Corona: Hamburg schneidet schlechter ab als Stockholm

Hartnäckig hält sich die Ente, das schwedische Corona-Management sei gescheitert. Dabei ist das Land mit seinem entspannten Kurs sogar besser durch die Krise gekommen als wir.

Nach acht Berichten über den schwedischen Corona-Sonderweg, die ich im Laufe des letzten Winters und Frühjahrs für Achgut verfasst habe, hatte ich naiverweise angenommen, das Problem hätte sich mit dem Kommen des Sommers sowie mit der Impfung der Risikogruppen in Europa erledigt. Natürlich würden die verantwortlichen Politiker sich noch ein wenig „zieren“ aber eigentlich gibt es ja keine Gründe mehr für Grundrechtseinschränkungen, Maskentragen, Schulschließungsdiskussionen etc.

Immerhin hat man anderthalb Jahre Zeit gehabt, um die Lage zu bewerten. Dabei hätten die europäischen Nachbarn sich z.B. die endgültige offizielle Auswertung der schwedischen Übersterblichkeit im Jahr 2020 anschauen können. Hier konstatiert „socialstyrelsen“ im März 2021: „… det dog något fler i Sverige under pandemiåret 2020 än under ett vanligt år, till exempel jämfört med 2015‑2018. Vi kan också se att det dog ovanligt få under 2019“ = …es starben während des Pandemiejahres 2020 etwas mehr Menschen als während eines normalen Jahres. Wir können auch sehen, dass 2019 ungewöhnlich wenige Menschen verstarben.

Letzteres erklärt einen Teil der Übersterblichkeit von 2020 – eine Art des „Harvesting Effekts“; es gibt einfach mehr alte und gebrechliche Menschen an der Schwelle zum Tode (ich darf hier an das durchschnittliche Sterbealter der „Coronaopfer“ erinnern, das in Schweden bei 84 Jahren liegt, über der durchschnittlichen Lebenserwartung).

Keiner kann sagen, der schwedische Weg sei gescheitert

In deutschen Leitmedien wurde dann gerne auf das schlechte Abschneiden Schwedens im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarländern hingewiesen. Dies kann zu einer durchaus interessanten Debatte führen – und ich habe das in einem meiner früheren Artikel versucht –, aber eigentlich ist die Diskussion und der Vergleich sinnlos.

Wenn der schwedische Weg (nie Maskenpflicht, keine Schulschließungen bis zur 9. Klasse, größtenteils freiwillige Einschränkungen und Appelle etc.) zu einer Übersterblichkeit vergleichbar mit der von 2015 geführt hat, kann niemand mit gesundem Menschenverstand behaupten, der schwedische Weg sei gescheitert.

Wenn dies doch jemand tut (hier einer von unzähligen deutschen Artikeln zu dem Thema), muss man davon ausgehen, dass die entsprechende Person nicht an einer sachlich-wissenschaftlichen Auswertung interessiert ist, sondern andere Absichten hat. Der dabei üblicherweise angewandte „Trick“ besteht darin, nur „Coronatote“ zu zählen, aber nicht die Übersterblichkeit, die alle Todesfälle berücksichtigt.

Hamburg schneidet schlechter ab als Stockholm

Ein weiterer Grund, warum ich wieder in die Tastatur gegriffen habe, ist eine kürzliche Autoreise in die alte Heimat. Sorgfältig, wie ich normalerweise meine Reisen vorbereite, habe ich mir die Coronaregeln meines ersten Reisezieles, Hamburg, angesehen:

Nach Paragraph 14a (Prostitutionsangebote – für mich als glücklich Verheirateten uninteressant, aber dennoch unterhaltsam zu lesen): Sie sind gestattet, aber nur mit Maske und Hygienekonzepten, und immerhin verzichtete der Gesetzgeber auf die sonst obligatorische Forderung nach 1,5 m Abstand (ich hätte ja erwartet, dass wenigstens eine Plexiglasscheibe zwischen den Oberkörpern der beiden Akteure verlangt wird). Nach 40 Paragraphen und gefühlt 100 Seiten gab ich auf.

