Ich möchte diesem Kolumnenbeitrag vorausschicken, dass ich die Berufung des Grünen Cem Özdemir für das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers für eine der besseren Personalentscheidungen der künftigen Ampelregierung halte, die, obwohl noch gar nicht offiziell im Amt, schon seit gefühlt mindestens einer Legislaturperiode dabei ist, dieses Land in ein ökosoziales Paradies zu verwandeln.
Özdemir ist zwar der erste Vegetarier auf einem traditionell recht fleischlastigen Posten, aber, wie es scheint, ein eher besonnener Kopf, der seine eigene Herkunft als Sohn eines türkischen Bauern, der sich in der Bundesrepublik als Gastarbeiters verdingte, noch nicht vergessen hat und für die Bedürfnisse und Nöte der normalen Leute außerhalb des grünen Wohlstandsmilieus ein gewisses Sensorium haben dürfte. Anders als die abgehobenen Weltverbesserer vom Schlage eines Robert Habeck oder Toni Hofreiter, wobei Letzterer ebenfalls Chancen auf das Amt hatte, aber in einem parteiinternen Machtkampf unterlegen war. Möglicherweise, weil er sich einmal als Anwalt bayerischer Schweinsbratenesser empfohlen hatte.
Fachlich ist Özdemir bislang nicht durch besondere Kenntnisse oder politische Aktivitäten auf dem Sektor der Agrarpolitik aufgefallen, außer dass er die Landwirtschaft korrekterweise als einen Teil der Ökonomie definiert, die er mit der Ökologie „versöhnen“ möchte. Wenn er so klug ist, sich ein paar fähige und nicht allzu ideologische Berater und Staatssekretäre ins Boot zu holen, die auch auf dem Brüsseler Parkett eine gute Figur machen und im Augiasstall der gemeinsamen Agrarpolitik nicht schon in der ersten Nachtsitzung den Überblick verlieren, hätte Özedmir zumindest theoretisch das Zeug zum ersten grünen und mit Migrationshintergrund ausgestatteten Bundespräsidenten, wobei ihm Heinrich Lübke, der unter Konrad Adenauer von 1953 bis 1959 als Bundeslandwirtschaftsminister amtierte, ein Vorbild sein könnte.
Auch grüne Politiker sollen ja dazulernen können
Wie Lübke verfügte die Mehrheit der bisherigen Landwirtschaftsminister in Bonn und Berlin zumindest über eine landwirtschaftliche Ausbildung, waren in der Agrarindustrie tätig oder hatten Ämter in bäuerlichen Verbänden inne. Manche besaßen sogar einen eigenen Hof, wie der legendäre bayerische FDP-Politiker Josef Ertl. Von 1969 bis 1983 hielt er sich auf diesem Posten, länger als alle seine Amtsvorgänger und -nachfolger. Am Ostermontag des Jahres 1993 wurde Ertl in seinem Hof von einem wild gewordenen Stier angerempelt und dabei so schwer verletzt, dass er seither auf den Rollstuhl angewiesen war. So ein Malheur könnte Cem Özdemir mangels eigener Landwirtschaft und regelmäßiger Kontakte zu kampfbereiten Stieren nicht passieren. Eher könnte er auf einem Veggie-Döner (Rezept weiter unten) ausrutschen. Die Folgen wären sicher weniger gravierend.
In ersten Interviews nach seiner Nominierung für das Amt des grünen Agrarministers im künftigen Kabinett Scholz versäumte es Özdemir nicht, einerseits seine Entscheidung für eine vegetarische (nicht vegane!) Lebensweise zu erläutern und zu verteidigen, andererseits mögliche Befürchtungen zu zerstreuen, er wolle nun den Bundesbürger generell den Fleischgenuss madig machen. Es gehe nicht darum, ob, sondern welches Fleisch man esse, sagte er sinngemäß. Und jeder, der wolle, könne auch Fleisch produzieren, allerdings „unter Berücksichtigung des Klimaschutzes, des Tierwohls und nicht zu Lasten der Umwelt“.
