Cancel Culture bei Playmobil

Spiel- und Actionfiguren spiegeln den Zeitgeist. Bereits in der Steinzeit gab es figürliche Darstellungen aus Holz, Lehm, Knochen, Ton oder Stein, wobei man sich bei einzelnen Objekten nicht einig ist, ob es sich um kultische Objekte oder Spielzeug handelt.

Im Mittelalter wurden Spielfiguren geschlechtsspezifischer und dienten auch dazu, die Kinder der Adligen auf ihre spätere Rolle vorzubereiten: Buben erhielten Ritterfiguren, Mädchen Puppen. Die meisten Kinder mussten jedoch mit dem spielen, was die Natur hergab. In weiten Teilen der Welt ist das immer noch so.

Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurden Zinnsoldaten aus Weißmetall populär, und mit dem Aufkommen des Bürgertums entstanden die ersten Werkstätten, die für den Nachwuchs des neuen Mittelstandes produzierten.

Winnetou statt Hitler

Um 1900 bastelten Otto und Max Hausser Spielzeugsoldaten aus Sägemehl und Leim und verstärkten sie innen mit einem Draht. Was im Kinderzimmer Spiel war, wurde für Max Realität. Er fiel 1915 als deutscher Soldat an der Westfront. Sein Bruder Otto machte alleine weiter und produzierte in den 1930er Jahren drei Millionen Elastolin-Figuren jährlich.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges besetzten Hitler und Co. die Vitrinen in den Spielzeugläden, sie hatten fein modellierbare Köpfe aus Porzellan, um den Erkennungswert zu steigern. Nach Kriegsende wurden die kleinen Goebbels und Mussolinis aus den Regalen verbannt, mancher SS-Scherge fiel zu Hause diskret Mamas Staubsauger zum Opfer.

Nazis, das waren die Anderen gewesen. Otto Hausser zog der Wehrmacht die Porzellanköpfe wie der Zahnarzt die Weisheitszähne. Er ersetzte sie durch neutrale Häupter. Die Kleider wurden mit den Farben von Schweizer Armeeuniformen übermalt, und Hausser widmete sich unverfänglichen Themen: Winnetou statt Hitler.

In den 1970er Jahren produzierten Hersteller wie Hausser Elastolin-, Britains-, Starlux-, Timpo-, Marx- und Airfix-Plastikfiguren aus allen Epochen, vom keltischen Druiden bis zum Zulu-Krieger. Doch als die US-Armee die ersten Napalmbomben über Vietnam abwarf und Millionen gegen den Krieg protestierten, kam erneut Mutters Staubsauger zum Einsatz. Nur Farmtiere überlebten.

Erst viel später gelang den kleinen Buffalo Bills und Ivanhoes eine digitale Auferstehung. Der Wilde Westen wurde ins Weltall gebeamt, und Roboter waren die neuen Ritter.

Zuvor hatte 1973 die Ölkrise die Weltwirtschaft erschüttert. Die Preise für Kunststoffe explodierten, und Horst Brandstätter (1933–2015), der Urenkel von Playmobil-Gründer Andreas Brandstätter, stand am finanziellen Abgrund. Bisher hatte er Kindermöbel aus Kunststoff hergestellt. Was nun?

Wenn der Markt die Karten neu mischt, erkennt man den wahren Unternehmer. Brandstätter zauderte nicht, wie wir das von schöngeistigen Politikern gewohnt sind, er überzeugte durch die Kraft des Handelns und akzeptierte die veränderte Situation als neue Normalität. Die Krise zwang ihn zu mehr Kreativität.

Hatte er bis anhin auf großflächige Kunststoffartikel gesetzt, entschied er sich nun für kleine Spielfiguren, die kaum Kunststoff benötigten. Er gab seinem Entwicklungsleiter, Hans Beck (1929–2009), einem gelernten Tischler, der als Neunzehnjähriger aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen geflüchtet war, den Auftrag, ein Spielkonzept zu entwickeln, das man laufend ausbauen konnte. Beck winkte die Chance seines Lebens.

