Von Ben Salomo.
Es ist nicht der Deutschrap an sich, der antisemitisch, antijüdisch und antiisraelisch ist. Hip-Hop ist eigentlich sogar im Gegenteil Ausdruck einer besonderen Offenheit für andere Kulturen und Lebenseinstellungen. So war es zumindest am Anfang, und so sollte es auch sein. Das ist auch das, was die Szene gerne von sich behauptet und über sich kommuniziert. Fühlt sie sich angegriffen, reagiert sie aber leider schnell aggressiv und abweisend und zeigt, wie wenig kritikfähig sie ist. Deshalb weist sie auch den Vorwurf zurück, es gebe antisemitische Tendenzen im Deutschrap. Sie zieht sich dann gerne auf die Freiheit der Kunst zurück, die für sie ein absolut unantastbares Gut ist.
Tatsächlich ist die Freiheit der Kunst ein sehr wichtiges Element unserer Demokratie, nicht umsonst ist sie durch das Grundgesetz besonders geschützt. Aber auch die Freiheit der Kunst ist nicht grenzenlos, wie viele Deutschrap-Fans glauben. Auch sie hat ihre Grenzen – nämlich genau dort, wo Kunst, in diesem Fall also die Rapmusik, anfängt, andere Gruppen pauschal zu diffamieren, herabzuwürdigen, zu beleidigen, zu entmenschlichen und zu diskriminieren.
Die Übergänge zwischen dem, was gerade noch erlaubt ist, und dem, was die Grenze überschreitet, sind im Deutschrap wahrscheinlich so fließend wie in keinem anderen Bereich der Gesellschaft. Das gilt besonders für den Battle-Rap, der ja gerade davon lebt, den Gegner zu dissen und herabzusetzen. Aber es geht eben um den einen konkreten Gegner, nicht um eine ganze Gruppe von Menschen. Bei Rap am Mittwoch war für mich an dieser Stelle die Grenze überschritten. Viele Fans wollten das nicht einsehen und kritisierten mich scharf; sie warfen mir „Zensur“ vor. Ich glaube trotzdem, dass meine Haltung die richtige war und ist, zumal das Problem des Antisemitismus immer größer wird.
Es braucht guten Willen und Einsicht
Was kann man also tun, um antisemitische Tendenzen im Rap einzudämmen und damit zugleich dem Antisemitismus in der Gesellschaft stärker entgegenzutreten? Ich habe mir acht Punkte überlegt, die helfen könnten, das Problem zu bekämpfen. Sie umzusetzen, braucht guten Willen und Einsicht ebenso wie konkrete – auch gesetzliche – Maßnahmen.
Die Rap-Künstler selbst müssen sich ihrer Verantwortung, die sie gerade als Künstler für die Gesellschaft und in ihrem speziellen Fall für die Jugendlichen haben, bewusst werden. Natürlich werde ich mit diesem Appell bei denjenigen, die meinen, was sie rappen, die also echte antisemitische Grundüberzeugungen haben, auf taube Ohren stoßen. Aber es gibt ja auch diejenigen, die mit antijüdischen Narrativen spielen, weil sie gelernt haben, dass sich Holocaust- oder Juden-Lines positiv auf den Stand ihres Kontos auswirken. Von ihnen darf man erwarten, dass sie darüber nachdenken, auf solche Andeutungen zu verzichten. Sie müssen erkennen, dass sie Jugendliche – gerade durch die ständige Wiederholung und eine permanente Ausdehnung der Grenzen – in eine Richtung beeinflussen, die gefährlich für die gesamte Gesellschaft ist. Schließlich wollen die Rapper als Künstler ernst genommen werden – sonst würden sie nicht in so hohem Maße sozialkritische Texte bringen. Es muss klar sein: Antisemitismus ist keine Kunst und keine Meinung und kann und darf deshalb auch nicht durch die Freiheit der Kunst oder der Meinung geschützt werden.
