Georg Etscheit / 05.03.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 30 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Tisch(un)kultur

Tischdecken und Porzellan sind out, heute werden Speisen auf Schieferplatten an blanken Holztischen serviert. Und man löffelt wieder aus der Schüssel wie in alten Tagen.

Als mir in einer Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins ein „Dreierlei vom Strudel“ serviert wurde, ahnte ich, dass etwas schiefläuft in Sachen Tischkultur – abgesehen von jenen Haaren, die der Hüttenwirt in den abwechselnd mit Mohn, Äpfeln und Topfen gefüllten Strudeltranchen hinterlassen hatte. Das Trio wurde nämlich auf einer mit Puderzucker dekorierten Schieferplatte serviert. Modische Tisch(un)kultur nach dem Muster der Chichi-Gastronomie auf 1.756 Metern über NN, das muss man erstmal im Kreuz haben. Noch dazu, wo in den Kitzbüheler Alpen meines Wissens kein Schiefer vorkommt. Den kenne ich aus meiner Heimat unweit des Rheinischen Schiefergebirges – auf Dächern zumindest macht sich Naturschiefer gut.

Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam, das lange Zeit übliche und überaus zweckmäßige Porzellangeschirr durch das vor 350 bis 400 Millionen Jahren entstandene, leicht spaltbare Sedimentgestein zu ersetzen. Jedenfalls ist die petrolig glänzende Servierhilfe mittlerweile ebenso verbreitet wie die euro-asiatische Ikebanaküche mit ihren Leitelementen Wasabi und Yuzu. Und genauso entbehrlich. 

Für das Personal ein rechter Tort, denn Schieferplatten wiegen mehr und sind auch schwerer zu handhaben als Porzellanteller. In die Spülmaschine sollte man sie auch nicht stecken – wie hygienisch das ist, möchte ich gar nicht wissen. Aber womöglich immer noch besser als angejahrte „Brotzeitbrettl“, die ansonsten in der Berghüttengastronomie und sich bodenständig inszenierenden Gasthäusern zum Einsatz kommen.

Vorgeschmack auf die Insektenküche

Auf den harten Platten etwas zu schneiden, sollte man tunlichst unterlassen. Das dabei entstehende Geräusch ist kaum zu ertragen. Es erinnert an eine Szene aus der Pink-Panther-Reihe mit dem tollpatschigen Inspektor Clouseau alias Peter Sellers. Der hatte seinen Vorgesetzten Charles Dreyfus in den Wahnsinn getrieben, worauf dieser, um sich Clouseaus zu entledigen, mit der Vernichtung der ganzen Welt droht. Dafür hat er nach Art eines James-Bond-Bösewichts einen Professor in seine Gewalt gebracht, der mittels einer Strahlenkanone beliebige Gegenstände von der Bildfläche verschwinden lassen kann. Als sich der Gelehrte weigert, zum finalen Schlag auszuholen, foltert Dreyfus dessen Töchterchen – indem er mit den Fingern eines eisernen Handschuhs über eine Schiefertafel fährt…

Möglicherweise ist die Schiefermode auch der Ökowelle zu verdanken – Porzellan muss schließlich bei hohen Temperaturen gebrannt werden, was viel Energie verschlingt und die Klimakatastrophe vorantreibt. Dabei hat sich topografisch ein gegenläufiger Trend etabliert: Während der Schiefer nunmehr bis in hochalpine Gefilde vorgedrungen ist, hat sich das Brotzeitbrettl in die Ebene geschlichen, wo ich einer abgewandelten Form in einem mit einem roten und grünen Michelin-Stern (für Nachhaltigkeit) dekorierten Restaurant im Elsass begegnet bin. Die Amuse-Bouches wurden auf nur leicht bearbeiteten Holzscheiten serviert.

Der grünen Masche (und dem Effizienzdenken) ebenso zum Opfer gefallen ist vielerorts die Tischwäsche. Casual Fine Dining spielt sich heute immer öfter an wenig feinen, blankgescheuerten Holztischen ab. In einem Bio-Restaurant sah ich mal Tische, in die eine Glasplatte eingelassen war, unter der Getreidekörner lagerten, inklusive einiger Maden, die vor den Augen speisender Gäste ihr Habitat gefunden hatten. Vielleicht ein Vorgeschmack auf die von der EU propagierte Insektenküche.

