Was tun, wenn es draußen frühlingt und man den irritierenden Nachrichten aus aller Welt wenigstens für ein paar Stündchen entfliehen will? Wenn sich um die eigene bedeutungslose Existenz zu kümmern das einzige zu sein scheint, was man gegen die stündlich anbrandenden Hiobsbotschaften tun kann? Man muss sich dessen jedenfalls nicht allzu sehr schämen, wenn man keine Nachkommen hat, die einen später vorwurfsvoll fragen könnten, warum wir denn damals nicht... Einspruch... Widerstand... Tyrannenmord...
Einspruch haben wir ja durchaus eingelegt, regelmäßig. Doch wer hört schon auf unsereins?
Und deshalb: auf zum Bau- und Gartenmarkt! Hier trifft man Männer, die robuste Kleidung und die FFP2-Maske halbmast tragen und so aussehen, als ob sie wissen, was sie brauchen. Kurz: Bastler. Nestbauer. Heimwerker. Alltagstaugliche Selbermacher, denen der ganze Quatsch, den die da oben in die Welt blasen, am Arsch vorbeigeht – und die im Übrigen keinen Zweifel zulassen, dass es sich bei ihnen um Männer handelt. Und die Frauen, die sich dort aufhalten und zielgerichtet durch die Gänge streifen, sind eindeutig Frauen. Aber gendern? Elter-1- statt Muttersprache? Feministische Außenpolitik? Das interessiert unter Garantie keine, die nach der passenden Hohlkehle sucht und die weiß, wo sie die Trennscheiben in allen Größen findet.
„Wollen wir es miteinander versuchen?“
Wobei – naja: Nicht alle im Baumarkt tätigen Spezialisten nehmen Frauen per se für voll. Man muss schon um ein wenig Anerkennung kämpfen, etwa beim Mann für die richtige Farbmischung. Kleiner Rat: nicht beleidigt sein, sondern lieber sein Genie rühmen: Wie er die mitgebrachte Farbprobe scannt, die richtige Mischung ermittelt, den geöffneten Topf mit der weißen Grundfarbe unter die Farbdüsen stellt und ihn hernach wieder gut verschließt, damit er im Rüttler nicht explodiert...
Ja, ich gebe alles zu: Meine Favoriten sind die schweren Männer, gern auch tätowiert, die mit dem Baumarktlogo auf der Weste neue Ware in die Regale räumen. „Können Sie mir helfen?“ Frage mit Augenaufschlag. „Keine Ahnung.“ Brummige Antwort. „Wollen wir es miteinander versuchen?“ Na und ob. Es folgt ein Spaziergang im Außenbereich an allem vorbei, was irgendwie mit Gartenzäunen und Sichtblenden zu tun hat und der passenden Farbgebung. Man scheidet voneinander in bestem Einvernehmen, nicht ohne die enorme Auswahl gerühmt zu haben, auch wenn das Gewünschte nicht gefunden wurde. Es scheinen hier vor allem jene perversen Gelüste befriedigt zu werden, die sich später in irgendeinem halbplanierten Vorgarten entladen, zum Schrecken aller Vorbeiflanierenden.
Und ganz zum Schluss kommt sie dann doch noch ins Spiel, die Weltlage. Der Zaun, der vor einer Woche auf 1,80 Meter 59 Euro gekostet hat, ist jetzt 72,95 Euro teuer. Wer ist schuld? Wahrscheinlich der Chinese. Oder der Amerikaner, der baut und baut, woran Joe Biden schuld ist mit seinem Konjunkturprogramm. Oder die Waldbrände in Kalifornien und der Borkenkäfer in Kanada. Oder Corona und Putin. Was weiß man schon.
Prompt ist man wieder bei allem, vor dem man flüchten wollte.
Es gibt keinen Westen mehr zu erobern
Doch halt! Hießen Baumärkte nicht, noch bevor man sie Heimwerkermarkt nannte, Lager für Siedlerbedarf? Das löst doch glatt wieder wohltuende Empfindungen aus. Siedler sein! Die Pferde vor den Planwagen spannen und irgendwohin ziehen, um sich ein neues Leben aufzubauen! Fernab feministischer Politik, die Männer überwinden will, obwohl man sie doch dringend braucht, wenns ums Siedeln geht! Fort, nur fort in ferne Weiten, ohne Radio, Fernsehen und Tageszeitung, dorthin, wo man abends müde auf die Matratze sinkt, weil man den Kopf ausgeschaltet und etwas mit den Händen getan hat.
Jaja, ich weiß schon. Es gibt keinen Westen mehr zu erobern und ein Zuckerschlecken war das auch nicht gerade, ganz abgesehen von den darunter leidenden Indigenen. Beschränken wir uns lieber aufs Lackieren der Hohlkehle.
Doch eine kleine historische Reminiszenz sei noch angefügt: Einst haben sich die deutschen Fürstentümchen um die in Frankreich von den Papisten verfolgten protestantischen Hugenotten gerissen, da man ihnen nachsagte, qualifiziert und fleißig zu sein. Das waren Siedler nach herrschendem Geschmack.
Heute wundert man sich, dass man, wenn man mit Sozialhilfe lockt, lauter Sozialhilfeempfänger erhält. Die trifft man selten im Baumarkt. Aus diesem und aus jedem anderen Grund.
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