Abgesehen davon, dass man die Erfordernisse insbesondere des Klimaschutzes sehr kreativ gestalten kann, ist gegen diese Ansicht im Prinzip kaum etwas einzuwenden. Weniger, aber dafür besseres Fleisch zu essen, ist auch die Meinung des Autors dieser Kolumne, der gleichwohl bedauert, dass Herr Özdemir sich nicht für solche Köstlichkeiten erwärmen kann wie ein schmackhaftes Poulet in Morchelrahmsauce, ein saftiges Entrecôte, Parmaschinken oder oberhessischen Presssack. Sein künftiger Arbeitsplatz böte ihm zumindest Möglichkeiten in großer Zahl, diese zu revidieren, etwa anlässlich seines alljährlichen Besuchs der Grünen Woche in Berlin. Auch Grüne Politiker sollen ja dazulernen können, zur Not „on the job“ wie die künftige Bundesaußenministerin und Diplomatie-Novizin Annalena Baerbock. Vielleicht macht sie ja einen Crashkurs bei ihrem Parteigenossen Joschka Fischer, der so wunderbar als Elder Statesman reüssiert, bevor sie sich von Putin grillen lässt.
Nicht das Mantra für ein besseres Leben
Ganz so heiß ist der Job eines Landwirtschaftsministers nicht. Trotzdem dürfte Özdemir, wie schon einmal (der ersten grünen Landwirtschaftsministerin) Renate Künast, zunächst neben Neugierde auch heftiger Gegenwind aus der Bauerschaft und der Agrarindustrie entgegenwehen. Er täte gut daran, wenn er eine vegetarische oder gar vegane Lebensweise das bleiben lässt, was es ist: eine durchaus legitime, persönliche Entscheidung darüber, was man isst und trinkt und was nicht. Aber nicht das Mantra für ein besseres Leben.
Eine Lösung für manche Umweltprobleme Deutschlands und der Welt stellt die Fleischverächterei nicht dar, im Gegenteil: Wenn man die Tierhaltung einschränken oder, wie Tierschutz-Extremisten fordern, ganz verbieten würde, bliebe eine für die Welternährung extrem wichtige Futtergrundlage, das nur für Wiederkäuer bekömmliche Raufutter, ungenutzt. Hungersnöte wären die Folge. Darüber hinaus spielen Tierzucht und Tierhaltung eine wichtige Rolle bei der Landschaftspflege und dienen auf diese Weise dem Artenschutz. Und schließlich geht es auch um die Aufrechterhaltung der von vielen Ökos hoch geschätzten regionalen, oft auf Fleisch beruhenden Ernährungstraditionen, mithin um gelebte Diversität!
Natürlich spräche nichts dagegen, die hierzulande in der Tat überhöhten Tierbestände abzuschmelzen und die Haltungsbedingungen in den Fleischfabriken weiter zu verbessern. Dabei sollte er stets daran denken, dass der Fleischgenuss, dem sich Özedmir schon im Alter von 17 Jahren zu verweigern begann, für den weniger begüterten Teil der Bevölkerung eine Errungenschaft ist, die man ungern aufgibt. „Für meinen Vater war Fleisch (…) etwas Besonderes, das man sich hart erarbeiten musste. Dass sein einziger Sohn das nicht mehr essen wollte, hat er nicht akzeptiert“, sagte Özdemir in einem Zeitungsinterview und fügte hinzu: „Er dachte, ich habe den Verstand verloren.“ Schließlich habe er seine Eltern vor die Wahl gestellt: „Entweder ihr habt einen vegetarischen Sohn oder gar keinen.“ Seine Eltern hätten daraufhin nachgegeben.
Die zu Herzen gehende Geschichte einer innerfamiliären Rebellion macht mir den schwäbelnden, nach eigener Einschätzung „säkularen“ Muslim noch einmal ein ganzes Stück sympathischer, wie auch die Tatsache, dass er vor längerer Zeit einmal dienstlich erworbene Bonusmeilen des Lufthansa-Vielfliegerprogramms Miles & More für private Reisen genutzt hatte. Solch eine lässliche Verfehlung ist mir allemal lieber als Robespierre-mäßige Unbestechlichkeit. Passt eigentlich eher zu einem ausschweifenden Fleischesser als zu einem Vegetarier.
Zum guten Ende das versprochene Rezept für einen Veggie-Döner auf der Basis von Fetakäse, das ich allerdings noch nicht nachgekocht habe. Wenn ich mir ausmale, welche dürftigen Fleischreste unklarer Herkunft in den allermeisten Dönerbuden den ganzen Tag am Drehspieß vor sich hin torkeln, eine echte Alternative und ein erstes, lohnendes Betätigungsfeld für Cem Özdemir.