Interessanter als der Gedanke, dass manche Kriegskinder Probleme haben, ist, wie viele ihre oft schwerwiegende Erfahrungen so gut wegstecken. Qualitative Forschung ist eigentlich dafür gedacht, mehr Einsicht in Themenfelder zu bekommen, worüber nicht viel bekannt ist. Einen ersten Einblick sozusagen om zu schauen welche Themen hochkommen. Es nützt ja nichts eine Umfrage zu beginnen, in dem wichtige Fragen außer acht bleiben. Es handelt sich also oft um einen Auftakt für mehr “klassische” Forschung. Ob der Ansatz sinnvoll ist bei einem Thema worüber schon soviel geschrieben wurde wie Kriegskinder ist die zweite Frage.
“Ich habe spät begonnen, meine Persönlichkeit im Lichte dieser Biographie neu zu sehen und mein Leben neu zu lesen.” Meine Güte, hat diese Frau nichts anderes zu tun ? Aus den meisten Kindern der Kriegs- und Nachkriegszeit sind verantwortungsvolle, bodenständige und autarke Menschen geworden. Wir haben vor allem eine interessante, kreative Kindheit verbracht und mußten zum großen Teil auch Verantwortung übernehmen. Ich kenne niemand von meiner Generation, der das “Leben neu lesen muß”, sorry, aber mit solchen selbst gezimmerten Problemen befasse ich mich nicht.
Verdammt, warum hat man mir Kriegskind nicht gesagt, daß mir eine Laufbahn als Psychoanalytiker oder was mit Psycho zusteht, bei meiner Veranlagung ! So muß ich mich unter Palmen mit einer Cohiba und Lagavulin zufrieden geben ! Mist aber auch !
Sehr geehrter Herr Grell, Dank für diese Betrachtung, die mir (geboren 1943 und sieben Jahre ohne Vater aufgewachsen, weil der damals im Umkreis von Swerdlowsk, heute Jekaterinburg, der sowjetischen Forstwirtschaft unentbehrlich war) wieder einmal meine Verachtung für viele Soziologen erhellt. Deren Forschungsergebnisse kann ich ohnehin nicht bereichern: Das Leben war schön, wunderschön, besonders dann, wenn man es sich selbst einbrocken konnte!
In heutiger Zeit, in der das väterliche, das männliche Prinzip immer mehr infrage gestellt wird, stellt sich ebenso die Frage, ob die Väter zwar physisch anwesend sind, emotional jedoch ihre Bedeutung für die Kinder verloren haben. Denn das Kind muss wegen der gesellschaftlichen Ächtung des Männlichen möglicherweise auf den Vater „verzichten“. Der Vater wird zu einer Art zweiten Mutter. Zwei Mütter, die sich die Erziehung teilen. Im günstigsten Fall steht/stand der Vater für eine gütige, liebevolle, jedoch auch fordernde Strenge, die dem Kind den Rücken stärkt, es aber auch an die Härten des Lebens heranführt. Die Mutter beschützt und vermittelt bedingungslose Geborgenheit, der Vater ermuntert, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Er verlangt etwas vom Kind. Er stellt Bedingungen für seine Liebe. Er fordert Anpassung an die Erfordernisse des Lebens. Wenn jedoch beide „nur noch“ beschützen, fehlt das Prinzip, welches hilft, das Leben verantwortlich und mutig zu bewältigen, welches hilft, aus dem Nest springen zu wollen, die Verwöhnung und das Beschützsein eintauschen zu wollen für das „Abenteuer“, welches eigenverantwortliches Leben heißt. Das „war“ einmal die „Aufgabe“ der Väter, vor allem im Hinblick auf ihre Söhne. Heute wird diese „Aufgabe“ nicht mehr so gesehen. Eltern sehen heute häufig ihre Aufgabe darin, Spielkameraden ihrer Kinder zu sein. Dafür zu sorgen, bei diesen keine Langeweile aufkommen zu lassen, sie möglichst perfekt zu „bespaßen“. Väter werden zu besseren Pausenclowns. Die „Abwesenheit“ der Väter ist möglicherweise zur Regel geworden.
