Chaim Noll / 19.06.2022 / 10:00 / Foto: A.Bechlenberg / 128 / Seite ausdrucken

Angela Merkel und die Unfähigkeit zu trauern

Das hat mich immer an vielen Deutschen erstaunt: die Unfähigkeit zu lernen, zu begreifen, gegebenenfalls zu korrigieren. Man hält unbeirrt am Unbrauchbaren fest. Es gehört zu den Eigenschaften höheren Menschseins, dass wir aus Fehlern lernen.

Angela Merkel hat Recht gebrochen, Verfassungsrecht, als sie sich kraft ihrer angemaßten, leider von deutschen Mehrheiten geduldeten Omnipotenz in die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen einmischte und dafür sorgte, dass diese an sich korrekte, demokratische Wahl rückgängig“ gemacht wurde – zu diesem Urteil kam am 15. Juni 2022 die höchste dafür zuständige Instanz, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das Gericht brauchte für diese simple Feststellung zweieinhalb Jahre.

Daher bleibt das Urteil folgenlos. Es dient allenfalls dazu, dem Verfassungsgericht das angenehme Gefühl erfüllter Pflicht zu geben. Man musste der Sache notgedrungen nachgehen, weil die Partei Alternative für Deutschland Klage eingereicht hatte, doch man tat es so lustlos und langsam es ging. Angela Merkel ist unterdessen sicher im Ruhestand angekommen, sie liest jetzt Bücher, wie sie mitteilt, und vertreibt sich die Zeit in ihrem mit Millionen Steuergeldern finanzierten Büro samt hoch besoldeten Mitarbeitern, Leibwächtern und Chauffeuren. Auch mit dem Schreiben von Memoiren soll sie sich beschäftigen. Ich will mich nicht der gleichen Barbarei schuldig machen wie sie im Fall Sarrazin und abfällig über ein Buch urteilen, das ich nicht gelesen habe. Doch ich halte es für hoffnungslos, von diesem Buch irgendeine erhellende Wahrheit über die 16 Jahre Aussitzen, Aufschieben, Ausweichen und Abwälzen zu erwarten, die diese Frau „Regieren“ nannte.

Solange sie fest im Amt saß, haben die großen deutschen Medien, deren Aufgabe eigentlich kritische Berichterstattung über den Politikbetrieb wäre, brav stillgehalten. So wie das Bundesverfassungsgericht. Jetzt, wo es vollkommen ungefährlich ist, wagen sich erste Opportunisten hervor wie Sascha Lobo auf Spiegel Online, der von einem „Scherbenhaufen“ schreibt, den Merkels Politik  hinterlassen hätte – das gleiche Blatt verlieh ihr noch kürzlich einen „Nimbus“, einen Heiligenschein, und wusste von „übermenschlichen“ politischen Fähigkeiten der Katastrophen-Kanzlerin.

Wir haben hier auf Achgut getan, was wir konnten, und sind dafür ostrakisiert und ausgegrenzt worden. Es nützt uns nichts, dass wir mit unseren traurigen Voraussagen recht hatten – die Folgen des Niedergangs treffen uns jetzt wie alle anderen. Meine kritische Haltung zu Merkel – damals, als sie noch allmächtig war – hat auch mich einiges gekostet. Ich habe Deutschland wieder so erlebt, wie ich es seit meiner Jugend im kommunistischen Teil kannte: feiges Zurückweichen, hinterhältiges Denunzieren, Absagen von Verlagen, die meine Bücher nicht mehr veröffentlichen wollten, oder von Veranstaltern, die Lesungen und Vorträge aus dem Programm nahmen. Ich lebe weit weg, in einem sonnigen, optimistischen Land, und komme relativ leicht darüber hinweg.

