Es sollte uns total egal sein können, wann und ob überhaupt Afrikaner zur Arbeit erscheinen, in Afrika und anderswo. Voraussetzung für diese Mir doch wurscht - Haltung wäre allerdings, dass besagte Afrikaner nicht erwarten und oft auch fordern, von uns für ihr “Zeit verbrauchen”, ihre Gleichgültigkeit und ihren Absentismus auch noch durchgefüttert zu werden.
Als ich das erste Mal 1976 in Kuwait war, mußten alle Passgiere an der Paßkontrlle warten, weil der Beamte Mittagspause hatte. Ein Passagier hatte sich darüber aufgeregt, sein Paß lag oben auf. Der Beamte nahm den Paß und steckte ihn ganz unten wieder in den Stapel rein. SO kann man auch “effektiv” arbeiten. Nun muß man den Menschen im arabischen, nordafrikanischen und afrikanischen Raum zugute halten, daß wir Nordeuropäer bei dieser Hitze auch nicht besonders produktiv wären. Es gibt ja nicht überall klimatisierte Räume. Es wird sich auch nicht allzuviel ändern. WER sagt denn, daß unsere Disziplin, unser Arbeitseifer, die Zuverlässigkeit das non plus ultra sein muß ? Für andere ist es vielleicht eine Siesta ? “In der einen Hälfte des Lebens opfern wir die Gesundheit, um Geld zu erwerben, in der anderen opfern wir Geld, um die Gesundheit wieder zu erlangen. Und während dieser Zeit gehen Gesundheit und Leben von dannen.” Voltaire
Nun, Herr Seitz, mir ist jede Form von Unpünktlichkeit völlig wesensfremd. Und ich erkenne auch an, dass Afrikas Wirtschaft mehr Termingenauigkeit gut gebrauchen könnte. Aber, ist dies nicht ein zweitrangiges Problem für diesen Kontinent? Ist nicht der schreckliche Hexerei-Wahn viel schädlicher? Der unerträgliche Neid auf jeden Erfolgreichen, soweit er nicht fast alles abgibt, was er erwirtschaftet hat. Der sonst verhext wird (es zumindest glaubt und darunter tief leidet) Ich beziehe mich da auf David Signer “Die Ökonomie der Hexerei” 2004, ein Buch, das Sie vermutlich kennen. Werter Herr Seitz, könnten Sie uns Lesern mal was berichten über die Plage des Hexenwahns, die diesen Kontinent weit mehr schädigt als Unpünktlichkeit?
In einer arbeitsteiligen Wirtschaft (und nur eine arbeitsteilige Wirtschaft ist wirklich produktiv) ist die effiziente Koordination der Teilnehmer ein wichtiger Produktionsfaktor. Die Industriegesellschaften haben die freie Verfügbarkeit der Zeit gegen Reichtum getauscht (also gegen Gesundheit, Abwesenheit von Hunger, niedrige Kriminalität, hohe Rechtssicherheit u.ä.). Wer diesen Tausch ablehnt, wird arm bleiben. Das Problem ist, das viele Menschen den Reichtum des Westens haben wollen, ohne den Preis, nämlich lebenslange disziplinierte Arbeit, leisten zu wollen.
„ Unpünktlichkeit wird auch bewusst als Mittel eingesetzt, um den eigenen Status zu betonen und an die eigene Wichtigkeit und Macht zu erinnern. Veranstaltungen etwa beginnen erst, wenn der protokollarisch wichtigste Teilnehmer eingetroffen ist ...“ Das ist allerdings hier bei uns auch nicht anders. Besonders wichtige Politiker bzw. insbesonders solche, die sich für wichtig halten setzen Unpünktlichkeit ebenfalls ein, um den eigenen Status quo zu betonen. Sie kommen grundsätzlich erst zu einer Veranstaltung, wenn diese schon begonnen hat. Und das Verrückte dabei ist: Nicht der zu spät gekommene Politiker entschuldigt sich für sein zu spät kommen und seine Störung der Veranstaltung, sondern der Veranstaltungsleiter oder der Redner am Rednerpult entschuldigt sich bei der zu spät gekommenen Person dann auch noch dafür, dass die Veranstaltung beteits begonnen hat. Damit hat der Politiker genau das erreicht, was er bezweckte, nämlich mit Unpünktlichkeit den eigenen Status zu verdeutlichen. Und das funktioniert immer.