Mit dem Erfolg kam der Ärger

Bereits als Jugendlicher hatte er für seine Geschwister Modellbauten und kleine Spielzeuge hergestellt, nun konnte er seine Leidenschaft zum Beruf machen. Er entwickelte einen kleinen Bauarbeiter mit Babyface. 1974 präsentierten Brandstätter und Beck anlässlich der Nürnberger Spielwarenmesse Figurengruppen von Bauarbeitern, Rittern und niedlichen Indianern. Der enorme Erfolg rettete Brandstätter vor dem Konkurs.

1976 folgten weibliche Figuren, ab 1981 Kinder und Babys, später Tiere, Bauten, Autos und Eisenbahnen. Der Vollblutunternehmer Brandstätter und der wortkarge Beck waren ein perfektes Duo, der eine ein begnadeter Verkäufer und Macher, der andere der verspielte Kreative.

Die beiden legten den Grundstein für die Neuausrichtung einer Firma, die heute mit einer Jahresproduktion von über hundert Millionen Playmobil-Figuren mehr als eine halbe Milliarde Umsatz generiert und weltweit knapp 5.000 Menschen beschäftigt: Mittlerweile tummeln sich über 2,8 Milliarden dieser abstrakten Figuren in Kinderzimmern, Sandkästen und Staubsaugersäcken.

Mit dem Erfolg kam der Ärger. Gleich mit der ersten Figur, einem Bauarbeiter. Beck hatte ihm eine Bierkiste in den Schubkarren gelegt, weil Bauarbeiter im Sommer gerne ihren Durst mit einem Bier löschen. So viel Realität wollten einige Freizeitpädagogen den Kinderaugen ersparen. Brandstätter gab nach. Die Playmobil-Welt wurde zur alkoholfreien Zone.

Bald darauf erregte das Playmobil-Set mit der Flughafen-Sicherheitskontrolle den Unmut amerikanischer Eltern. Die Szene mit bewaffneten Flughafenpolizisten, Metalldetektor und Röntgenmaschine verhindere angeblich, dass Kinder den staatlichen Sicherheitsapparat hinterfragen. Was Kinder bei jedem Ferienflug erleben, sollte ihnen zu Hause erspart bleiben.

Die New York Times bot den Entrüsteten eine Plattform, um den deutschen Spielzeughersteller in die Knie zu zwingen. Obwohl den US-Kids die Figuren viel zu brav sind und die USA deshalb nie ein starker Absatzmarkt waren, nahm Playmobil das Set aus dem Handel.

Die Befreiung des Tanzbären aus dem Mittelalter-Set

Jedes Nachgeben ermuntert Nachahmer zum nächsten Shitstorm. So auch eine Mutter aus Kalifornien. Sie stellte mit Entsetzen fest, dass im Piraten-Set ihrer Kinder nebst Papageien, Säbel und Augenklappe auch ein winzig kleiner silbergrauer Ring beigelegt war, den man gemäß Booklet an den Hals eines dunkelhäutigen Seeräubers stecken konnte.

Die schockierte Mutter hätte das Teil in den Müll werfen oder sich mit der karibischen Sklavenrepublik des 17. Jahrhunderts befassen können. Damals kaperten Piraten zahlreiche Sklavenschiffe, nahmen den Unglücklichen die Halsringe ab und boten ihnen die Chance, sich ihnen als gleichberechtigte Piraten anzuschließen. Somit konnten Kinder mit dem Set Sklavenbefreiung spielen.

Hätten sie können. Denn die geschichtslose Mutter fand eine neue Lebensaufgabe und schwang die beliebte Rassismuskeule. Das Unternehmen erklärte, auf der Verpackung zeige man unmissverständlich, dass der Sklave kein Gefangener sei, sondern ein normales Mitglied der Crew. Niemand wollte es hören, der „Sklavenkragen“ verschwand aus dem Sortiment.

