Thilo Schneider / 19.06.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 47 / Seite ausdrucken

Blondi oder Goebbels – wer war treuer?

Die Grundgeschichte geht so: In einer Facebookgruppe meines Heimatschtetls trudeln im Tagestakt Postings ein: Lasst eure Katzen kastrieren, lasst die Hunde im Sommer nicht im Auto, legt in eure Swimmingpools Rettungshilfen für unvorsichtige Tiere, stellt für die armen Wildtiere Wasser raus, fasst keine Rehkitze an, fasst keine Jungvögel an und gebt diese ab, und am George-Floyd-Platz wurde eine Taube mit einem gebrochenen Bein gesehen, die dringend menschlicher Hilfe bedarf.

Dazwischen dann der Spendenaufruf für eine junge Frau. Milana ist 26 und würde gegen den Krebs eine sogenannte Protonen- oder Schwerionen-Therapie benötigen. Diese ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse und muss privat bezahlt werden. Etwa 20.000 Euro kostet eine derartige Behandlung. Nach drei Tagen haben sich ganze 35 Spender gefunden. Fünfunddreißig – darunter ein Großspender, der 500 € gegeben hat. Mit bisher insgesamt 2.325 Euro Gesamtvolumen. Trotz medialer Begleitung ist die Spendenaktion ein Schlag in exakt das Wasser, dem man die „Schwimmhilfen“ für leichtsinnige Tiere hinzufügen soll.

Zum Vergleich: Das örtliche Tierheim, das im Jahr 2018 noch 76.000 Euro Schulden hatte, konnte im ersten Quartal 2019 ein Guthaben von 78.000 Euro aufweisen. Tierlieb isser, der Deutsche, da gibt’s nix. Menschenfreundlich auch – wenn es nicht an den eigenen Geldbeutel, sondern den der Allgemeinheit geht.

Sind wir wirklich so abgestumpft?

Ich verstehe meine Mitmenschen nicht: Die werfen am Bahnhof Teddys für irgendwelche Clowns aus Sonstwoher und trauern um jede verdammte Flugechse, die es vom Himmel wischt, aber da, wo wirklich wenigstens regionale Solidarität gefordert wäre, fragt sich die Blase lieber nach Öffnungszeiten für ihre lächerlichen Tätowierer durch oder beschwert sich über das viel zu hohe Eintrittsentgelt für öffentliche Badeanstalten, wo sie dann mit Mäskchen durchs Nichtschwimmerbecken rudern.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder kann ja spenden, wofür er will, und wer gerade aus den Corona-klammen Nichtarbeitszeit-Verhältnissen kommt, der hat vielleicht auch keine 20 Euro herumliegen und muss mit jedem Cent rechnen. Keine Frage. Nur bin ich schon der Ansicht, dass sich in einem Großraum, in dem knapp 100.000 Leute leben, doch 4.000 Leute finden lassen müssten, die lächerliche 5 Euro entbehren können. Erst recht, wenn die gleichen Leute fragen, welches Frühstückscafé derzeit angesagt ist.

Sind wir wirklich so abgestumpft? Ist uns das Leid anderer Menschen, zumal aus unserer Mitte, so scheißegal, dass wir lieber die Haare und das Bildchen auf dem Arm schön haben, als einfach einmal das Richtige zu tun? Sind wir wirklich so borniert und degeneriert, dass wir lieber einen Menschen krepieren lassen, als unseren Katzen weniger abwechslungsreiche Nahrung anzubieten?

Ich wurde auch schon von Tieren enttäuscht

„Von Menschen wurde ich schon oft enttäuscht – von Tieren nie“, hat eine Dame auf meine Vorhaltungen reagiert. Das ist Unsinn. Ich wurde sowohl von Menschen als auch von Tieren enttäuscht. Erst recht, als mir damals der dämliche Hund mit seinem Durchfall das Treppenhaus von oben bis unten vollgedrückt hat und im wahrsten Sinne des Wortes die Kacke wie in Dantes Hölle von der Decke tropfte. Ich habe ihn trotzdem nicht getötet. Auch nicht die Katzen, die sich einen Spaß daraus machen, uns gelegentlich in die Wohnung zu pissen und uns dann die Geruchsquelle suchen zu lassen. Das sind eben Tiere. Menschen haben mich auch schon enttäuscht, sogar ziemlich bitter – aber wenigstens haben sie mir nicht in die Wohnung gekackt. Danke dafür!