Dank Ihnen lieber Herr Grell, weiß ich nun, dass auch ich ein doppelt armes Schwein bin. Mein Vater wurde im Februar 1945 in der Nähe von Königsberg mit einem Bauchschuß abgeschossen und starb qualvoll 6 Wochen später im Lazarett. Er liegt namenlos in Heiligenbeil mit einigen zehntausend andere begraben. Ich war da gerade in Berlin lebend 5 Jahre alt geworden. Meine Geschwister waren damals 6 und 8 Jahre alt. Den Endkampf um Berlin durften wir vom Balkon aus mit erleben. Dank der sehr wissenschaftlichen Studie, weiß ich nun, warum ich so bin wie ich bin. Ein eigentlich ganz erfolgreicher Mann, seit fast 55 Jahren mit derselben Frau verheiratet, die es trotz meiner kriegsbedingten Marotten, die ich allerdings so unterdrückte, das ich nicht mal selber weiß, dass ich sie habe, zwei erwachsenen schon seit längerem verheirateten Kindern und 3 prachtvollen Enkelsöhnen. Gut dass ich jetzt weiß dass das alles nur Fassade wahr. Damit ist mir sehr geholfen. Warum erinnert mich diese wissenschaftliche Arbeit nur so an gewisse Klimastudien? Wissen Sie’s?
Ich bin auch Kriegswaise. Jahrgang 1941. Vater 1943 gefallen. Erinnerungen an den Krieg: Keine, bis auf das brennende Hamburg bei der Ausbombung. Ich soll begeistert gewesen sein. Nächste Kriegserinnerung: ein schwarzer US-Soldat, der mir 1945 von einem Panzer herab weiße Schokolade schenkte. Die prägenden Jahre meines Lebens vom 5. bis 14. Lebensjahr wurden durch den Haushalt von vier Frauen, davon zwei Kriegerwitwen, in dem ich aufwuchs bestimmt. Nicht nur rückblickend war das die Hölle bei Nulltoleranz der Frauen zu meinen „männlichen“ Eigenheiten. Gott sei Dank hatte ich die Möglichkeit, und nahm die Gelegenheiten auch wahr, mich durch das Studium von Literatur jeglichen Genres zu einem Normalo zu erziehen. Der einzige Vorteil, den ich als einziger Sohn einer Kriegerwitwe hatte war der, dass ich den Dienst bei der Bundeswehr umgehen konnte. Ein Nachteil, den ich erst heute erkenne ist der, dass ich Nulltoleranz gegen die chillende Lebensauffassung der heutigen jüngeren Generation aufbringen kann. Auch verstehe ich die Beweggründe am Festhalten an der inzwischen mehrfach durchgelegenen sozialen Hängematte nicht. Und politisch erschüttert mich nichts mehr.
Wie schön, Herr Grell, dass Sie auf ein Leben zurückblicken, wie Sie es sich kaum schöner vorstellen könnten! Das freut mich für Sie. Danke für das köstliche und so wahre Gedicht von Heinrich Heine! Ich habe es mir gleich abgeschrieben. Was für ein wunderbarer feiner, trauriger Humor in dieser so hübsch verpackten Lebensweisheit! Statistiken sind oft zweifelhaft mit dann noch zweifelhafteren Auswertungen. Herr Krämer weist ja monatlich darauf hin, wie falsch man sie auslegen kann. Dass die vaterlos aufwachsenden Jungen öfter als andere kriminell werden oder sonstwie auffällig im negativen Sinn, hat bestimmt nicht hauptsächlich mit dem fehlenden Vater zu tun, sondern mit allerlei anderen Faktoren. Die für mich ausschlaggebendste ist die genetische Disposition, die ja inzwischen fast als anrüchig, biologistisch gilt. Zerbrochene Ehen, uneheliche Kinder, verantwortungslose Väter, wenig Bildung und geringe seelische Festigkeit kommmen sicherlich in allen Schichten vor, aber AUCH sicher häufen sie sich in bestimmten Gruppierungen, und das hat auch mit bestimmten Verhaltensweisen zu tun, die AUCH eine genetische Ursache haben. Die Umwelt tut dann das Ihrige dazu. DAS scheint mir die Ursache für die bedauernswerte Entwickung dieser Kinder zu sein. Ein wunderbarer unterstützender Vater ist ein Geschenk des Lebens. Aber lieber keinen als einen gewalttätigen, drangsalierenden und traumatisierenden Vater. Und davon gibt es nicht wenige. Es ist also nicht der fehlende Vater, sondern es ist ein ganzer, unentwirrbarer Kranz von Ursachen, an denen diese vaterlosen Menschen zerbrechen.
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