Die Deutschrap-Szene muss sich dem Problem des Antisemitismus in den eigenen Reihen viel stärker stellen als bisher. Dazu gehört es, antisemitische Texte von Künstlern zu kritisieren, aber vor allem auch, Judenhasser und Israelfeinde in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Es muss klargemacht werden, dass der weitverbreitete Hass auf den Staat Israel und die „Zionisten“ keine Äußerung im politischen Meinungskampf um die richtige Nahost- Politik ist, sondern purer Antisemitismus. Wer Israel von der Landkarte tilgt, wie es Bushido auf dem Foto seines Twitter-Accounts getan hat, will letztlich nichts anderes als alle Israelis ins Meer treiben. In der Konsequenz macht es aber keinen Unterschied, ob man Juden in der Gaskammer ermordet oder im Meer ertrinken lässt. Es mag sein, dass sich viele Deutschrap-Fans, die zum Beispiel in Facebook-Kommentaren fordern, dass Israel „weg“ müsse, sich dessen gar nicht so richtig bewusst sind. Dann hilft nur eins: nachdenken, sich informieren und seine Meinung auf eine fundiertere Basis stellen.
In hohem Maße gefragt sind die Eltern. Vielen Eltern ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, welche Art Musik ihre Kids hören. Hinschauen und hinhören ist wichtig! Wenn Jugendliche immer und immer wieder hören, dass Juden scheiße sind und die Rothschilds die Welt beherrschen wollen, besteht die große Gefahr, dass sie das irgendwann auch glauben. Und was in den Köpfen erst einmal drinnen ist, ist schwer wieder heraus zu bekommen. Wir kennen das von Jugendlichen, die in die Neonazi-Szene abgerutscht sind, wobei übrigens auch da oft rechtsradikale Rockmusik eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Wenn Eltern also beispielsweise am Frühstückstisch bemerken, dass ihr Sohn ein Deutschrap-Video auf YouTube anschaut, heißt es: hinschauen – und das im Zweifel auch verbieten, wenn es einen antisemitischen oder menschenverachtenden Charakter hat. Im Kopf des Sprösslings setzen sich solche Aussagen genauso fest wie ein extremer Pornofilm. Und welche Eltern würden es erlauben, wenn ihr 16-jähriger Sohn beim Frühstück einen Porno schaut? Verbieten allein reicht aber natürlich nicht aus. Die Eltern müssen mit ihrem Kind reden und es darüber aufklären, dass die antijüdischen und antiisraelischen Narrative falsch sind. Das Gleiche gilt für andere Inhalte wie Rassismus, Frauenverachtung und Homophobie. Die Eltern müssen versuchen, sich den Einfluss zurückzuholen, den sie vielleicht an einen Rapper wie Kollegah verloren haben.
Lehrer können etwas tun
Auch Lehrer kämpfen mit dem Problem, dass sie von Schülern längst nicht als eine Autorität angesehen werden wie die großen Rap-Stars, zu denen die Jugendlichen oft aufschauen – besonders, wenn Stars wie Kollegah sich als „Der Boss“ inszenieren, der in allen Lebenssituationen Rat weiß. Das Beispiel des Lehrers, der seinen Schülern zum Vergleich das Bild eines Bodybuilders und das eines Auschwitz-Insassen zeigte, macht klar, dass Lehrer etwas tun können, wenn sie Kreativität an den Tag legen. Sie müssen das Problem aber überhaupt erst erkennen und dürfen nicht weghören, wenn das Wort „Jude“ oder das N-Wort als Schimpfwort benutzt wird. Lehrer müssen den Kids erklären, dass Respekt eine wichtige Voraussetzung für den Umgang von Menschen, Personengruppen und Staaten ist.
Gefragt ist aber auch die Schallplattenindustrie. Labels verdienen viel Geld mit den Künstlern, daher ist ihre Lust, im Sinne des demokratischen Konsenses Flagge zu zeigen, nicht unbedingt sehr groß. Kollegah beispielsweise verlor seinen Plattenvertrag erst nach der Aufregung um die Echo-Verleihung – dabei hätte es doch vorher wahrlich Gründe genug gegeben, ihm zu kündigen. Natürlich haben die Rapper immer die Möglichkeit, eigene Labels zu gründen, und viele tun das ja auch. Aber wenn große Plattenfirmen ganz bewusst wegen antisemitischer Texte Künstler rausschmeißen, wäre das ein wichtiges Signal. Auch die Wirtschaft trägt eine Verantwortung für die Gesellschaft.
Ebenso müssen die Veranstalter von Rap-Konzerten darauf achten, was die Künstler eigentlich auf ihren Bühnen von sich geben und was die Crowd jubelnd aufnimmt. Auch hier muss gelten: Antisemitische Inhalte und Menschenverachtung auf der Bühne gehen gar nicht. Der Zugang zu solchen Konzerten muss zudem für Jugendliche unter 18 Jahren verboten werden. Das hat nichts mit der Unterdrückung der Kunst- oder Meinungsfreiheit zu tun, denn wie schon gesagt: Antisemitismus ist keine Kunst und keine tolerierbare Meinung.