Zeit ist schon eine merkwürdige Sache. Augustinus meinte, als er gefragt wurde was Zeit ist, wenn ihr mich nicht nach ihr fragt, dann weiß ich es, wenn ihr mich fragt, dann weiß ich es nicht. Einstein antwortete nur auf diese Frage, Zeit ist das was die Uhr misst. Aber zur Sache. In Europa war es bis zum ausgehenden Mittelalter ungefähr so, wie es der Autor für das heutige Afrika beschrieben hat. Erst mit der Erfindung der Uhr hat sich das geändert, Kirchtumuhren, Taschenuhren und die Pendeluhren in den Häusern gaben den Menschen eine verbindliche Zeit. Jetzt konnte man sich verbindlich verabreden, die Uhren wurden zum Taktgeber für den Tagesablauf. Dann kamen Newton und Leibniz, die die Zeit als Parameter in die Physik (mit Differentialrechnung und Integralrechnung) einführten und das war die Geburt der modernen Naturwissenschaft. Wunderbar beschrieben in dem Buch von Thomas de Padova, Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit.
Nun ist das Phänomen ja nicht nur auf Afrika beschränkt: bekanntlich ist ja schon das südliche Europa terminmäßig da etwas lockerer drauf, von Lateinamerika (Prinzip “Manana”) und dem arabischen Raum (Prinzip “Inschallah) ganz abgesehen. Positiv gewendet gilt für derlei abweichendes (oder einfach anderes) Kultur-Verhalten aus soziologischer Sicht der Begriff “Schedule Independent”. Oder, um es mit dem Kölner Grundgesetz auszudrücken: man muss auch jönne könne!
Letztlich muss man sich entscheiden. Beide Denkweisen haben ihre jeweiligen Vorzüge. Und bringen auch die jeweiligen Nachteile mit sich. Beides gleichzeitig zu haben, geht nicht. Oder höchstens auf die mediterrane Art. Ein bisschen von beidem. Dann bin ich halt nicht so effizient wie der Nordeuropäer, jedoch möglicherweise effizienter als der Afrikaner. Nur darf ich mich dann nicht beschweren und den gleichen Erlös erwarten, welchen sich der Nordeuropäer erwirtschaftet. Und ich darf nicht erwarten, dass dieser dann für meine Gemütlichkeit aufkommt. Dann muss ich zu meinem Verhältnis zu Zeit stehen, dann muss ich dazu stehen, dass ich zwar weniger an materiellen Annehmlichkeiten besitze, dafür aber vielleicht mehr vom Leben habe, etwa die Sonne genieße. Ich darf dann nicht sagen, ich sei benachteiligt und materiellen Ausgleich beanspruchen. Denn ich habe mich doch für meine Vorstellung der Verwendung von Zeit entschieden und diese Entscheidung mag ja sogar die Bessere sein. Ist es nicht diese Einstellung, um die so viele Nordeuropäer die Südeuropäer (und Afrikaner) beneiden? Jeder sollte seine Lebensweise bestimmen können, jedoch auch deren Konsequenzen erwachsen tragen. Es gibt keinen Grund etwa Afrikaner wie unselbstständige Kinder zu behandeln.
Der Deutschen Bahn gebührt das Verdienst, den afrikanischen Zeitbegriff auch hierzulande einzuführen. Der Statuszuwachs der Reisenden lässt dagegen noch zu wünschen übrig.
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