Das neue Disziplinarrecht, mit dem unliebsame Beamte ohne Gerichtsbeschluss aus dem Dienst entfernt werden können, ist – inklusive Beweislastumkehr – gerade in Kraft getreten. Und prompt werden missliebige Polizisten ins Visier genommen.
Dein Freund und Helfer? Es ist fast hundert Jahre her, dass der sozialdemokratische preußische Innenminister Albert Grzesinski diesen Begriff im Vorwort eines Buches zur Berliner Polizeiausstellung kreierte: Die Polizei habe „ein Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung zu sein.“ In seiner Kindheit lernte der Autor dieses Textes den Polizisten als freundlichen Schutzmann kennen, etwa in Gestalt des gemütlichen Wachtmeisters Dimpflmoser im „Räuber Hotzenplotz“, später dann in Hamburg als „Bünabe“, so die Abkürzung des Bürgernahen Beamten, den es seit 1981 in der Hansestadt gibt.
Tempi passati. Dass Polizisten auch mal sehr ungemütlich werden können, haben zuletzt Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen am eigenen Leib erlebt. Die vielfach dokumentierten, völlig unverhältnismäßigen Übergriffe von Beamten in jenen Jahren waren es jedoch nicht, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu veranlasst haben, das Disziplinarrecht zu reformieren. Sie will Extremisten oder Beamte, die sie dafür hält, aus politischen Gründen „schneller aus dem Dienst entfernen“ – was allerhand Möglichkeiten der Willkür eröffnet, wie die NZZ eben schrieb.
Um den Beamten in die Wüste zu schicken, bedarf es nämlich keines Gerichtsbeschlusses mehr, das entscheidet die eigene Behörde. „Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“, so Faesers Begründung für ihr verschärftes „Paket gegen Rechtsextremismus“, was erst einmal logisch klingt, doch zu Recht fragt die Autorin Fatina Keilani, woran man das bitte erkennen wolle. Schließlich hätten auch Beamte ein Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Betätigung, und Verfassungsfeindlichkeit werde einem dieser Tage ja auch schon unterstellt, wenn man die Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen hinterfrage oder glaube, dass es nur zwei Geschlechter gibt.
Politischer Anstandswauwau für die Polizei
Hier kommt die berüchtigte „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ins Spiel, die nach den Worten der Ministerinnen Faeser und Paus sowie des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang ausdrücklich auch Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze einschließt. Keilani schreibt:
„Das neue Disziplinarrecht umfasst auch Richter. Bis zum Äussersten gedacht, eröffnet es die Möglichkeit einer bereinigten Justiz, die der Exekutive nicht mehr gefährlich werden kann. Zudem ist die Beweislast umgedreht: Der aus dem Dienst entfernte Beamte muss seine Tadellosigkeit nachweisen. Er hat dabei nicht mehr seine vollen Bezüge, und falls er sich als der Bezahlung ,nicht würdig‘ erweist, bekommt er sogar gar nichts.“
Sie weist außerdem darauf hin, dass Disziplinarmaßnahmen nur selten verhängt werden. Von 190.000 Bundesbeamten seien im Jahr 2021 weniger als 0,2 Prozent „disziplinarisch auffällig“ geworden. Womit wir zur Meldung des gestrigen Tages kommen, einem weiteren Beispiel für die schon länger gern geübte Praxis, politische Entscheidungen medial flankieren zu lassen. Mal kann das durch eine konzertierte Kampagne einer angeblichen „Pandemie der Ungeimpften“ geschehen, mal durch einen vermeintlichen Scoop wie die Aufdeckung eines gar schröcklichen „Geheimtreffens“, bei dem ein noch schröcklicherer „Geheimplan“ besprochen worden sei, der die Republik in ihren Grundfesten erschütterte.
Die brandheiße Version lautet: „Hunderte Polizisten unter Extremismusverdacht“ wie Medien titelten: „Etwa 400 Polizistinnen und Polizisten der Länder stehen unter Rechtsextremismus-Verdacht. (…) Der zuständige Bundesbeauftragte, Grötsch, nennt die Gefahr groß wie nie.“
Dazu muss man wissen, dass der Sozialdemokrat Uli Grötsch gerade erst sein Amt übernommen hat. Als unabhängige Kontrollinstanz außerhalb von Behörden und Justiz soll er – zuständig für die dem Bund untergeordneten Polizeibehörden, also die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag – mit seinen 18 Mitarbeitern Verdachtsfälle etwa von Extremismus, Frauenfeindlichkeit oder Racial Profiling prüfen. Das hört sich genau so an, wie es gemeint ist: Grötsch soll nicht zwischen Bürger und Polizei vermitteln und schon gar nicht den Fürsprecher der Polizisten geben, sondern deren politischen Anstandswauwau spielen, indem er strukturelles Fehlverhalten bei der Polizei aufdeckt.
