Volker Seitz / 22.09.2020 / 11:00 / 39 / Seite ausdrucken

Beethoven als Hassobjekt

Die angestrengte Suche nach Feindbildern geht weiter. Unter dem Titel "Jetzt gehen Bilderstürmer auch noch auf Beethoven los" schreibt Elmar Krekeler auf Welt-Online am 18.9.2020:  

"Nach dem klassischen linken und elitären Denkmuster, dass Erfolg ja prinzipiell verdächtig ist, dass damit irgendwas nicht stimmen kann, dass da eine Verschwörung hinter stecken muss, rücken sie [Vox, ein eher linkes digitales Nachrichtenportal] mit den Waffen der Cancel Culture nun auf das größtmögliche musikalischer Denkmal vor, um es in der Nachfolge von Kant & Co vom Sockel zu stoßen. Beethoven im Allgemeinen und die Fünfte im Besonderen seien Symbole der Exklusion und des ‚elitism‘ der Weißen. Und Beethoven, den afroamerikanische Aktivisten immer mal wieder als Schwarzen für sich zu reklamieren versuchen [ihm wurden maurische Vorfahren angedichtet], ein ‚white supremacist‘". 

Cancel Culture wird meist eher links im politischen Spektrum verortet und meint die Menschen nach ihren Ideen erziehen zu dürfen. Anders meinende Positionen werden unter Verweis auf ihre ethische oder politische Fragwürdigkeit unterdrückt, Auftritte ihrer Protagonisten abgesagt, Stellungnahmen nicht publiziert. Händler werden aufgefordert, missliebige Bücher auszulisten. Gleiche Rechte und individuelle Freiheiten werden in anderen politischen Kontexten als nachrangig angesehen. Cancel Culture hat sich in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung etabliert, und somit trägt der Bürger selbst durch seinen Rundfunkbeitrag dazu bei, dass seine Meinungsfreiheit auf diese Weise eingeschränkt wird. Wie weit ist es von einer übertriebenen politischen Korrektheit bis zur ersten Bücherverbrennung? Im Internet gibt es schon Videos, in denen J. K. Rowlings Bücher angezündet wurden.

Cancel Culture ist eine Form des Ausstiegs aus dem Projekt der Aufklärung meint Julian Nida-Rümelin. Soziale Medien dienen nicht der Information. Der amerikanische Autor Ezra Klein kommt in seinem Buch „Why we’re polarized“ zu dem Schluss, dass Social Media, und vor allem Twitter, massiv die Inszenierung von Politik und Gesellschaft als Konflikt verstärken. Offenbar sind vor allem Journalisten, Politiker und politische Aktivisten sehr intensiv auf Twitter unterwegs. Aber es gibt auch die Möglichkeit für jeden, anonym und ohne Verantwortung übernehmen zu müssen, über die asozialen Medien Existenzen zu vernichten. Nach jeder kleinen Empörung einer schreienden Minderheit bei Twitter & Co wird in den Medien berichtet. Offenbar spielt auch die Freude an Demütigung von Mitmenschen eine Rolle. 

Krekeler empfielt am Schluss seines Stücks, dass geschichtsblinde Scharfrichter und Denkmalstürzer von heute ihre heißgelaufene Ideologiezentrale (vulgo Gehirn) ein paar Diskursgrade herunterkühlen und Beethoven hören sollten.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Burkhard Mundt / 22.09.2020

Beethoven? Hitler liebte doch Wagner. Und eine gewisse Dame besucht auch gerne Bayreuth.

Olaf Kränert / 22.09.2020

Nun, jetzt ist Beethoven dran, der kann sich ja auch nicht mehr wehren! Ich glaube, dass es in diesem Land sehr viele Menschen mit unglaublich viel Zeit für saudumme Gedanken gibt. Ich empfehle daher harte Arbeit, bestens geeignet sind Bergwerke, einige Tage unter Tage, die würden den politisch Korrekten “gut tun” und man lernt Beethoven’s Musik   lieben. Also kommt ins Erzgebirge, hier gibt es wieder Bergwerke für Euch, Glück Auf !

