„Die Leute sagen immer: Die Zeiten werden schlimmer.
Die Zeiten bleiben immer. Die Leute werden schlimmer.“
(Joachim Ringelnatz)
Wir ahnen, etwas Unheimliches kommt auf uns zu. Im Gegensatz zu wechselhaften Zeiten, auf die man sich vorbereiten und deshalb gestalterisch einlassen kann, liegen die Umwälzungen der kommenden Monate im Dunkel des Unwägbaren und der unmittelbaren Gefahr, die uns unvorbereitet trifft. Es geht nicht nur um Inflation, Rezession und atavistische „Diplomatie“ mit kriegerischen Mitteln. Es geht um fast alles, was zum politischen Baukasten der Europäischen Union gehörte und nun dem freien Fall ausgesetzt ist.
Es geht um die Struktur der deutschen Wirtschaft und die innerste Struktur des Wohlstands, der Brandbeschleunigern ausgesetzt wurde. Es geht aber auch um das gescheiterte Wunschdenken der politischen Eliten. Eine Rückschritts- und Abstiegsrhetorik hat sich bereits breitgemacht, Mangelverwaltung und Rationierungsmaßnahmen wie in einer Kriegswirtschaft werden schon diskutiert. Man hatte den Bürgern die Wirklichkeit von Dominosteinen als Sicherheit und politischen Weitblick verkauft. Jetzt fallen sie um, reißen andere mit und die Bürger sehen ohnmächtig zu.
Ein Schwarzer Schwan taucht immer aus dem Nichts auf. Er macht den Menschen Angst, weil er unmittelbar die Basis der Bedürfnispyramide angreift, auf der das Sicherheitsgefühl der Bürger fußt. Heute kann kein Mut mehr aufkommen, sich dem Problem tüchtig zu stellen, wie es bei „normalen“ Abschwung-Szenarien der Fall wäre, denen man Konjunkturprogramme entgegenstellt. Anders jetzt: Die Einschnitte, Konsequenzen und der Kontrollverlust sind allumfassend und haben ihre eigene erdrückende Konjunktur, der man mit wackerer Konfrontation nicht beikommt. Sie werden das Wohlstandsgefälle mehr als verschärfen, sie werden ein neues Klassenproblem aufwerfen und das Land einer substanziellen Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens aussetzen.
Zu verdanken haben wir das einer Politik der populistischen Irrtümer und der banalen Demoskopie-Abhängigkeit, die sich nicht an langfristigen Perspektiven orientieren wollte. Die Politik hat sich unter Angela Merkel zum intellektuellen Schnell-Imbiss verwandelt und bietet seitdem lieber Heißes und Fettiges als Gesundes an. Olaf Scholz ist vom Küchengehilfen zum Chef aufgestiegen und bietet den gleichen Fraß, der den Geschmack der „Eliten“ lang genug getroffen hat. Nun gehen ihm die Zutaten aus, und die „Kunden“ werden der SPD wohl dauerhaft fernbleiben. Die Umfragewerte sind im Keller.
Abkehr von den geliebten Großzielen
Den Schwarzen Schwan hätten unsere Politiker in ihren Planspielen und Szenarien bedenken können, müssen und sollen. Das ist die vornehmliche Aufgabe von Politik: präventive Schadensabwendung. Das politische Versagen, schon lange angelegt in Zeiten des demoskopischen Absolutismus der Merkel’schen Regentschaft, kommt Deutschland nun teuer zu stehen, genauer denjenigen, die auf der einen Seite seit jeher wenig vom Wohlstand profitiert haben und solchen, die ihn auf breiter Basis erarbeiten müssen, den Mittelständlern und Freiberuflern auf der anderen Seite.
Den überheblichen Weltrettungs-Ideologen der „Transformations-Eliten“ käme ja die Zeitenwende faktisch gelegen, führt sie doch (zynisch betrachtet) verfrüht zu gewünschten Teilergebnissen der Schrumpfung und Exempeln des Verzichts. Wenn da nicht die aktuellen Verwerfungen in ihrer wirkmächtigen Impedanz wären, die jene so großspurig angelegten, gesinnungsethischen Missionen unmittelbar als das entlarven, was sie schon immer waren: fatale Irrtümer, rausgeschmissenes Geld, ideologische Turmbauten.
In politischen Schönwetterzeiten war das alles für die urbanen Mitläufer-Milieus kein Thema, als die grünen Phantastereien noch aus der Oppositionsbank tönten. Doch nun muss man die harte Realität gezwungenermaßen als hektische Mangelverwaltung und Abkehr von den geliebten Großzielen erleben, zudem als Veranlassung und in Verantwortung der Partei, die man gewählt hat. Da wird manchem Genossen, Freidenker und Öko-Fuzzi schwindelig. Die Ampel-Regierung enttäuscht ihre Wähler unisono, weil jede der drei Parteien den Kern ihrer Überzeugungen schon in der Koalition hintanstellen musste und in der tiefen Krise nun endgültig als Ballast abwirft.