Ein sich selbst parodierendes, groteskes Kammertheater

Wäre ich aber jetzt in Deutschland – ich weiß nicht, ob ich ruhig schlafen könnte. Es macht mich traurig, Deutschland so tief im Morast zu sehen. Wer Angela Merkels peinlichen Auftritt im Berliner Ensemble gesehen hat, moderiert von dem eitlen und servilen Spiegel-Redakteur Osang, ein sich selbst parodierendes, groteskes Kammertheater, hat erlebt, dass diese Frau vollkommen unbelehrbar ist. Sie hat alles richtig gemacht. Verpackt in die scheinbare Demut ihrer leise wispernden Stimme gab sie ein fast kindisch wirkendes arrogantes Selbstlob zum Besten.

Unerfreuliche Wahrheiten perlen an dieser Frau ab wie Wasser am fettigen Gefieder von Gänsen. Sie besaß die Unverfrorenheit, sich dafür zu rühmen, dass sie freiwillig, aus eigenem Willen, also aus Edelmut aus dem Amt geschieden sei – dabei kann sie froh sein, dass man ihr einen so gnädigen Abgang gegönnt hat. Sie hätte verdient, dass ihr die Katastrophen, die sie in 16 Jahren tatenlos hat herankommen lassen, all ihre Fehlentscheidungen, Unterlassungen, Versäumnisse, mit schmerzhafter Wucht um die Ohren fliegen. Nein, sie wird kaum etwas davon abbekommen. Der steigende Benzinpreis, Inflation, explodierende Heizkosten können ihr, immer noch mit Dienstwagen, staatlichem Büro und üppigen Bezügen versorgt, nichts anhaben.

Das hat mich immer an vielen Deutschen erstaunt: die Unfähigkeit zu lernen, zu begreifen, gegebenenfalls zu korrigieren. Man hält unbeirrt am Unbrauchbaren fest. Es gehört zu den Eigenschaften höheren Menschseins, das wir aus Fehlern lernen. Was zunächst erst einmal bedeutet, dass wir sie als solche anerkennen. Dass wir sie bedauern, unter Umständen bereuen. Sogar Gott bereut mehrmals in der Bibel (Genesis 6,6; 1 Samuel 15,11 u.a.) und gibt es offen zu erkennen. Angela Merkel nicht.

Vielleicht ist es ein Fall für Psychotherapeuten. Zwei von ihnen, Margarete und Alexander Mitscherlich, haben in den sechziger Jahren ein damals berühmtes Buch geschrieben, „Die Unfähigkeit zu trauern“, das sich mit der Nicht-Bereitschaft vieler Deutscher auseinandersetzte, die selbstverschuldete Katastrophe der NS-Zeit anzuerkennen. Der Weg aus dem Desaster führt über Reflexion, Analyse, Eingeständnis von Fehlern, Bedauern. Wie schon in ihren früheren Lebensperioden gibt die ehemalige Kanzlerin das denkbar schlechteste Beispiel.  

Foto: A.Bechlenberg

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Elly Ron / 19.06.2022

Herr Noll hat natürlich recht mit seinen Vorwürfen an Frau Merkel und damit an die Deutschen insgesamt, Fehler nicht als solche zu erkennen, sich einzugestehen, geschweige denn sie zu korrigieren. Aber befinden wir uns in Bezug auf Lernunfähigkeit weltweit nicht in guter Gesellschaft? Z.B. in Sachen Corona-“Impf”-Kampanien? Israel propagiert jetzt schon den 5. Pieks! Und hält damit leider, leider - völlig unverständlicherweise - auch am Unbrauchbaren fest. Milde ausgedrückt.

Hans Marner / 19.06.2022

Dankeschön für den Artikel. Ja, mir fällt da noch etwas ein, das totale Verschweigen und Todschweigen des Amokmörders vom Breitscheidplatz am 08.06.22 mit über 30 Verletzten und einer ermordeten, überfahrenen Lehrerin. - Achgut hat es zu 100 Prozent todgeschwiegen- Ihre totale Unfähigkeit, Mitgefühl mit den fürs Leben Gezeichneten zu äußern- wie auch das Spiegel-Magazin oder Reitschuster.de,  Die Umgefahrenen total ignoriert und also für unwichtig markiert, stinkt kolossal zum Himmel! Es schmerzt genauso wie der Vorfall an sich. Sie wissen nicht, was sie tun, ihre Moral ist verfehlt und ist im Angesicht dieses Totalversagens nicht mehr ernst zu nehmen. Mit Achgut bin ich in diesem Sinne durch. Danke.