Ein Tier liebt dich, weil du ihm sein Essen gibst – ein Mensch, weil du so bist wie du bist. Stelle das Essengeben ein – jede Wette: Kein Hund und keine Katze werden neben einem verwesenden Leichnam verhungern. Ein Mensch hingegen ruft vielleicht den Notarzt, wenn du umkippst. Wenn er nicht selbst schwer von dir enttäuscht ist und beschließt, dass die Welt ohne dich besser dran ist.

Eine andere Frau schrieb mir: „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere“ – und ich mutmaße, seit die Menschen sie kennen, können die das auch vollumfänglich nachvollziehen.

Wäre Milana ein Schäferhund-Rottweiler-Mix, wäre das Geld längst zusammen

Mich beschleicht in dieser Situation der gelegentliche Verdacht, dass meine Landsleute Hitler zwar den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg verzeihen könnten – aber nicht, dass er seinen Schäferhund Blondi vergiftet hat. Das arme Tier. War fast genauso treu wie Goebbels. Irgendwie sind uns völlig die Prioritäten im Umgang miteinander abhandengekommen.

Gegen Tierliebe ist an sich nichts zu sagen. Solange diese nicht die Oberhand über Menschenliebe gewinnt. Wenn ich die Wahl hätte, einen Menschen oder einen Hund aus dem Feuer zu retten – ich würde den nehmen, der sich seiner selbst bewusst ist. Und das wäre nicht der Hund. Ich gebe das offen zu.

Und da sind wir beim Kernproblem: Wäre Milana ein Schäferhund-Rottweiler-Mix, dann wäre das Geld längst zusammen. So ist sie einfach nur ein Mensch. Der die ganzen Tierliebenden enttäuschen könnte. Und ich halte schon wieder die Wette: Würde ich für einen kranken Hund sammeln und das Geld dann einem kranken Menschen geben, würde es jede Menge Anzeigen wegen Veruntreuung gegen mich hageln. Schließlich hat man ja gespendet, um den Hund zu retten. Ist dieses Volk eigentlich noch zu retten und was müsste man dafür spenden? Und wo?

(Weitere tierliebende Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Martin Hausmann / 19.06.2021

Das Problem besteht in etwas, dass auch der Autor kennen sollte: Menschen lügen, um an Geld zu kommen. Daher die Frage: Ist diese Geschichte überhaupt wahr? Und was ist das für ein Verein, der unter “Gutherzig e.V.” firmiert? Hat der Autor das geprüft, bevor er sich hier zum Anwalt von Menschen macht, die er nicht kennt?

Elko Prüller / 19.06.2021

Nein, diese Gesellschaft ist nicht mehr zu retten! Corona hat meinen Blick geweitet, mein Auge und mein Ohr geschärft, und als armer Rentner hat man so viel mehr Zeit als früher, über das Gesehene, Gehörte und Gelesene nachzudenken. Man erkennt verschüttete historische und ökonomische Zusammenhänge wieder neu, findet Wiederholungen schon der eigenen Geschichte, erst recht natürlich in der gesamten westlichen Kulturgeschichte. Auferstanden aus Ruinen, das wird die Hymne des Neuanfangs sein,  aber erst dann, wenn in dieser infantilen Gesellschaft der Egoisten,  der (Denk)Faulen, Amüsiergeilen, der Dummen, der großmäuligen Totalversager alles kaputt gewirtschaftet sein wirdund wenn auch die privilgierten Fantasten plötzlich nichts mehr zu fressen haben werden. Da sie ja alle beamtet sind, kann es sehr lange dauern, bis sie merken, dass sie sich nicht selbst regieren können.