Hans Becks Grundsatz war stets: „Kein Horror, keine vordergründige Gewalt, keine kurzfristigen Trends.“ Nach fünfzig Jahren waren diese Vorgaben kaum noch durchsetzbar. Der Markt verlangte nach neuen, trendigen Themen. Dinosaurier, Drachen und Geisterschlösser säumten nun die Verkaufsregale; Polizisten wurden hochgerüstet, Piraten feuerten aus Kanonen, römische Legionäre formierten sich zur Schlacht. Der Zeitgeist gebar kurzfristige Trends, und das Aufspüren von politisch unkorrekten Spielfiguren erreichte die Attraktivität von Gesellschaftsspielen.

Als Nächstes brachten sich Tierschützer ins Rampenlicht und verlangten die Befreiung des Tanzbären aus dem Mittelalter-Set. Tierdarbietungen gehörten früher zu jedem Mittelaltermarkt wie heute Riesenräder zu Jahrmärkten. Erneut wollte eine geschichtslose Minderheit einem Spielzeughersteller vorschreiben, wie realistisch seine Themenwelten sein dürfen. Playmobil, bereits erprobt im Kniefall, dislozierte die Tanzbären in das Zoo-Set.

Die nächste Kritik betraf die Gleichstellung von Mann und Frau in der Playmobil-Welt. Vielleicht wollte das Unternehmen mit der weiblichen Räuberin im Bankräuber-Set dem Stereotyp des sanften weiblichen Wesens entgegenwirken.

Jeder Shitstorm hat ein Verfallsdatum

Was gut gemeint war, wurde als „positiver Sexismus“ angeprangert. Dabei hatte Playmobil die Bankräuberin als Identifikationsfigur für Kinder entwickelt, die nicht immer brav sein wollten, Pippi Langstrumpf auf der schiefen Bahn. Das Experten-Magazin Der Spiegel belehrte Playmobil, dass nur fünf Prozent aller Banküberfälle von Frauen verübt würden.

Jetzt wurde mehr Realität gefordert. Hätte sich Playmobil nach realen Statistiken gerichtet und einen bärtigen Mann aus dem Nahen oder Mittleren Osten mit Kalaschnikow produziert, hätten die Spiegel-Inquisitoren wahrscheinlich weniger Realität gefordert.

Ob eine Figur genehm ist oder nicht, entscheidet nicht eine bornierte Minderheit, die sich Firmenbashing zum Hobby gemacht hat, sondern die Käufer beziehungsweise ihre Kinder. Am beliebtesten sind die verschiedenen Polizei-Sets, kaum gefragt sind hingegen Wintersportarten.

Mittlerweile setzt Playmobil auf Multikulti. In allen Themenwelten sehen wir schwarze, braune und weiße Menschen. Das macht durchaus Sinn, werden die Figuren doch in über hundert Ländern verkauft. Um der inflatorisch missbrauchten Rassismuskeule zu entfliehen, ersetzte man nachträglich auch den weißen Zahnarzt (Artikel 6662) durch einen schwarzen Zahnarzt (Artikel 70 198).

Dauerte es früher Jahre, bis gesellschaftliche Veränderungen ihren Niederschlag in der Spielzeugproduktion fanden, werden Spielzeughersteller heute innert Stunden gezwungen, ihr Sortiment dem flüchtigen Zeitgeist anzupassen. Sie sollten widerstehen. Jeder Shitstorm hat ein Verfallsdatum. Nicht selten fördert er sogar den Absatz der beanstandeten Produkte. Es geht schließlich nicht um giftige Farbstoffe, sondern um das Gift der Political Correctness. Wer es im Leben allen recht machen will, sollte am Morgen im Bett bleiben.

 

Claude Cueni (65) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt regelmäßig für die Schweizer Weltwoche, wo dieser Beitrag zuerst veröffentlicht wurde. Soeben erschien bei Nagel & Kimche sein neuer Roman „Hotel California – One more thing for Elodie“.

Foto: Achgut.com/Screenshot

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Joerg Machan / 16.05.2021

Wunderschön, Herr Cueni. Unbedingt mehr von diesen herrlichen Pretiosen. Bin jetzt auf “Hotel California” gespannt.

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