Roger Letsch / 19.04.2019 / 06:13 / Foto: Tim Maxeiner / 65 / Seite ausdrucken

Notre-Dame: Ist das Bio oder kann das weg?

In Artikeln wie diesem von Anne Kunz in der „Welt“ zeigt sich exemplarisch, warum der Journalismus in diesem Land derart auf den Hund gekommen ist. Oberlehrerhaft und atemlos rennen Kunz und Genossen mit ihren kleingeistigen Geodreiecken durch die Geschichte, um Maß zu nehmen. Was hätte sich die Menschheit doch alles sparen können, wäre der Atheismus vor dem Monotheismus erfunden worden, die Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung in Hamburg-Altona vor dem verschwenderischen Barock, und wie schön wäre es doch gewesen, wenn der Tesla schon gefahren wäre, bevor jemand auf die Idee kam, in Texas nach Öl zu bohren.

Mit dem Halbbildungsdünkel glutenfreier Millenials betrachtet, bricht jede Errungenschaft vergangener Epochen im LED-Licht der Neuzeit in sich zusammen: zu teuer, zwecklos, nicht klimaneutral, mangelnde soziale Gerechtigkeit, falsch gegendert. Pyramiden fallen durch, weil sie auch durch Sklavenarbeit errichtet wurden, die Kanalbauten von Suez oder Panama sind eine einzige Umweltzerstörung, der Dieselmotor wird vom Sockel der industriellen Revolution geholt und als Feinstaubschleuder verteufelt. Wie viele Kindergartenplätze entstanden wohl nicht, weil die Amerikaner unbedingt zum Mond wollten? Wenn sich Kunz prüfend und rügend rückwärts durch die Zeit schreibt, erscheint die Gegenwart allein als Ergebnis endloser Fehlentscheidungen. Der Bau von Kathedralen wie Notre-Dame in Paris zum Beispiel. Kunz:

„Die Kathedrale von Notre-Dame wird weltweit bewundert. Doch sie stammt aus einer düsteren Zeit. Der französische Kirchenbau der Zeit war grotesk teuer – und könnte das Mittelalter um Jahrhunderte verlängert haben. – Der Verschwendungswahn der Kirche kostete nicht nur sehr viel Geld: Tausende Arbeitskräfte waren im Einsatz, um die prunkvollen Bauten zu errichten.“

Hätte, hätte, Lichterkette

Was bleibt vom Vorwurf der Verschwendung eigentlich übrig, stellt man ihm die technologischen Entwicklungen gegenüber, die der europaweite Bau gigantischer Kathedralen brachte? Strebewerk, Kreuzgewölbe, der Kran, Gerüstbau, Malerei, Glaskunst… es waren die Sakralbauten, die im Europa nach der Antike zuerst aus Stein errichtet wurden. Es waren die Dome und Klöster, die zuerst Hospitäler betrieben. Die Geschichte durch die Brille der Gegenwart wertend betrachten, ist eine der schlimmsten medialen Unsitten und daher abzulehnen. Man wirft den Passagieren der Titanic ja auch nicht vor, sich an Bord dieses Schiffes leichtfertig in Lebensgefahr begeben zu haben.

Die Gnade der späten Geburt und die Möglichkeit, Wikipedia zu benutzen, bringt uns und Kunz noch lange nicht auf den Erfahrungshorizont der Menschen im „finsteren Mittelalter“ – das übrigens gar nicht so finster war, wie es heute dargestellt wird. Einer der Lichtblicke waren ausgerechnet jene Kathedralen der Gotik, an denen sich Kunz in ihrem Artikel so verächtlich abarbeitet. Ich für meinen Teil bin bei der Lektüre von Artikeln wie dem erwähnten in der „Welt“ stets froh, dass Leute wie Frau Kunz keinen Zugriff auf Zeitmaschinen haben. Sie würden zurückreisen bis zum Augenblick der Singularität, um ihr den Urknall auszureden. Denn ab diesem Zeitpunkt ging es ja eigentlich nur noch bergab.

Doch der Klugscheißer von heute ist ja, aus der Zukunft betrachtet, auch nur der Dummschwätzer von vorgestern. Wenn etwa eines Tages festgestellt wird, dass der Weltuntergang durch Klimawandel ausfallen musste und das Urteil über die Energiewende lautet, sie sei so „grotesk teuer“ gewesen, dass sich wegen der immensen fehlgeleiteten Ressourcen das energetische Mittelalter um Jahrhunderte verlängert hatte. Ob die verfallenen Windparks dann aber so schön anzusehen sein werden wie Notre-Dame und andere gotische Kathedralen, wage ich zu bezweifeln.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Tim Maxeiner

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Ernst Lerche / 19.04.2019

hat die katholische Kirche denn keine Feuerversicherung für die Kirche abgeschlossen,wie es jeder von uns für sein kleines Enfamilienhaus machen muß?.Hätten die Leute damals schon unsere Bau-Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze gehabt,wäre dieser Bau nie zustande gekommen,sondern nur so etwas wie der Sitz der Bundeskanzlerin in Berlin.Ich bin mal gespannt,ob man bei der Reparatur diese Bauwerks auch eine energetische Sanierung vorschreibt.Wenn nicht,wäre das aber inkonsequent-oder ?