Kollektiv aus einer einzigen Schüssel löffeln

Nicht alles, was neu ist und ungewohnt, ist schlecht, das gestehe ich gerne zu. So bin ich keineswegs traurig darüber, dass die sogenannten „Abteilteller“ mit abgetrennten Bereichen für die verschiedenen Elemente eines Hauptgerichts, mehr oder weniger der Vergangenheit angehören. Als zeitgemäße Weiterentwicklung wurden sie von den Bowls abgelöst, wobei der englische Begriff für Schüssel auch für die darin servierten Speisen verwendet wird – ein woker Zwitter aus Salat und Eintopf.

In Bowls werden jedoch nicht nur Bowls serviert, sondern immer häufiger die einzelnen Gänge eines klassischen Menus. Wer in einer Bowl ein Stück Fleisch zu schneiden versucht, muss es mit der Gabel festhalten und das Messer mit Daumen und Zeigefinger führen wie ein Chirurg sein Skalpell, in einem Neunzig-Grad-Winkel zur Tischplatte. Dann sollte man Messer und Gabel beiseitelegen und nur noch den Löffel benutzen, womit man wieder in Zeiten angelangt wäre, in denen Bauernfamilien ihren Brei oder Eintopf kollektiv aus einer einzigen Schüssel löffelten. Aber vielleicht ist das im grünen Sozialismus ja beabsichtigt. Viele Bowls sind aus porösem Steingut gefertigt und ähneln in Sachen Geräuschentwicklung den Schiefertafeln. 

Wer es nicht mit Bowls zu tun bekommt, wird allzu oft mit Geschirr konfrontiert, das sich wie eine Skulptur geriert. Riesige Teller in Form fliegender Untertassen mit einer vergleichsweise winzigen Vertiefung für die jeweiligen Speise, sei es Suppe, Hauptgang oder Nachtisch, oder solche mit wulstigem Rand, wo man Mühe hat, das Besteck abzulegen, wenn man zum Weinglas greifen möchte – Besteckbänkchen gibt es ja schon lange nicht mehr, weil als „spießig“ verrufen. Ganz abgesehen von den unförmigen Weckgläsern mit herabhängendem Deckel, in denen Brotaufstriche kredenzt werden. In der Edelgastronomie sehr angesagt ist zudem mattes Biskuitporzellan mit „modellierten Gesteinsmustern“, wie es ein Hersteller aus Barcelona offeriert – als Hommage an die „zerklüftete Felsküste der Costa Brava“. Da fragt man sich, was wichtiger ist: Essen oder Unterlage.

Praktisch ist das alles nicht und man darf davon ausgehen, dass vielen dieser feinen Darreichungs-Kreationen ein ebenso kurzes Leben beschieden ist wie jenen hauchfeinen, mundgeblasenen Gläsern, die schon durch einen zu scharfen Blick zu zerspringen drohen. Der Zwang zu überbordender Kreativität und Distinktion in allen Bereichen treibt die ohnehin explodierenden Preise in der Gastronomie. Aber anstatt auf robustes und in jeder Hinsicht gebrauchsfähiges – und nicht notwendigerweise ästhetisch unbefriedigendes – Hotelporzellan oder das noch verpöntere Hotelsilber zurückzugreifen, wird erst einmal die Tischdecke abgeschafft. 

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

 

Foto: Pixabay

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George Samsonis / 05.03.2023

Wir waren mit meiner Firma in Berlin in einem “österreichischen” Restaurant. Dort konnte man zum Essen, dass Menu musste für jeden vorher bestellt werden, “weiße Tischdecken” für den Abend hinzubuchen. Für nur 39 Euro. Das ist Esskultur!!!

U. Hering / 05.03.2023

Nun, unsere Töchter ... die älteste verweigerte im (verpflegungsinklusiven) Kindergarten am Freitag den Verzehr von Fisch, obwohl sie den mochte, weil kein Fischbesteck wie zu Hause verfügbar war.  Unsere Jüngste, wir hatten gerade Freunde zu Gast, schaute suchend auf dem Frühstückstisch herum, statt ihr Frühstücksei zu essen. Auf die Frage unseres Freundes, was sie suche, antwortete sie (4 Jahre), sie habe keinen Eierlöffel - ein Fehler, den ihr Vater beim Tischdecken begangen hatte.

