„Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Am 18. April 1521 hatte sich Martin Luther geweigert zu widerrufen. In Worms, vor dem Reichstag, vor Kaiser Karl V. Dass das Ganze für ihn den Tod bedeuten könne, nahm er in Kauf. Zu fest war er davon überzeugt, vor seinem Gotte das Richtige zu tun. Er verteidigte seine Lehre. Ob dies tatsächlich auch mit den bekannten, oft zitierten Schlussworten erfolgte oder ob es sich hier lediglich um eine pointierte, einprägsame Verkürzung handelt, ist für die nicht zu überschätzende Bedeutung des Geschehens nebensächlich.
Das Ereignis vor 500 Jahren gilt als eines der Symbole für Standhaftigkeit gegenüber der Obrigkeit aus Gewissensgründen. Der Tag gehört zu den Meilensteinen oder sagen wir ruhig zu den Sternstunden der Geschichte des – sich damals entwickelnden – Protestantismus. Luthers Mut wurde unzählige Male als Beispiel herangezogen.
Die evangelische Kirche hatte, in unserer ohnehin jubiläumsfreudigen Zeit wenig verwunderlich, entsprechende Feierlichkeiten vorgesehen. Der Jahrestag schlechthin, der heutige 18. April 2021, fällt auch noch auf einen Sonntag, passender ging es eigentlich kaum.
Damals gab es Martin Luther. Heute gibt es Heinrich Bedford-Strohm. Letzterer ist Bischof und als EKD-Ratsvorsitzender der oberste deutsche Protestant und damit quasi eine Art Nachfolger… nein, der Gedanke will auch mit allen zeit- und umständebedingten Abstrichen keine so rechte Gestalt annehmen.
Der Protestant und die Obrigkeit
Dass der deutsche evangelische Chefbischof anlässlich des großen „Hier-stehe-ich,-ich kann-nicht-anders“-Festgottesdienstes in Worms prominent auftritt, stand eigentlich nicht infrage. Angekündigt hatte sich zudem, als Zeichen einer Annäherung vor dem Hintergrund der so oft beklagten Kirchenspaltung, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, mithin der deutsche katholische Chefbischof.
Anfang Februar verkündete Frank-Walter Steinmeier jedoch, dass er just am 18. April 2021 der Corona-Toten gedenken wolle, zentral, in Berlin. Nun fällt es äußerst schwer (und das ist schon die zweite derartige Klippe in diesem Text), einen Leitfunktionär vom Schlag des derzeitigen Bundespräsidenten mit dem – zugegebenermaßen auch etwas antiquierten – Wort Obrigkeit in Verbindung zu bringen. Indes, im Grundgesetz steht es anders und die Köpfe, die seinerzeit Luther heranzitierten, an der Spitze der noch sehr jugendliche Karl V., waren möglicherweise auch nicht durchweg Figuren von erschütterndem Charisma.
Bleiben wir also beim Begriff Obrigkeit. Diejenige vor 500 Jahren bestellte oder befahl Luther nach Worms, mit dem Ansinnen, dass er öffentlich widerrufe. Die heutige Obrigkeit kündigte eine – in ihrer instrumentalisierenden Absicht ohnehin arg fragwürdige – Demonstration an. Bedford-Strohm war weder angesprochen, schon gar nicht geladen, spürte aber wohl dennoch so etwas wie einen Ruf. In Berlin muss er beifällig anwesend sein. Die Entscheidung war schnell erfolgt. Dass der Chefbischof die Politik der Obrigkeit unterstützt, lässt sich wohl nicht so gut aus dem fernen Worms zeigen. Zumal in Erinnerung an ein Ereignis, welches in seiner Vorstellungswelt ausweislich seiner Priorisierung kaum über den Rang einer neckischen Folklore hinausreicht. Dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz ebenfalls seine Anwesenheit in Worms absagte, womit die ökumenische Geste entfällt, war eine zwingende Folge. Der Katholik Bätzing ist heute ebenfalls in Berlin.
Man sollte ruhig darauf hinweisen, dass der – dem offiziellen Steinmeier-Corona-Gedenken – vorausgehende Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ursprünglich nicht vorgesehen war, aber die kirchlichen Herren, die so gerne in die Hauptstadt wollten, konnte man dann wohl doch nicht mit einem Platz im Auditorium bescheiden.
„Digitaler Festakt“ als Ersatzprogramm
Das Wormser Programm wurde schließlich arg zusammengeschrumpft, immerhin durfte man vorfristig am Freitag – also zwei Tage vor dem Jubiläum von Luthers großem „Nein“ – via Bildschirm („digitaler Festakt“) mitfeiern, die Herren Bedford-Strohm und Steinmeier waren da neben anderen zu bewundern, vielleicht hat das der eine oder andere ja auch zum „Homeschunkeling“ genutzt – eine Gaudi, die die im „digitalen Festakt“ von Worms ebenfalls auftretende Ministerpräsidentin Marie-Luise („Malu“) Dreyer vor einigen Wochen bereits als Corona-Karnevalsersatz empfohlen hatte, „Fastnachter ist man ja im Herzen“. Da könnte Bedford-Strohm auch gut anknüpfen: „Protestant bin ich im Herzen“. Jubiläum abgehakt.
Der ursprünglich geplante, große Festgottesdienst in Besinnung auf Luthers historische Verweigerung in Worms findet nun gar nicht statt, fast verschämt ist da lediglich ein morgendlicher Gottesdienst geblieben, irgendwas mit „Zivilcourage“ als Thema. Vor allem gilt die Wormser Aufmerksamkeit aber der Berliner Corona-Instrumentalisierung, die der oberste evangelische Bischof ungebeten, aber umso bereitwilliger mitzelebriert.
Die Dinge, die für den EKD-Ratsvorsitzenden nur marginal Bedeutung haben, lassen sich etwa hier nachlesen: Klaus-Rüdiger Mai, Und wenn die Welt voll Teufel wär. Martin Luther in Worms, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. In diesem Buch finden sich auch Passagen wie: „Herrschaften und Regime geraten in der Regel aus zwei Gründen ins Wanken: erstens wenn sie den Interessenausgleich zwischen wichtigen Schichten und Gruppen der Bevölkerung nicht mehr zu organisieren vermögen oder das nicht für nötig erachten; zweitens wenn sie sich nicht mehr an das eigene Recht halten, das ihre Herrschaft legitimiert.“