Bei meinen Recherchen stieß ich dann bei Achgut auf einen „beunruhigenden“ Coronavergleich zwischen meiner Geburtsstadt Hamburg und meiner neuen Heimat seit 20 Jahren (Stockholm). Ich habe keine Quellenkontrolle durchgeführt, aber hier konnte man sehen, dass bei Betrachten eines sinnvollen Parameters (Covid-19-Kranke auf den Intensivstationen) Stockholm seit letztem Herbst durchgehend besser abgeschnitten hat als die vergleichbar große norddeutsche Metropole Hamburg. Und dies trotz zahlreicher Maßnahmen (Masken, Laden- und Schulschließungen, Ausgangssperre etc., mit Zeitpunkt im Diagramm vermerkt) in Hamburg.

War ich auf dem Weg in ein autoritäres Land, wo trotz erheblicher Einschränkungen die Coronalage schlimmer war als in meiner Heimatstadt? Zum Glück beruhigte mich die Hamburger Morgenpost mit diesem Artikel.

Also war Hamburg – zumindest laut MoPo Ende April – doch zehnmal besser als Stockholm, und ich konnte sicheren Gefühls in diesen Hort der Freiheit (man sieht es deutlich am Beispiel Prostitution, die in Hamburg sogar zu Coronazeiten erlaubt, in Schweden hingegen für die „Kundinnen und Kunden“ illegal ist) reisen.

Deutsche tragen an Bord Maske, obwohl sie nicht müssen

Die Reise lief dann erfreulicherweise eher entspannt ab und ich konnte mit dem einen oder anderen Verwandten und Freund Coronadiskussionen führen. Auf die Frage, warum es denn nicht ausreichte, die Grundrechtsbeschränkungen nach Impfung der Risikogruppen zu beenden, konnte mir jedoch keiner so recht antworten. Die meisten denken wohl nicht so viel darüber nach, sondern tun einfach, was ihnen gesagt wird (sonst könnte man ja als Querdenker stigmatisiert werden – das Gefühl hatte ich einige Male in Diskussionen).

Letzteres war dann auch interessant zu beobachten auf dem Heimweg mit der Autofähre von Kiel nach Göteborg. An Bord galten schon die schwedischen Regeln (d.h. möglichst Abstand halten, keine Maskenpflicht). Nichtsdestotrotz konnte man nach meinem Eindruck fast alle deutschen Reisenden dabei beobachten, wie sie sich sklavisch eine Maske vors Gesicht banden.

Es muss sich für den Deutschen, der drüber nachdachte, schizophren angefühlt haben, in ein Land zu fahren, wo der Staat (Schweden) sich Regeln „ausgedacht“ hat, die in Deutschland mit Rechtsradikalen/Querdenkern und ähnlichem „Gesocks“ in Verbindung gebracht und damit stigmatisiert werden (hier ein unsäglicher Meinungsartikel von Herrn Hirschhausen zum Thema, mit dem Tenor: Wer keine Maske tragen will, ist ein „schlechter Mensch“).

Ich hoffe, der eine oder andere Besucher hat die Zeit in Schweden genutzt und ein wenig nachgedacht, um dann den Rückweg auf der Fähre ohne Maske anzutreten. Zumindest bis zur deutschen Staatsgrenze.

Reisen bildet.

Foto: Fabian Nicolay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hjalmar Kreutzer / 07.08.2021

Überall entspannt sich die Lage, nur hier dreht man am Rad und drängt auf „Durchimpfen“. Nachstehende Fragen habe ich auf Abgeordnetenwatch den Kandidaten meines Wahlkreises gestellt: „Es gibt keinen Zwang zur Impfung gegen Covid-19. Der Zugang zu gesellschaftlicher und beruflicher Teilhabe soll aber an Impfung, Testung oder Genesung geknüpft werden. Wie stehen Sie dazu?“ Und: „Halten Sie Maskenpflicht, Abstand und Handhygiene an Schulen und Covid-Impfung ab 12 Jahren für notwendig? An Schulen gibt es Händedesinfektion, obwohl Covid durch Aerosole übertragen wird, Abstand und Maskenzwang obwohl nachweislich von Kindern keine wesentliche Infektionsgefahr ausgeht. Im Winter wurde bei einstelligen Temperaturen ständig quergelüftet. Auch ohne STIKO-Empfehlung sollen Kinder ab 12 gegen Covid geimpft werden, Nichtimpfung ggf. sanktioniert werden. Sehen Sie evtl. in allen diesen Maßnahmen eine Kindeswohlgefährdung, wie u.a. der Familienrichter in Weimar?“ Als einziger hat bis jetzt der Bewerber der AfD, Dr. Dominik Kaufner, auf die erste Frage geantwortet: „Jeden direkten und indirekten Impfzwang und jede Benachteiligung von Ungeimpften lehne ich strikt ab. Die Impfung muss eine freie und individuelle Entscheidung sein, bei der jeder die Risiken gegen den angenommenen Nutzen für sich selbst abwägt. Freiheiten oder gar Grundrechte an die Impfung zu koppeln greift in unzulässiger Weise in diese freie Entscheidung ein und ist meines Erachtens mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.“ Ende Zitat Dr. Kaufner.

