Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 09.05.2008
In zehn Tagen beginnt in Bonn die große Konferenz zur biologischen Vielfalt. 5000 Teilnehmer aus 190 Ländern werden erwartet. Hoffentlich wird sie mehr sein als eine weitere folgenlose Weltkonferenz. Ein paar praktische Konsequenzen wären sehr willkommen. Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten ist kein Öko-Hype sondern eine traurige und vielfach bewiesene Tatsache. Das Schlimmste daran ist: Aussterben lässt sich nicht rückgängig machen. Umwelttechnik kann die Luftverschmutzung abstellen und Flüsse sanieren – doch keine verlorene Art zurückholen.
Aber vielleicht vermisst ja auch keiner etwas, wenn Tiere oder Pflanzen verschwinden. Dass legt zumindest eine Umfrage nahe, die Wissenschaftler der Fachhochschule Weihenstephan zusammen mit dem Bayerischen Landesbund für Vogelschutz durchgeführt haben. Sie befragten 3228 bayerische Schüler aller Schulformen nach den zwölf häufigsten Vogelarten des Landes. Das Ergebnis stimmt nicht gerade öko-optimistisch. Den Buchfinken, die häufigste Vogelart Bayerns, die obendrein durch buntes Gefieder und prägnanten Gesang auffällt, kann nur jeder Zwanzigste identifizieren. Im Durchschnitt kennen die Kinder vier Vogelarten. Selbst der Spatz ist nur noch einem Drittel bekannt und acht Prozent können nicht einen einzigen Vogel richtig bestimmen.
Das Bild passt zu dem, was uns Wissenschaftler aus biologischen Forschungseinrichtungen berichten: Ihre Studenten verfügen in der Regel über mangelhafte Artenkenntnisse. Die Identifikation mancher Insekten in den naturkundlichen Sammlungen obliegt engagierten Laien, die sich die Kenntnisse autodidaktisch erworben haben. Leider sind diese Laien fast ausnahmslos im Rentenalter.
Wie kommt es, dass in einer Gesellschaft, die dauernd Öko-Alarm ruft und die die Natur zum Paradies verkitscht, sich kaum mehr jemand in der Natur auskennen mag? Wenn die Natur so etwas Schönes ist ist, wie alle behaupten, warum interessiert sich niemand für sie? Die Weihenstephaner Wissenschaftler sagen, dass das praktische Naturwissen früher hauptsächlich vom Großvater auf die Enkel übertragen wurde – was heute immer seltener stattfindet. Die Schulen schließen diese Wissenslücke nicht. Im Gegenteil: Die Biologie – von der alle sagen, sie sei die Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts – führt ein Schattendasein. Bayerische Realschüler der 6. Klasse bekommen nur eine Stunde Bio pro Woche. Für die heimischen Vögel kann der Lehrer nicht mehr als ein bis zwei Stunden im Jahr verwenden. Wir möchten zwei Gründe ergänzen: Übertriebene Naturschutzbestimmungen verbieten den sinnlichen Zugang, der die Aufmerksamkeit von Kindern am besten weckt. Es ist heute verboten Kaulquappen zu fangen, um ihre Wandlung zum Frosch zuhause zu beobachten. Und viertens tragen die Umweltverbände selbst eine Mitschuld: Vor lauter Apokalypsenrhetorik haben sie vergessen, den Menschen die Natur zu erklären.