Hans-Peter Dollhopf / 22.09.2020

Herr Mainz, schlechtes Falsifizierungskriterium, ggganz schlechtes! Und für was überhaupt? Die Sinfonie ist ein aus mehreren Sätzen bestehendes Werk für Orchester ohne Solisten, doch seit Beethovens Neunter ist auch der Einsatz von Gesangstimmen gebräuchlich, ohne die dominierende Funktion des Orchesters aufzugeben. Ein Musiker, Musikant oder Tonkünstler dagegen ist ein Künstler, der musiziert. “Warten wir doch die erste Sinfonie eines schwarzafrikanischen Musikers ab.” Wozu denn? Ich lade Sie ein zu Joseph Bologne, George Augustus Polgreen Bridgetower, Florence B. Price, Anthony Davis, Scott Joplin . . . !

Wolfgang Voigt / 22.09.2020

Ich versuche ab und zu einmal in in unserer Cafeteria ein Gespräch mit unserer nachrückenden gebildeten Generation über Literatur, Musik Kunst und Kultur zu führen. Vergebens zumeist. Mark Twain: ….wer ist das? Lesen: ….ach nein. Klassische Musik: ...noch nie gehört. Heinz Erhardt? Geschichte? Ich könnte mir aber Pausenfüllende Gespräche über World of Warcraft, House of Cards und Anime anhören. Das Verständnis von Satire bewegt sich auf dem Niveau von Böhmermmann. Meist sitze ich allein.

Kurt Müller / 22.09.2020

Ich denke ernsthaft, dieser verdrehte Mist überall, ist eine Folge von Überhteoretisierung und von zu viel Gender Studies und ähnlichen Fächern. Ich bin ja Ingenieur, habe aber vor rund zwölf Jahren durch hochinteressante abendlange Gespräche mit einem Doktor der Sparchwissenschaften über sogenannte Diskurs-Analyse und andere Themen gesprochen, und mich angefangen, für philologische Disziplinen zu interessieren, und habe angefangen, massenweise die gelben Bücher vom Reclam-Verlag z. B. zur Texttheorie zu lesen. Offen gesagt, es endete damit, daß ich nach drei bis vier Jahren ziemlich schlechte Laune bekommen habe. Auch war ich entrüstet über die Art und Weise, wie nach Belieben Zusammenhänge herbeifabuliert werden, ohne daß irgend etwas bewiesen werden braucht, oft in einem Tonfall, als ob es sich um gesichertes Wissen handelt, was einem die Sprache verschlägt. Dagegen wirkt die große Grammatik “Das Wort” und “Der Satz” regelrecht erfrischend logisch. Ansonsten ... man berauscht sich an seinem Geschreibe - manisches Schreiben als eine Form der Sucht, statt Reduktion auf das Wesentliche. In zehn von diesen gelben Büchern zur Texttheorie findet man höchstens vier Aufsätze, wo man auch als Ingenieur sagt: große Klasse. Über den Kummer geholfen hat mir dann das Buch “Die Hexenmeister der Sozialwissenschaften”. Ansonsten ... wenn man sich nun überlegt, dass es in anderen Wissenschaften auch so zugeht, und das diese Disiplinen sehr beliebt sind und viele akademisierte Abgänger und Dauerschwätzer hervorbringen ... da kann man sich vorstellen, wie eine ursprünglich vielleicht ganz anders gemeinte Kritik in der Praxis solche Bilderstürmerei hervorbringt, obwohl das vielleicht gar nicht beabsichtigt war. Denn es gibt in dieses Disziplinen zwar Dekonstruktion durch andere Authoren - aber eben kein Korrektiv, wie es dem wissenschaftlichen Arbeiten zueigen ist, wo man stets mit Beweis und Widerspruch arbeiten muß.

Sabine Lotus / 22.09.2020

H@rr Müller, ich mag Sie. Und da dem so ist, lege ich Ihnen die “Falco - Symphonics” ans Herz. Darin finden Sie viele Antworten auf Ihre Fragen.

Hans-Peter Dollhopf / 22.09.2020

MOMENT >>>>>>> Hier ist doch wohl nicht DER BEETHOVEN gemeint? <<<<<<< DER, dem die siebenfache Mutter Röschen ebenso wie die nullfache Mutti beim Anhören ihrer als EUR-Hymne-Remake auf immer&ewig; zweckentfremdeten Neunten eine neo-adelige Feuchte im Höschen verdanken? ARRGH ... und das Ständerchen am Jean-Claude auch noch. fack ju göhte

Claudius Pappe / 22.09.2020

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