Tischdecken und Porzellan sind out, heute werden Speisen auf Schieferplatten an blanken Holztischen serviert. Und man löffelt wieder aus der Schüssel wie in alten Tagen.
Als mir in einer Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins ein „Dreierlei vom Strudel“ serviert wurde, ahnte ich, dass etwas schiefläuft in Sachen Tischkultur – abgesehen von jenen Haaren, die der Hüttenwirt in den abwechselnd mit Mohn, Äpfeln und Topfen gefüllten Strudeltranchen hinterlassen hatte. Das Trio wurde nämlich auf einer mit Puderzucker dekorierten Schieferplatte serviert. Modische Tisch(un)kultur nach dem Muster der Chichi-Gastronomie auf 1.756 Metern über NN, das muss man erstmal im Kreuz haben. Noch dazu, wo in den Kitzbüheler Alpen meines Wissens kein Schiefer vorkommt. Den kenne ich aus meiner Heimat unweit des Rheinischen Schiefergebirges – auf Dächern zumindest macht sich Naturschiefer gut.
Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam, das lange Zeit übliche und überaus zweckmäßige Porzellangeschirr durch das vor 350 bis 400 Millionen Jahren entstandene, leicht spaltbare Sedimentgestein zu ersetzen. Jedenfalls ist die petrolig glänzende Servierhilfe mittlerweile ebenso verbreitet wie die euro-asiatische Ikebanaküche mit ihren Leitelementen Wasabi und Yuzu. Und genauso entbehrlich.
Für das Personal ein rechter Tort, denn Schieferplatten wiegen mehr und sind auch schwerer zu handhaben als Porzellanteller. In die Spülmaschine sollte man sie auch nicht stecken – wie hygienisch das ist, möchte ich gar nicht wissen. Aber womöglich immer noch besser als angejahrte „Brotzeitbrettl“, die ansonsten in der Berghüttengastronomie und sich bodenständig inszenierenden Gasthäusern zum Einsatz kommen.
Vorgeschmack auf die Insektenküche
Auf den harten Platten etwas zu schneiden, sollte man tunlichst unterlassen. Das dabei entstehende Geräusch ist kaum zu ertragen. Es erinnert an eine Szene aus der Pink-Panther-Reihe mit dem tollpatschigen Inspektor Clouseau alias Peter Sellers. Der hatte seinen Vorgesetzten Charles Dreyfus in den Wahnsinn getrieben, worauf dieser, um sich Clouseaus zu entledigen, mit der Vernichtung der ganzen Welt droht. Dafür hat er nach Art eines James-Bond-Bösewichts einen Professor in seine Gewalt gebracht, der mittels einer Strahlenkanone beliebige Gegenstände von der Bildfläche verschwinden lassen kann. Als sich der Gelehrte weigert, zum finalen Schlag auszuholen, foltert Dreyfus dessen Töchterchen – indem er mit den Fingern eines eisernen Handschuhs über eine Schiefertafel fährt…
Möglicherweise ist die Schiefermode auch der Ökowelle zu verdanken – Porzellan muss schließlich bei hohen Temperaturen gebrannt werden, was viel Energie verschlingt und die Klimakatastrophe vorantreibt. Dabei hat sich topografisch ein gegenläufiger Trend etabliert: Während der Schiefer nunmehr bis in hochalpine Gefilde vorgedrungen ist, hat sich das Brotzeitbrettl in die Ebene geschlichen, wo ich einer abgewandelten Form in einem mit einem roten und grünen Michelin-Stern (für Nachhaltigkeit) dekorierten Restaurant im Elsass begegnet bin. Die Amuse-Bouches wurden auf nur leicht bearbeiteten Holzscheiten serviert.
Der grünen Masche (und dem Effizienzdenken) ebenso zum Opfer gefallen ist vielerorts die Tischwäsche. Casual Fine Dining spielt sich heute immer öfter an wenig feinen, blankgescheuerten Holztischen ab. In einem Bio-Restaurant sah ich mal Tische, in die eine Glasplatte eingelassen war, unter der Getreidekörner lagerten, inklusive einiger Maden, die vor den Augen speisender Gäste ihr Habitat gefunden hatten. Vielleicht ein Vorgeschmack auf die von der EU propagierte Insektenküche.
Kollektiv aus einer einzigen Schüssel löffeln
Nicht alles, was neu ist und ungewohnt, ist schlecht, das gestehe ich gerne zu. So bin ich keineswegs traurig darüber, dass die sogenannten „Abteilteller“ mit abgetrennten Bereichen für die verschiedenen Elemente eines Hauptgerichts, mehr oder weniger der Vergangenheit angehören. Als zeitgemäße Weiterentwicklung wurden sie von den Bowls abgelöst, wobei der englische Begriff für Schüssel auch für die darin servierten Speisen verwendet wird – ein woker Zwitter aus Salat und Eintopf.
In Bowls werden jedoch nicht nur Bowls serviert, sondern immer häufiger die einzelnen Gänge eines klassischen Menus. Wer in einer Bowl ein Stück Fleisch zu schneiden versucht, muss es mit der Gabel festhalten und das Messer mit Daumen und Zeigefinger führen wie ein Chirurg sein Skalpell, in einem Neunzig-Grad-Winkel zur Tischplatte. Dann sollte man Messer und Gabel beiseitelegen und nur noch den Löffel benutzen, womit man wieder in Zeiten angelangt wäre, in denen Bauernfamilien ihren Brei oder Eintopf kollektiv aus einer einzigen Schüssel löffelten. Aber vielleicht ist das im grünen Sozialismus ja beabsichtigt. Viele Bowls sind aus porösem Steingut gefertigt und ähneln in Sachen Geräuschentwicklung den Schiefertafeln.
Wer es nicht mit Bowls zu tun bekommt, wird allzu oft mit Geschirr konfrontiert, das sich wie eine Skulptur geriert. Riesige Teller in Form fliegender Untertassen mit einer vergleichsweise winzigen Vertiefung für die jeweiligen Speise, sei es Suppe, Hauptgang oder Nachtisch, oder solche mit wulstigem Rand, wo man Mühe hat, das Besteck abzulegen, wenn man zum Weinglas greifen möchte – Besteckbänkchen gibt es ja schon lange nicht mehr, weil als „spießig“ verrufen. Ganz abgesehen von den unförmigen Weckgläsern mit herabhängendem Deckel, in denen Brotaufstriche kredenzt werden. In der Edelgastronomie sehr angesagt ist zudem mattes Biskuitporzellan mit „modellierten Gesteinsmustern“, wie es ein Hersteller aus Barcelona offeriert – als Hommage an die „zerklüftete Felsküste der Costa Brava“. Da fragt man sich, was wichtiger ist: Essen oder Unterlage.
Praktisch ist das alles nicht und man darf davon ausgehen, dass vielen dieser feinen Darreichungs-Kreationen ein ebenso kurzes Leben beschieden ist wie jenen hauchfeinen, mundgeblasenen Gläsern, die schon durch einen zu scharfen Blick zu zerspringen drohen. Der Zwang zu überbordender Kreativität und Distinktion in allen Bereichen treibt die ohnehin explodierenden Preise in der Gastronomie. Aber anstatt auf robustes und in jeder Hinsicht gebrauchsfähiges – und nicht notwendigerweise ästhetisch unbefriedigendes – Hotelporzellan oder das noch verpöntere Hotelsilber zurückzugreifen, wird erst einmal die Tischdecke abgeschafft.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.