Gudrun Meyer / 19.06.2021

Die Spendenaktion für die junge Frau wurde nicht von geschickten Journalisten auf die richtige Seite der Regionalzeitung oder in die richtige Sendung des regionalen Radioprogramms geschaltet. Dahinter steckt alles Mögliche, neben anderem auch wirklich eine größere Hilfsbereitschaft gegenüber Tieren als gegenüber Menschen. Aber entscheidend ist die schlechte Organisation, an der immer wieder und in jeder Stadt geplante oder bereits gestartete Hilfsaktionen für Menschen scheitern. Im Raum Darmstadt ist es mehrmals gelungen, in kurzer Zeit Knochenmarksspender für Leukämiepatienten, darunter kleine Kinder, aber auch Erwachsene, zu finden. Anscheinend funktioniert die Zusammenarbeit von Ärzten, Krebshilfe und weiteren Beteiligten gut. Aber vielleicht ist es ja im Raum Darmstadt anders als in anderen Regionen. Übrigens ist es nicht nötig, gegen Tierliebe oder gar gegen die Tiere selbst zu mosern, nur weil es auch menschenfeindliche Tierfreunde gibt. Und noch etwas: Bitte veröffentlichen Sie die IBAN, über die man für Milanas Behandlung spenden könnte. Viele achgut-Leser würden es tun, nehme ich an.

S.Wietzke / 19.06.2021

Was sie beschreiben ist nichts weiter als das Psychogramm einer schwer gestörten Gesellschaft. Aktuell könnte man ja dutzende Geschichten mit gleicher Tendenz, aber ohne Tiere, erzählen. Diese Gesellschaft ist nicht zu retten und wie dieser Text wunderbar zeigt: Es gibt auch nicht den geringsten Grund es überhaupt zu versuchen.

Frank Dom / 19.06.2021

Der eigentliche Skandal ist, dass unsere Geliebte Führerin Milliarden für Linksextreme sowie Afrikaner und Asylantem ausgibt, unser Gesundheitssystem solche Behandlungen aber nicht abdeckt.

Rainer Niersberger / 19.06.2021

Wie immer ist eine Bestandsaufnahme der (in diesem Fall emotionalen) Verfasstheit dieser Gesellschaft hilfreich. Diese Bestandsaufnahme fuehrt zu Ergebnissen, die zumindest einige Phaenomene erklaeren. So sollte nicht jede “Spende” als Ausdruck des Mitgefuehls verstanden werden. Mein Verdacht ist, dass es sehr vielen Spendern in dieser Gesellschaft um sehr eigennuetzige Motive und sehr wenig um gezeigte Empathie geht, wissend, dass Empathie nur unter bestimmten Bedingungen moeglich ist. Bei den meisten beschleicht mich ein ausgepraegter Entlastungs - und Gewissensberuhigungsverdacht. Mitunter spielt auch die Nennung im Fernsehen eine gewisse Rolle. Dass sehr viele “viel Gefuehl” fuer den Fremden, aber sehr wenig fuer den Naechsten aufbringen, sollte misstrauisch machen. Das gilt auch fuer die inflationäre Monstranz der einschlägigen “Roman” Begriffe wie z. B. Liebe, die ganz erstaunlich haeufig im Spiel ist, wenn das Objekt fuer den Eigenbedarf “passt”. Hier wird (selbst) getaeuscht und projiziert, was das Zeug herhaelt . Realiter ist der gemeine Deutsche deutlich narzisstischer. Zudem sollte man klassische Emotionen genauer von den reichlich zu beobachtenden Affekten und Impulsen oder der ausgeprägten Larmoyanz trennen.  Das Ergebnis einer ehrlichen Emotionalitätspruefung des neurotischen Deutschen an sich waere deutlich negativer, als offiziell gewuenscht.

J.G.R. Benthien / 19.06.2021

01: Sie treiben sich im Abschaum der Menschheit herum, was überflüssig wie ein Loch im Kopf ist. 02: Im »Netz« gibt es zu viel Betrug, Lügen, etc. Woher wollen Sie wissen, dass es Ihre »Milana« wirklich gibt, dass sie wirklich 26 und schwer krank ist? 03. Haben Sie das gründlich recherchiert? 04. Ist Ihnen Milana in Persona bekannt und haben Sie ihre Patientenakte gelesen? 05. In Deutschland hat so gut wie jeder eine KV, die Behandlungen bezahlt. 06. Merken Sie, wo der Fehler liegt?

Ralf.Michael / 19.06.2021

Herr Schneider: Vielleicht liegt es einfach daran, dass man den Deutschen Michel zuu oft abgezockt und ver**scht hat ?? Früher war da mehr im Klingelbeutel und die Grossen Organizations (insbesondere unsere Katholen) hatten gerade so noch einigermassen ihr karges Einkommen. in schlechten Zeiten sinkt halt auch die Spender-Dingsbums :o((

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