Sabine Heinrich / 07.08.2021

Was mich bestürzt: Hier - im Speckgürtel von Hamburg - sehe ich immer mehr junge Menschen (ganz überwiegend Mädchen), die freiwillig bei sommerlichen Temperaturen stolz die Merkelwindel tragen. Passt gut zu den dreiradfahrenden Kleinkindern und Rollerfahrern, denen von ihren Helikoptereltern der Helm aufgestülpt wird, wenn sie auf wenig genutzten reinen Rad- und Fußwegen unterwegs sind. Was soll aus solchen Menschlein, die dann mit 6 Jahren auch noch unter die Merkelwindel gezwungen werden - nur werden???

A.Ziegler / 07.08.2021

Was der Autor leider nicht erwähnt ist die Tatsache, dass man als Tourist in Schweden geimpft sein muss, sonst kommt man nich rein. Schweden hat also Impfzwang. Auch ich bin ein Schwedenfan, aber man muss auch die Schattenseiten erwähnen.

Franz Klar / 07.08.2021

@Frances Johnson : “Schöner Artikel, gut geschrieben “. Sie müssen einen alternativen Text gelesen haben . Als bekannte Analytikerin von Graden wäre Ihnen sonst aufgefallen , daß der Autor seine Sommerreise 2021 mit einem MoPo - Artikel vom ersten Lockdown April 2020 plant .  Bitte bei Ihrer nächsten Reise auch die Maschinenpistolen - Suburbs des schönen Stockholmen besuchen . In Hamburg ist , wie ich finde , die Firing range Reeperbahn stimmungsvoller , insbesondere mit dem cineastischen 60er Jahre - Hintergrund eines Jürgen Roland . Und unbedingt miterleben , wenn ein ururalter Opa Karlsson für Kilometer mit sklavisch der Hälfte der ohnehin geringen erlaubten “Höchstgeschwindigkeit” den Highway durch eine öde, also typisch schwedische Landschaft dichtmacht ... . Aber die Bohuslän ist schön , ich stand hinterher wochenlang in der Dunkelkammer bei meinen S/W - Vergrößerungen !

Jochen Becker / 07.08.2021

Das verstörende an den Deutschen ist ihr autoritärer Charakter. Ihre unbändige Sehnsucht nach dem totalitären Staat. Der kleinbürgerliche “Radfahrer” (nach oben buckeln, nach unten treten) rationalisiert seine Unterwürfigkeit unter die sinnlose Maskenpflicht mit Moral und heimeliger Gutmenschlichkeit. Die derzeitige Stimmung dürfte in den frühen 1930er Jahren ähnlich gewesen sein. Wir suchen nur noch nach einem charismatischen Führer, der den Unsolidarischen das Querdenken austreibt.

Peter Mielcarek / 07.08.2021

Neues aus Norwegen. Auch hier herrscht die Pandemie. Es gibt weiterhin ein Coronagesetz mit massivsten Einschränkungen aller bürgerlichen Freiheiten. Allerdings irgendwie anders als in Deutschland. Reisen ist schwierig, meine Reise nach D muss geplant werden. In meinem Distrikt bisher 287 Angesteckte, keine Toten, keine schwer Erkrankten, halt Test-Positive. Grenze nach Schweden digital überwacht, viele Grenzübergänge formell gesperrt, hohe Geldstrafen, diese trotzdem zu benutzen. Heute im Einkaufszentrum, ich habe 10 Minute darauf verwendet, meine Mitbürger zu beobachten, wenn sie die Geschäfte betreten. Anzahl derer, die sich die Hände desinfizierten: Null. Exakt Null. Masken: Null. Die Bevölkerung ist es offensichtlich leid. In meiner Praxis herrscht normale Geschäftigkeit, keiner meiner Patienten hat Angst vor mir, obwohl ich aufgrund der Häufigkeit meiner berufsbedingten sozialen Kontakte ein Hauptrisikofaktor bin. Ungeimpft. Gefährlich. Auch weiterhin: keine Toten vor den Haustüren. Jetzt steht also Deutschland an. Ich habe Angst, dieses Land zu betreten. Werde ich dort Leichen an den Strassenecken finden, in den Hauseingängen, an den Hintereingängen der Supermärkte? Oder wird hier tatsächlich nur ein spiritueller Krieg geführt - Gut gegen Böse? Anderthalb Jahre vom guten Bürger zum Konspirationstheoretiker liegen hinter mir, und ich fürchte, dass meine Reise noch nicht zu Ende ist.