Zählt man eins und eins zusammen, muss man Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), zustimmen, der im Focus schreibt:
„Und natürlich darf das neue Bundesdisziplinargesetz nicht fehlen. Mit dessen Hilfe werden alle Vollzugskräfte der Bundespolizei unter Reichsbürger-Generalverdacht gestellt, um unliebsame Leute möglichst ohne vorherige richterliche Prüfung rauswerfen und ihrer Existenz berauben zu können.“
Suche nach „Rechtsextremen“ mit dürftigem Erfolg
Schon seit einigen Jahren ist eine verstörende Tendenz zu beobachten: Ausgerechnet staatliche Organe wie die Polizei oder die Bundeswehr werden vom Staat selbst unter Verdacht gestellt, es wird zum großen Halali auf „Rechte“ geblasen. Man erinnert sich an die Razzien in Bundeswehr-Kasernen anno 2017, die nach Bekanntwerden des recht dubiosen Falls des terrorverdächtigen Soldaten Franco A. von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angeordnet worden waren, um rechte Umtriebe offenzulegen. Die Durchsuchungen erwiesen sich allerdings als veritabler Schuss in den Ofen: 400 Militärdevotionalien wurden insgesamt gefunden, darunter Helme, Uniformen, Gewehre, Panzermodelle, Säbel und Schwerter, jedoch nur ein Teil hatte Wehrmachtsbezug. Inwiefern etwa ein Modell des Schlachtschiffs Tirpitz im Regal eine rechtsradikale Gesinnung offenbaren soll, konnte auch nicht näher erläutert werden.
Der Zweifel war aber schon mal gesät, was wohl der eigentliche Zweck der Übung war. In der Folge konnte man immer wieder mal von ominösen Chatgruppen lesen und hören, in denen Polizisten „rechtsextreme, rassistische und antisemitische Inhalte ausgetauscht“ hätten oder in denen ein Polizist „Nachrichten mit herabwürdigenden beziehungsweise menschenverachtenden Inhalten“ in Chatgruppen geteilt habe.
Meistens gaben solche Vorfälle – siehe die Kasernen-Razzien – wenig bis nichts her, die Suspendierung einer Polizistin unter Rechtsextremismus-Verdacht wegen „Volksverhetzung“ etwa wurde gerichtlich aufgehoben, als sich herausstellte, dass der vermeintlich rechtsextreme Inhalt einer Chat-Gruppe in Wahrheit eine Hitler-Parodie war.
Was die Politik nicht daran hindert, weiter von „rechten Umtrieben“ in den Institutionen zu raunen, um politisch unliebsame Beamte loswerden zu können. Niemand ist mehr sicher – weder das „Kommando Spezialkräfte“, wenn eine „Schweinekopf-Party“ mit Rechtsrock veranstaltet worden sein soll, noch der Militärische Abwehrdienst. Wenn dort nur 0,1 Promille aller Soldaten entsprechend auffällig werden, ist das für die SZ nur ein Indiz dafür, dass man dort kein Interesse an Aufklärung hat und die Kameraden da doch eh alle zusammenhalten.
Verdachtsfälle im Promillebereich „große Gefahr“?
Was ist denn nun von der Behauptung des erwähnten Bundesbeauftragten Grötsch zu halten, die Gefahr sei „groß wie nie“? Natürlich passt sie in die Erzählung von der allgegenwärtigen Gefahr von rechts, der ein „starker Staat“ mit allen Mitteln begegnen müsse, aber man muss schon fragen, ob 400 Verdachtsfälle angesichts von rund 330.000 Polizisten in Bund und Ländern sich nicht doch eher marginal ausmachen. Verdachtsfälle im Promillebereich (ca. 0,1 Prozent), in denen es sich auch um ziemlich banale Anschuldigungen handeln kann oder die sich am Ende zur Hälfte in Luft auflösen, müssen nicht zwangsläufig den Staat unterminieren.
Nehmen wir eine Meldung vom Ende vergangenen Jahres, als der Tagesspiegel von insgesamt 216 rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Verdachtsfällen („N-Wort“ sagen reicht schon) in der Bundeswehr berichtete, von denen sich nur 47 Prozent bestätigten, also rund hundert Fälle unter 260.000 Bundeswehr-Angehörigen. Ob das die „neuen Werkzeuge“ rechtfertigt, die Verteidigungsminister Boris Pistorius in die Hand nimmt, um in den eigenen Strukturen nach subversiven Elementen zu suchen?
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sagte eben: „Polizistinnen und Polizisten, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, sondern extremistische Ansichten verfolgen, sind eine große Gefahr für die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit“, solche Menschen wolle er nicht bei der Polizei haben. Dann stellt sich allerdings die Frage, warum Leute, die den Staat ablehnen, überhaupt zur Polizei oder zur Bundeswehr gehen und den Diensteid leisten: „Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen“.
Der oft bemühte „Generalverdacht“, in der Debatte um Ausländerkriminalität gern unterstellt, scheint die Politik nicht zu stören, wenn es um die Staatsbediensteten geht. Im Gegenteil beabsichtigt sie wohl die durch ihr Gerede geschaffene Unsicherheit, was man denn nun noch Kritisches sagen darf und was nicht. Im Zweifel soll der Beamte sich eben auf die Zunge beißen, sonst ist er fällig. Eine Säuberung auf die mehr oder weniger subtile Art.
In einem Interview mit nd (Neues Deutschland) sprach der damalige grüne Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus Benedikt Lux anno 2020 folgende denkwürdige Worte:
„Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht. Bei der Feuerwehr, der Polizei, der Generalstaatsanwaltschaft und auch beim Verfassungsschutz. Ich hoffe sehr, dass sich das in Zukunft bemerkbar macht.“
Seine Hoffnung dürfte sich erfüllt haben.
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Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.