihr Beamtenleben am liebsten nach der guten, alten Devise verbringen möchten: lesen, lachen, lochen. Und vergessen.
Gerne wird da der vermeintlich kostenfreie Ratschlag kompetenter Kanzleien entgegengenommen. Wieso sich selbst den Kopf über die Formulierung eines komplizierten Reglements zerbrechen, wenn das bereits pfannenfertig angeliefert wird. Und der eigentliche Gesetzgeber, die Parlamente, die haben schon in der Finanzkrise von 2009 und der anschließenden Eurokrise gezeigt, dass kaum ein Parlamentarier auch nur über finanztechnische Grundkenntnisse verfügt.
Also wurden selbst Multimilliarden-Rettungsschirme schlank durchgewinkt, obwohl von fiesen Medien durchgeführte Umfragen ergaben, dass kein einziger der um Auskunft gebetenen Bundestagsabgeordneten auch nur ansatzweise in der Lage war, zu erklären, was genau er gerade verabschiedet hatte. Der gar nicht so neue Fall um Cum-Ex ist geradezu ein Paradebeispiel für dieses Staatsversagen.
Schon 2005 unternahm das hochwohllöbliche Finanzministerium einen schlappen Versuch, dieser Trickserei einen Riegel vor zu schieben. Schon damals ließ man sich von Bankenverbänden und Kanzleien beraten. Schlecht beraten, denn in Wirklichkeit nahm das Cum-Ex-Geschäft nun erst richtig Fahrt auf. Statt eine Gesetzeslücke zu schließen, hatten die Beamten ein scheunentorgroßes Schlupfloch gebastelt.
Durch das dann Berger, Johannemann und viele andere durchspazierten. Und es sich jahrelang gemütlich machten. Wer bei Cum-Ex dabei war, hatte ein Leben wie im Schlaraffenland. Ein bisschen finanztechnisches Gebrabbel zum Geldeinsammeln, das Abliefern von 10 oder mehr Prozent Gewinn an die Investoren, die dadurch glücklich und des Lobes voll waren. Und dann der schönste Teil, die Verteilung der übrigen 90 Prozent Profit. Aber jedes Märchen geht einmal zu Ende.
Die Cleveren suchten rechtzeitig den Notausgang. Berger hat sich in sein Schweizer Alpenreduit zurückgezogen und verkündet bis heute tapfer, dass das alles ein großes Missverständnis sei; er habe lediglich völlig legal eine Gesetzeslücke ausgenutzt, nach der Devise: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Reiche Sympathieträger wie Maschmeyer oder Drogerie-Müller haben sich ihre verlorenen Millionen erstritten und auf dem Rechtsweg von den Banken zurückgeholt, die sie als angebliche finanztechnische Laien in solche Investitionen hineinberaten hätten.
Anwälte sind auch nur Menschen
Geld ist so flüchtig wie seine Besitzer; bei Anwaltskanzleien sieht es etwas anders aus. Vor allem, wenn man sich für unangreifbar hält. Schließlich vertritt Freshfields fast immer die ganz Großen. Zum Beispiel VW im Dieselskandal, wo es alleine in Deutschland um das Abarbeiten von 60.000 Verfahren geht. Zudem glauben Anwälte zwar nicht an Gerechtigkeit, aber daran, dass eigentlich nur Klienten in rechtliche Bredouillen geraten können. Aber doch nicht deren Anwälte.
Alles Gründe, wieso Freshfields die potenzielle Sprengkraft der Beihilfe zum Cum-Ex-Gebastel unterschätzte. Schließlich machten die Anwälte auch hier das, was sie am besten können: Auf die gleiche Frage mit ja und dann mit nein antworten. Denn während Steuerberater von Freshfields jahrelang behaupteten, dass diese Deals völlig in Ordnung gingen, rieten sie dann beispielsweise der Schweizer Bank J. Safra Sarasin in einem internen Gutachten, meckernden Kunden ihre in Cum-Ex-Fonds verlorenen Gelder stillschweigend zu ersetzen.
J. Safra Sarasin hielt sich nicht an diesen Ratschlag, was dann zu empfindlichen Niederlagen vor Gericht führte. Also meinten die Freshfields-Anwälte wohl, sie seien auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Welche das ist, kann man ja je nachdem entscheiden. Und dann gibt es noch den Trick, darauf hinzuweisen, dass Anwälte auch nur Menschen sind und Meinungen äußern. Zum Beispiel die, dass Cum-Ex völlig legal sei. Oder völlig illegal. Gehandelt hätten ja dann andere. Dafür könne man schließlich nicht deren Anwälte verantwortlich machen.
Einmal raten, wer der Hase ist
Wie wird’s ausgehen? Das ist sehr vorhersehbar. Der Staat, die Staatsanwaltschaft wird einige Exempel statuieren. Ein paar Manager verurteilen, die zu sehr über die Stränge geschlagen haben oder sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten. Begleitet von Fanfarenstößen werden einige Millionen wieder eingesammelt.
Aber von den verschenkten Milliarden wird garantiert nur ein Bruchteil wieder hereinkommen. Freshfields hat sich bereits von Johannesmann getrennt, natürlich im gegenseitigen Einvernehmen. Steuerberatungsgeschäfte machen zudem nur einen Bruchteil des Jahresumsatzes der Kanzlei aus. Da wird sie einen kleinen Rückschlag locker wegstecken.
Am wichtigsten aber: Ist damit diese Art vom Betrug am Fiskus und somit am Steuerzahler ein für allemal unterbunden? Selten so gelacht, sagt da der Sesselfurzer. Natürlich nicht. Er geht fröhlich weiter. Unter anderen Namen, weniger auffällig, es werden keine ganzen Fonds mehr darauf aufgebaut. Aber beim Dividendenstripping ist es wie beim Wettrennen zwischen Igel und Hase. Der steuerzahlende Leser darf einmal raten, wer der Hase ist.