Volker Seitz / 20.11.2019 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 21 / Seite ausdrucken

Bericht von der Weltbevölkerungskonferenz

Das Berlin-Institut für Demografie hat in einer Studie über die demografische Entwicklung Afrikas im Juni 2019 festgestellt, dass das hohe Bevölkerungswachstum viele Probleme des Kontinents verschärfen wird. Fortschritte in den einzelnen Ländern werden von dem Bevölkerungswachstum aufgezehrt. Da das Wirtschaftswachstum auf immer mehr Köpfe verteilt werden muss, bleibt der „Wohlstandsgewinn“ aus.

In der kenianischen Hauptstadt Nairobi fand vom 12. bis 14. November 2019 eine Weltbevölkerungskonferenz statt. Es nahmen 6.000 Regierungsvertreter, Gesundheitsexperten und gesellschaftliche Akteure aus mehr als 160 Ländern teil. Zuletzt 1994 hatten 179 Staaten in Kairo diskutiert, wie das Wachstum der Weltbevölkerung begrenzt werden kann. Das Kairoer Aktionsprogramm umfasste einen Leitfaden, mit dem die reproduktive und sexuelle Gesundheit in den einzelnen Ländern verbessert werden sollte. Seither hat sich wenig getan, und es dauerte 25 Jahre, bis wieder eine Konferenz anberaumt wurde. Noch immer sind viele der Ziele eine Wunschvorstellung. Und das Thema Bevölkerungswachstum ist mehr denn je hochsensibel.

Die stellvertretende UN-Generalsekretärin Amina Mohammed erklärte bei der Eröffnung: Es sei „ein Menschenrecht, den Zeitpunkt und die Zahl der Kinder selbst zu bestimmen“. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der mit dem UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) und Dänemark die Konferenz ausrichtete, fasste die bedrückende Lage zusammen: 800 Frauen und Mädchen sterben täglich während der Schwangerschaft oder Geburt. 33.000 Mädchen unter 18 Jahren werden jeden Tag verheiratet. Vier Millionen Mädchen müssen jedes Jahr qualvolle weibliche Genitalverstümmelung durchleben. 

Bevölkerungsentwicklung und damit verbundene sexuelle Gesundheit und Rechte seien definitiv ein sensibles Thema, gerade in Afrika, sagt Angela Bähr, die Programmdirektorin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Die langjährige Erfahrung dieser Stiftung mit Aufklärungs- und Familienplanungsprojekten in Ostafrika zeigt, dass Aufklärung besonders erfolgreich ist, wenn junge Menschen gleichzeitig neue Perspektiven auf ein besseres, wirtschaftlich unabhängiges Leben erhalten. In rund 400 Jugendklubs in Äthiopien, Kenia, Tansania und Uganda informieren von der Stiftung ausgebildete junge Menschen ihre Altersgenossen, wie sie sich vor ungewollten Schwangerschaften und einer Ansteckung mit HIV schützen können. Die Aufklärungsarbeit wird verbunden mit Aus- und Weiterbildungsangeboten. Eltern, Lehrer sowie lokale und religiöse Meinungsführer werden miteinbezogen.

Erneute Verdopplung

Das Wachstum der Bevölkerung sei ein entscheidender Parameter für den Klimawandel und den Planeten insgesamt, sagt Professor Mojib Latif vom Geomar Helmholtz Center for Ocean Research Kiel. Ohne die Zunahme der Weltbevölkerung könne man auch den Klimawandel nicht verstehen.

Vor allem im südlich der Sahara gelegenen Teil Afrikas wird sich die Bevölkerung bereits in den nächsten 32 Jahren erneut verdoppeln. In Entwicklungsländern kommt es jährlich zu 89 Millionen ungewollten Schwangerschaften – in Afrika sind Kinderehen und der soziale Druck, viele Kinder zu bekommen, hoch. Ein Bewusstsein für die langfristigen Gefahren eines anhaltend hohen Bevölkerungswachstums ist bei den meisten Afrikanern, besonders auf dem Land, nicht zu erkennen. Große Fortschritte mit Verhütungsmitteln wurden in Ruanda, Botswana, Mauritius und Äthiopien erzielt. Die Geburtenraten sind in diesen Ländern seit Jahren fallend. Auch Kenia, Ghana, Senegal, Tunesien und Marokko machen laut der eingangs erwähnten Studie Fortschritte. 

Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen bei der Strategie, wie das weltweite Bevölkerungswachstum begrenzt werden kann. Etwa durch Bildung, Familienplanung, Aufklärung, die bereits in der Schule beginnt, und mehr Rechte für Frauen. Kronprinzessin Mary von Dänemark forderte in Nairobi, immer noch bestehende Tabus rund um Verhütung und Sexualaufklärung müssten beseitigt werden. In Afrika südlich der Sahara nutzen Frauen – nach meinen Informationen – aus der obersten Einkommensschicht im Durchschnitt dreimal häufiger Verhütungsmittel als solche aus dem untersten Einkommensbereich. Wohlhabendere Frauen haben einen höheren Bildungsgrad und mehr Einkommen und deshalb einen besseren Zugang zu Informationen und mehr Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Verhütungsmittel.

Auch wird es weiter darauf ankommen, wirklich Alternativen bezüglich der Einkommenssicherung und Altersvorsorge anzubieten. Sicherlich trägt eine Absicherung im Alter dazu bei, den Wunsch nach vielen Kindern zu verringern. Auf staatlicher Seite hapert es leider oft am politischen Willen: Es bedarf aber politischer Überzeugungsarbeit bei den Regierungen. 

Die meisten Kinder in den ärmsten Ländern

Der Vatikan, der 1994 dabei war, distanzierte sich von der Veranstaltung in Nairobi. Katholische Bischöfe erklärten, dass mit der Konferenz der Versuch unternommen werde, „unsere Jugend zu korrumpieren und sie zu Sklaven einer fremden Ideologie zu machen“. In vielen katholisch geprägten afrikanischen Ländern bestreiten Bischöfe den Nutzen von Verhütungsmitteln und bezeichnen diese sogar als „unheilig“, wie etwa der kenianische Erzbischof Zacchaeus Okoth 2017. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) betonte zwar in Interviews die Relevanz von Bildung, Aufklärung, Familienplanung und Verbesserung der Rechte der Frauen, blieb dann der Konferenz aber ebenfalls fern. 

Den Menschen in Afrika Zugang zu Nahrung, Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, sind die zentralen Herausforderungen. Denn es sind vor allem die weltweit ärmsten Länder, in denen die meisten Kinder geboren werden. Staaten, die ihrer Bevölkerung keine angemessene Grundversorgung bereitstellen, kann eine Zunahme der Bevölkerung an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit bringen und so vermehrt zu Konflikten führen. Auf dem gesamten Kontinent werden pro Jahr nur etwa drei Millionen formale Arbeitsplätze geschaffen. Ob die Nairobi-Konferenz viel bewirkt, muss sich zeigen. Die Beteiligung war freiwillig, die Verpflichtungen sind nicht bindend. 

Ohne die notwendige Aufklärung, auch in medizinischer Hinsicht der Männer in die Aufklärungsarbeit, wird die Position und Rolle der Frauen in großen Teilen der afrikanischen Gesellschaft gegenwärtig noch nicht stark genug sein, wirklich an den entsprechenden Tagen Nein zu sagen. Einige Frauen empfinden einen hohen Druck, viele Kinder zu bekommen, um vom Mann anerkannt zu werden. Damit sich Geschlechterrollen und -normen verändern, ist es meines Erachtens besonders wichtig, auch Jungen und Männer in Familienplanungsprogramme einzubinden.

Denn sie können erheblich dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen bei der Familienplanung mitentscheiden, indem sie Verhütungsmittel verwenden, ihre Partnerin unterstützen, keine Gewalt ausüben und die Gleichstellung der Geschlechter fördern. Aber auch die gesamte Gemeinschaft und vor allem politische und religiöse Meinungsführer müssen miteinbezogen werden, um langfristige Änderungen zu bewirken. Allerdings ist es „oft ist nicht ein Problem des Unwissens, sondern ein Problem des Nicht-wissen-wollens.“

(Prof. Dietrich Dörner: Logik des Misslingens, Rowohlt 15. Auflage 2018)

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. (Zwei Nachauflagen 2019) Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Caroline Neufert / 20.11.2019

Was halten Sie von der These, die diese Woche in der ZEIT diskutiert wurde, dass der Peak an Menschen bei 11/12 Mrd erreicht ist und sich das Wachstum schon verlangsamt hat ?