Siegfried Ulrich / 19.06.2022

@A.Ostrovsky: Das mit der “woken” Mathematik konnte man schon in “1984” finden. Am Ende waren 2+2=5 - nach entsprechender Behandlung…

Johannes H. Weiler / 19.06.2022

Lieber Herr Noll, ich bin Deutscher, kann allerdings nicht behaupten, dergestalt lernunfähig zu sein, wie Sie dies „den Deutschen“ zuschreiben. Außerdem darf ja jeder Einzelne, der neu auf die Welt kommt, alles neu lernen. Wenn die Typen der Altlastparteien das weitergeben sollen, was Ihrer Ansicht nach und zu Recht zu lernen wäre, selbst aber nichts im Schädel haben als sich selbst - wie soll das funktionieren? Ich sehe die Problematik mehr in der Käuflichkeit, dem Opportunistentum und der schlichten Blödheit einzelner Deutscher, die ohne weiteres 40 und mehr % der deutschen Gesellschaft ausmachen. Ich erinnere mich mit Grausen an die Dame von der SPD, die geweint hat, weil bei der Bürgerbefragung in Kaufbeuren keine Zustimmung zum Bau der Moschee herauskam. Die Fragen, wer alles so Deutscher sein darf und weshalb, stelle ich schon gleich überhaupt gar nicht. Auf Deutsch gesagt: Dieser nun anstehende Abstieg, einschließlich die Zunahme der Verblödung seit dem Aufstieg der 68-er, kotzt mich an. Wer hat die ersten Vertreter in die Institutionen gehievt? Nun befinden sich diese Gurken in allen Altlastparteien.

D. Bock / 19.06.2022

Passendes Bild von der Ollen aus der Uckermark, das neben ihrer Dummheit auch ihren verbissenen Hass auf die erfolgreichen Westdeutschen demonstriert, denen sie es ja nun gezeigt hat. Denkt sie.

Mathias Rudek / 19.06.2022

Aus ihnen spricht eine sympathische Melancholie, lieber Herr Noll. Ich habe diese Politik nicht gewollt und auch nicht gewählt, aber “nun sind sie da, die Konsequenzen.” Man kann die Realität verleugnen, aber nicht die Konsequenzen dieser Verleugnung. Über diese Verirrungen, die dieses Land umkreisen kann man sehr lange lamentieren. Für mich steht aber fest, daß das neue Führungsduo der Grünen - Baerbock und Habeck -  totalitäre Züge trägt. Hört man sich Frau Künast an, dann weiß der Bürger, wie empathielos und inkompetent diese “woke” Partei ist. Mamsel Merkel hat die gesamte Vorarbeit geleistet.

Georg Dobler / 19.06.2022

” Ich lebe weit weg, in einem sonnigen, optimistischen Land,” Ich versichere Ihnen meinen (positiv meinenden) Neid und meine Sympathie mit diesem wehrhaften und geduldigen Land.

Konrad Wilhelm / 19.06.2022

war da nicht etwas um 1990 in Stuttg. Bad Cannstatt Taubenheimstraße in einem russischen Privatunternehmen, das die Karriere der M. durch einen kleinen Obolus an den Helmut Kohl ermöglicht hat ?  Sie wissen es, Herr Hans Noll und meine Kreise auch. Was schweigen Sie,  Ihnen geschieht nichts und mich wird man liquidieren, wenn ich weiterschreibe.Allein dieser Text kann mich umbringen

Oliver Puchert / 19.06.2022

Warum nicht mal die kriminelle Energie des staatsratsvorsitzenden Hosenanzugs thematisieren? Reicht dafür etwa der Platz auf der Achse nicht?

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