Silas Loy / 07.08.2021

Schweden steht schon deshalb glänzend da, weil es bei guten Zahlen keine Kollateralschäden angerichtet hat. Es wurden keine Schulen geschlossen und keine Existenzen vernichtet. Es wurde auch niemand aufgehetzt, die Bevölkerung nicht gespalten. Und die Strategie des Durchlaufenlassens der mittelprächtigen Infektionwelle war natürlich auch richtig. Entscheidend war, dass nicht die Politiker der Regierung zuständig waren, sondern die Fachleute vom politisch unabhängigen Gesundheitsamt.

Peter Mielcarek / 07.08.2021

Wenn morgen die Tests aufhörten, gäbe es keine Pandemie mehr.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Sebastian Bauer, Gastautor / 18.09.2021 / 16:00 / 20

Auch Schweden will jetzt Kinder impfen

In den letzten Monaten hatte ich einige Male die Gelegenheit, den „schwedischen Coronaweg“ zu loben. Zuletzt hier zur Kinderimpfung  und hier zur Beendigung fast aller Maßnahmen. Leider…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 10.09.2021 / 06:25 / 90

Schweden beendet faktisch die Pandemie

Kurz nachdem mein letzter Beitrag "Kinderimpfung: Nicht mit den Schweden"  bei Achgut.com veröffentlicht wurde, kam am Dienstag 7.9.2021 endlich die ersehnte Mitteilung der schwedischen Regierung. Im Prinzip alle…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 07.09.2021 / 11:00 / 17

Kinderimpfung: Nicht mit den Schweden

Ende letzter Woche verkündete das norwegische „Folkhelseinstittutet“, dass ab sofort auch Kindern zwischen 12 und 15 eine Impfung angeboten wird. Damit war es mal wieder so weit;…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 31.08.2021 / 16:00 / 8

Meeresspiegel? Auf Mayotte gibt es dringendere Probleme

Noch ist Mayotte eine wunderschöne, zur EU gehörenden Insel mit faszinierender Natur; auf jeden Fall ein Geheimtipp für eine Reise. Nur, wenn man die Einwanderung…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 21.06.2021 / 11:59 / 7

Schweden: Neuwahl oder Rücktritt?

Dramatische Entwicklung in Schweden. Es hat sich in den letzten Tagen abgezeichnet. Die Linkspartei (Vänster) hatte der Minderheitsregierung ein Ultimatum gestellt (es ging um Aufhebung…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 14.05.2021 / 15:00 / 19

Schweden: Linke Mehrheiten nicht länger alternativlos

Als eingefleischter Naturwissenschaftler neige ich nicht zur Heldenverehrung. Schon klar, dass viele Menschen, vielleicht vor allem junge, sich gerne an Vorbildern orientieren. Solange das nicht…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 20.04.2021 / 14:00 / 7

Corona-Reisen bildet: Einmal Schweden – Spanien und zurück

Nachdem wir unsere jährliche Spanienreise zu Ostern 2020 nicht durchführen konnten, war es dieses Jahr wieder so weit. Die Coronawetterlage in Südspanien zu Ostern war…/ mehr

Sebastian Bauer, Gastautor / 05.03.2021 / 14:00 / 37

Corona: Schweden leuchtet uns heim

Am 31.12. und am 12.1. veröffentlichte ich auch Achgut.com zwei Texte, in denen ich einige Fakten in erster Linie zur Übersterblichkeit in Schweden 2020 präsentierte und argumentierte,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com