Dexter Gordon / 20.11.2019

“Warum müssen wir in der westlichen Welt die Überbevölkerung Afrikas aufnehmen? ” Diese simple Frage konnte mir noch kein Linker und kein Klimaretter beantworten.

Margit Broetz / 20.11.2019

Und wir lösen das Problem der afrikanischen Überbevölkerung, indem wir alle überschüssigen Afrikaner bei uns aufnehmen! Ob “Fridays for Future” oder “Extiction Rebellion” das wirkliche Problem zur Kenntnis nehmen? Für die Grünen scheint das jedenfalls der Plan zu sein. Es gibt tatsächlich Menschen, die ein Überbevölkerungsproblem leugnen. Kommentar eines Lesers auf irgend einem anderen Forum: “Die werden uns auffressen.”

Reinhold Schmidt / 20.11.2019

Die Bevölkerungsexplosion darf eben nicht nur unter moralischen oder emanzipatorischen Gesichtspunktenn diskutiert werden. Sie hat ganz banale negative Auswirkungen auf die Ressourcen unsere Erde und schränkt die Möglichkeiten von Staaten sich zu modernen Gesellschaften weiter zu entwickeln extrem ein (vielleicht ist das ja von manchen Ideologen gewünscht). Ich will hier allerdings mal einen Gesichtspunkt herausgreifen, der im heutigen Klimakrisengeschwätz besonders wichtig ist, aber gern völlig ausgeblendet wird. Ein Mensch produziert im Jahr - je nach körperlicher Betätigung - zwischen 170 Kg und 2000 Kg CO2 allein durch das Ausatmen (insofern sollte man das freitägliche Hüpfen für das Klima schon allein aus Klimaschutzgründen bleiben lassen). Die zusätzliche CO2 Produktion durch Kochen, Heizen usw ist hier noch gar nicht gerechnet. Zum Vergleich produziert mein Diesel SUV bei 1 5 000 Km pro Jahr etwa 2500 Kg CO2. Das heißt, dass der Bevölkerungszuwachs der letzten 10 - 12 Jahre von 1 Milliarde Menschen allein mit ihrer Atemluft jährlich in etwa soviel CO2 produzieren wie die derzeit etwa 400 Millionen Pkw auf dieser Welt. Auch die geplante CO2 Einsparung in DEU oder EU kann man im Hinblick auf eine Klimaschutzwirkung (sofern überhaupt vorhanden) bei einem ungebremsten Bevölkerungswachstum vergessen.

Dr. Gerhard Giesemann / 20.11.2019

Das Bild erinnert mich an “cheaper by the dozen”, im Dutzend billiger. Herrlicher Film, auf Grundlage einer alten Geschichte - ungefähr so alt wie ich. Damals war das noch lustig, heute ist Schluss damit. @M. Schneider: Ich fürchte, Sie haben recht.

S. Marek / 20.11.2019

Innerhalb von einer Generation wird sich das Problem nivellieren. Die “flüchtenden” moslemischen Nord Afrikaner und Nah- und Fehrnost Asiaten werden den EU Westlichen Demografie-Knick voll überkompensionieren und somit auch unsere Lebensverhältnisse angleichen. Auch die Problematik mit dem Vatikan und seinem Konsil werden dann Geschichte werden. Die Scharia wird es schon richten. Mohammed hat es schon vorgelebt und den Weg für alle Ewigkeit vorgezeichnet. Also Inshallah ..., und alles nur weil die West-Europeer die Geschichtliche Bildung als unwichtig erklärt haben, ihre westlichen Werte zuerst für Erdöl verkauft haben und jetzt lassen sie Ihre disfunktionale Jugend für Klima hupfen als Strafe für die Sünden der Eltern und Großeltern.

Wilfried Cremer / 20.11.2019

Verhütung ist wirklich unheilig. Es ist rassistisch zu glauben, Afrikaner können nicht enthaltsam sein.

Michael Guhlmann / 20.11.2019

@Dr.Gerhard Giesemann: Danke, daß Sie noch einmal an das Buch von Neuffer erinnern. Im Augenblick wird es bei ZVAB.com für 204 Euro plus Versand angeboten (ein Exemplar) und bei booklooker.de für vergleichsweise läppische 70 Euro plus Versand (zwei Exemplare).

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