Wir müssen realistisch sein: Die hier beschriebenen Punkte 1 bis 6 sind wichtig und bilden die Grundlage dafür, dass sich etwas ändert. Aber sie allein werden niemals ausreichen. Wir brauchen strengere Regeln durch die Behörden und den Gesetzgeber. Das bedeutet zunächst, dass die zuständigen Behörden viel strenger hinschauen und hinhören und viel mehr Songs indizieren müssen. Dann gelangen sie nicht mehr zu den jugendlichen Hörern. Diese Maßnahme gibt auch Eltern und Lehrern ein zusätzliches Argument an die Hand – sie können darauf verweisen, dass bestimmte Songs verboten sind. Gegenwärtig können die Jugendlichen immer wieder mit Recht behaupten, dass diese Songs ja erlaubt seien.
Noch gefährlicher als Neonazi-Musik
Last but not least müssen aber auch gesetzliche Regelungen und Maßnahmen her, um den grassierenden Antisemitismus in der Rap-Szene zu stoppen. Antisemitische Rapmusik muss genauso verfolgt werden wie Neonazi-Musik, denn sie ist noch gefährlicher als diese, einfach deshalb, weil sie ungleich mehr Jugendliche erreicht. Mit gesetzgeberischen Maßnahmen müssen beispielsweise Konzertveranstalter dazu gezwungen werden, darauf zu achten, was auf ihren Bühnen gerappt wird, und gegebenenfalls auch einzuschreiten. Antisemitische Rapper müssen genauso beobachtet und verfolgt werden wie Neonazis, und zwar auch vom Verfassungsschutz.
Mir ist klar, dass die Deutschrap-Szene bei diesen Forderungen empört aufschreien und sich auf die „Kunstfreiheit“ berufen wird. Aber Antisemitismus darf nicht geduldet werden, auch nicht als Form der Kunst. Das Problem ist größer als die Rap-Szene – der Antisemitismus hat sich in der ganzen Gesellschaft ausgebreitet. Gesellschaft und Politik müssen aufwachen und gegen diese Tendenzen einschreiten. Das gilt auch und gerade für die Deutschrap-Szene. Leider aber ist sie eher Teil des Problems denn Teil der Lösung, weil sie die antisemitischen Tendenzen ignoriert, verniedlicht oder gar leugnet.
Man fühlt sich größtenteils als links und frei – wie sollte es da sein, dass es Antisemitismus in den eigenen Reihen gibt! Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf. Viele Juden in Deutschland denken inzwischen darüber nach, das Land zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Sie fühlen sich nicht mehr wohl, sie fühlen sich hier diskriminiert und mit ihren Ängsten nicht ernst genommen. Viele haben Angst, und es werden nach jedem antisemitischen Vorfall mehr. Ich weiß aus persönlicher jahrzehntelanger Erfahrung, wovon ich spreche. Wenn die Gesellschaft insgesamt und die Deutschrap-Szene im Speziellen das Problem des schleichenden, aber stetig anwachsenden, oftmals hinter einer Kritik am Staat Israel und den „Zionisten“ versteckten Antisemitismus nicht in den Griff bekommt, wird Deutschland bald zu einem Land werden, in dem Juden nicht mehr leben können. Es wird „judenfrei“, so wie Adolf Hitler sich das einstmals vorstellte. Wollen wir das wirklich?
Auszug aus dem neu erschienenen Buch Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens, Euro-Verlag.
Ben Salomo wurde 1977 unter dem bürgerlichen Namen Jonathan Kalmanovich in der israelischen Stadt Rechovot geboren. Im Alter von vier Jahren siedelte er gemeinsam mit seinen Eltern in das damalige West-Berlin um. Hier hielt er Kontakt zur Jüdischen Gemeinde und wuchs zugleich in den Hinterhöfen von Schöneberg unter arabischen und türkischen Migranten auf. 1997 begann er, Hip-Hop-Musik zu machen. Acht Jahre hostete er auf Youtube die erfolgreiche Battle-Rap-Veranstaltung „Rap am Mittwoch“ mit rund 417.000 Abonnenten und über 112 Millionen Views. Im Mai 2018 gab er das Musikformat wegen der starken antisemitischen Tendenzen in der Deutschrap-Szene auf. Für sein Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus wurde ihm 2018 das Robert-Goldmann-Stipendium verliehen.