Gerd Maar / 05.03.2023

Am schönsten isst es sich von japanischem Keramikgeschirr, auch wenn man Yuzu und Wasabi nicht mag.

Dietrich Herrmann / 05.03.2023

Man konnte, wie man liest, auch ohne mit Messer und Gabel essen zu können, Bundeskanzlerin in Deutschland werden…

Katharina Fuchs / 05.03.2023

@ D. Katz: Sagen Sie nichts gegen Bambus - ich habe seit einigen Jahren ein Schneidbrett aus Bambus und ich liebe es. Im Vergleich zu den alten Holzschneidebrettern bietet es tatsächlich Vorteile und sieht immer noch aus wie neu. Und das kommt jetzt von einem alten Fortschrittsverweigerer, der stur und unbeirrt auf den alten Gußeisenpötten und Eisenpfannen sitzenbleibt und Tefalbeschichtungen sowie Plastikdosen für Teufelswerk hält. ;D—- Die in den Links zu bewundernden Scheußlichkeiten an Tischgeschirr sind vermutlich eine Modeerscheinung, die sich wieder geben wird. Es gab mal ne Zeit, da wuchteten wir neunstöckige verschnörkelte Etagieren mit Porzellanengelchen und sonstigen Greulichkeiten auf den Tisch und dazu gefühlte 37 Stück Besteck auf jeder Seite der ineinandergestapelten Tellerpyramide.—- Ganz klasse finde ich hingegen das woke ‘Bowlfood’ , in denen, ich zitiere, “viele farbenfrohe Zutaten beim Bowlfood werden im begrenzten Raum der Schüssel kunstvoll zu kompakten Mandalas drapiert.” Weiteres Zitat: „Es ist halt nicht alles durcheinandergeworfen. Es ist so angeordnet, das man selber aussuchen kann, wie man es essen möchte.”—- Ich sehe ihn vor mir, den woken Pfannekuchen. Das Mehl auf dem Schüsselboden, die rohen Eier harmonisch in der Mitte, die Milch gewissermaßen als Sinnbild des Stroms des Lebens drumherum gegossen. Die Prise Salz und den fair gehandelten Rohzucker auf kleinen Schiefertäfelchen daneben. Gegessen wird mit dem Löffel. Guten Appetit.

Peter Bauch / 05.03.2023

Bitteschön, was braucht es noch Tischdecken oder gar einen geschmackvoll gedeckten Tisch für den Gast? Daheim sind diese ja meistens auch nicht mehr willens bspw. einen sonntäglichen Frühstückstisch einzudecken. Da werden Unmengen von Blisterpackungen mit Wurst und Käse über den Tisch verteilt. Gläser mit Gurken und Oliven.  Alles sieht aus wie Kraut und Rüben. Raffe ich den ganzen Kram zusammen, gehe in die Küche und richte zwei Teller, einen mit Käse, einen mit Wurst und Garnitur ernte ich fassungslose Blicke. Wenn meine Ehehälfte und ich alleine speisen, legen wir Wert auf einen eingedeckten Tisch - es darf durchaus einfach sein. Und an Sonn und Feiertagen eine Tischdecke.

Rollo Tomasi / 05.03.2023

Bei den Kroaten ist auch fast alles wie früher .  Zigeunerteller mit Djuwetschreis . Wie vor dem Krieg.

L. Bauer / 05.03.2023

Das beste am Tisch ohne Tischdecke kommt aber schon ganz am Anfang. Die besten ungelernten Kellnerinnen schaffen es wirklich, nachdem! man sich hingesetzt hat, vermeintlich den Tisch zu säubern. Dazu rotzt sie aus einer Sprühflasche irgendeine stark riechende Flüssigkeit auf den Tisch und schmiert alles breit. Das war’s! Danach klebt der Tisch mehr als vorher. Ich lernte von meiner Großmutter, dass man immer zweimal wischt. Einmal richtig nass und dann trocken. Zu kompliziert für die Fachkräfte im zarten Alter heutzutage. Es ist wirklich nicht mehr so einfach heutzutage old school irgendwo essen zu gehen. Man muss schon richtig in ein Restaurant. In diese ganzen neu erfundenen Schichtkantinen mit Selbstbedienung kriegt mich eh niemand rein. Schont auch die Nerven.

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