Archi W Bechlenberg / 19.04.2019

Danke, Roger. Jetzt habe ich diesen völlig hirnlosen Text in der Welt gelesen, der mich in meiner Haltung bestärkt, nie ein Bezahl-Abo dort abzuschließen. Was kann ich alles mit dem Geld tun, das ich dadurch spare! Kunz’ Stürmerei ist im Übrigen nicht neu. So wurde in den Siebzigern auch von marxistischen Kommilitonen argumentiert, als es in Seminaren um frühere Epochen der (Bau)kunst ging. Gotik, Renaissance, Barock - in welchem irdischen Himmel wären wir heute, wenn es all dieses Gelumpe nicht gegeben hätte. Wo heute Leonardos Mona Lisa hängt, könnte seit Jahrhunderten eine Kita stehen. Oder eine Kartoffelkooperative.

Arno Besendonk / 19.04.2019

Grade das Thema Tesla und Ölbohrungen in Texas beweist doch, dass sich praktisches und nützliches schneller am Markt durchsetzt als subventioniertes. Gräbt man ein bisschen im Internet, dann stösst man auf die Behauptung der Wikipedia, wonach es bereits in den 1830 Jahren, ein gwisser Robert Anderson in Schottland mit Elektrofahrzeugen experimentiert habe. Also noch weit vor den ersten Ölbohrungen in Texas. Was sich in 190 Jahren nicht durchetzen konnte, das ist jetzt die Zukunft? Das Beispiel zeigt also bestens, wie weit Kunz und Genossenspersonen mit ihrer Technikkritik daneben liegen.

Rolf Lindner / 19.04.2019

Die bösartigste, am meisten die Umwelt zerstörende Erfindung des Menschen ist die CO2-erzeugende Herstellung und Nutzung des Feuers durch Verbrennung von Kohlenstoff. Ab sofort ist Grillen im Tiergarten (Berlin) zu verbieten. Nur so geht Grün. Ohne diese Erfindung wären der Menschheit nicht nur die Klimahysterie, sondern auch solche geistigen Diarrhoen wie die von Anne Kunz erspart geblieben.

Frank Mora / 19.04.2019

Dafür sind die Windparks noch in vielen Jahrtausenden ausgrabbar, wo doch die Fernsehturmtauglichen Fundamente (30.000, in Worten dreißigtausend allein in D) garantiert nicht aus der Erde geholt werden, auch wenn die üppigen EEG-Entgelte Pachtzahlungen in sechsstelliger Höhe Jahr für Jahr an die Grundeigentümer fließen lassen. Was die Windmüller von den bösen, bösen Atomkraftwerkabwrackern unterscheidet. Da sei schon die Cheflobbyistin der “erneuerbaren Energien”, die zwischenzeitliche Grünen-Vorsitzende Dr. Peter davor. Aber was heißt Lobbyistin. Das sind im Gegensatz zu Frau Peter alles böse Schurken, die Energiekonzerne, Chemie- und Autoindustrie, Massentierhaltungsverbrecherische Bauern, Apotheker, Soldaten und sonstige sinistre Gestalten promoten. Die “Guten” retten das Klima, auch wenn sie die Umwelt nicht schützen. Diese Tage wurde von Adlerbeschallungsanlagen berichtet, damit weitere 200m hohe Windräder gebaut werden können, Das Nitrat im Grundwasser stammt zu 100% aus Gülle von Massentierhaltungen. Die Gärreste aus “Bioerdgasanlagen” enthalten kein Nitrat und landen auch nicht auf den Feldern. Zumindest in den Veröffentlichungen der Qualitätspresse. Auch nicht bei Hinz und Kunz.

Dietrich Herrmann / 19.04.2019

Die Existenz der Dame Kunz scheint mir auch ein Fehler der Natur zu sein… Vielleicht sogar falsch gegendert.

Roland Stolla-Besta / 19.04.2019

Ein hervorragender Text, der mir aus dem Herzen spricht, bin ich doch umgeben von Leuten, die ähnliches Kunz-Geschwätz von sich geben. Wir würden noch heute in Höhlen leben, in Bio-Bärenfellen einherwandeln (falls die vegan überhaupt erlaubt wären!), hätten damals solche Klugscheißer*innen wie jene K. schon den Ton angegeben. Im übrigen dürfte im Laufe der Zeit einiges an dem alten Knowhow verloren gegangen sein. Ein solches Bauwerk wie Notre Dame in Paris brächten heutige Bauhäusler-Epigonen nicht mehr zustande.

Wilhelm Lohmar / 19.04.2019

Der Kathedralenbau war unter den mittelalterlichen Eliten religiöser und prestigestrebender Konsens, und natürlich brachte er technologische und wirtschafliche Weiterentwicklung mit sich, denn selbstverständlich war auch den damaligen Initiatoren klar, daß diese Bauvorhaben finanziert werden mußte. Besonders bemerkenswert scheint mir dabei, daß die Projekte selbst die demographische Katastrophe der Pestepidemie der Jahre 1347 ff ebenso überstanden haben, wie etwa in Frankreich die Verwüstungen des 100jährigen Krieges. Ihren nächsten Zeitungsbeitrag könnte die Frau Kunz ja über den religiös getriggerten ökonomischen Unfug der heutigen Zeit schreiben, etwa mit Blick auf Klimawandel und Energiewende

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