Teuerste Blamage seit dem Wirtschaftswunder
Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das Gegenteil dessen zu tun, für das sie angetreten sind: milliardenschwere Rettungsschirme für Fossil-Energie, Milliardenbeträge für militärische Güter und Waffenlieferungen, Milliardenschulden zur Aufrechterhaltung einer alten, schweren Frau, die man Volkswirtschaft nennt. Man hatte eigentlich Großes mit ihr vor: Sie sollte vollständig isoliert und mit Windrädern elekrifiziert, mit Gendersternchen beglückt, als kreislaufwirtschaftendes Recyclingwunder der Welt präsentiert und mit nahezu fleischloser Biokost in Bodenhaltung ohne Meilenkonto umerzogen werden. Aus der Traum, es lebe die grüne Trümmerfrau!
Denn Klimapolitik ist für die Menschen teuer und ungerecht, nicht nur, wenn sie in Afrika leben. Auch die notgedrungene Abkehr von der Klimapolitik ist teuer und ungerecht, wenn man – wie aktuell zu sehen – als westlicher Überzeugungstäter den Wohlstand seiner Mitbürger mit regressiven Versuchsanordnungen verpulvert, um Garantien der Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Innerhalb weniger Monate ist der Traum von einer Gesellschaft zerplatzt, die ihren Reichtum angeblich „sinnvoll“ in eine mehrere Staathaushalte schluckende Energiewende, eine Verkehrswende, eine Landwirtschaftswende und eine Industriewende investieren sollte und der Welt zum Vorbild dienen wollte. Nun präsentiert sich das Gebilde auch ohne Umsetzung als teuerste Blamage seit dem Wirtschaftswunder.
Die nichtlineare Zeitenwende kam ungelegen und hat die linksgrüne Modellrechnung falsifiziert. Die Klimapolitik hat sich aus dem Munde eines grünen Wirtschaftsministers ad absurdum erklärt. Sie scheitert an den Grundbedürfnissen der Menschen, die sie eigentlich nachhaltig zu belehren trachtete. Die Zeitenwende entblößt das Großprojekt Klimaschutz und seinen Erfüllungstraum Energiewende als zynisches Manöver wider die Vernunft und die eigene Bevölkerung. Das unmissverständliche Scheitern der Klimaziele ist angezeigt, weil die Weltgeschichte einen eigenen Plan verfolgt.
Es schwindet die ideelle, innere Legitimation
Die tiefe Krise der deutschen Politik, die sich in Ideenlosigkeit und Inkompetenz, Resignation, Zaudern, Taktieren und Lavieren ausdrückt und dem Führungspersonal schon habituell anzusehen ist (allen voran dem Kanzler), lässt sich nicht nur als Reizreaktion auf die Anhäufung unvorhersehbarer Probleme zurückführen. Sie ist eine Lähmungserscheinung, die sich a priori aus dem Konstrukt der Koalitionen der letzten Jahre ergeben hat, die weltanschaulich immer erzwungen werden mussten. Eigentlich sind die politischen Lager im Kern unvereinbar, man hat in der Zwangsehe der Koalitionen eine nicht zu beseitigende Distanzproblematik aus klassisch-demokratischen und postdemokratisch-autoritären Zielen zementiert.
Während die Ideen und Ideale der demokratischen Parteien sich früher um zwei Prämissen gruppierten, nämlich die soziale Marktwirtschaft, gekoppelt an die Idee von Wachstum, und die demokratische Grundordnung als Ausdruck individueller Freiheitsrechte, stehen heute die Parteien der Ampel-Koalition bezüglich dieser Grundvoraussetzungen im Widerspruch. Sie wollen es nicht wahrhaben und verdrängen ihre Zielkonflikte und Bekenntnisse bis zur Unkenntlichkeit ihrer „Markenkerne“: In der Ampel-Koalition verhandelt man nichts weniger als die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft und der Einschränkung individueller Freiheitsrechte. In der jetzigen Krise wird diese Ungeheuerlichkeit noch reichlich vom hektischen Tagesgeschäft verdeckt, aber diese Abkehr ist dem Regierungsbündnis immanent.
Nicht nur der Koalition, auch den Parteien selbst schwindet die ideelle, innere Legitimation. Die SPD hat den Kampf für die Rechte der Unterprivilegierten aufgegeben und opfert bereitwillig deren soziale Sicherheit, wie den bescheidenen Wohlstand ihrer Stammwähler; die FDP hat die Verteidigung bürgerlicher Freiheiten und Rechte aufgegeben und bläst ins fremde Horn kapitalismusfeindlicher Ideologien; die Grünen müssen zur fossilen Energie zurückkehren, vielleicht sogar zur atomaren, nicht um das Klima zu „retten“, sondern in der erzwungenen Einsicht, dass Menschen zivilisiert leben können müssen, auch wenn das mehr CO2 produziert, als man vorhatte.
Das sind bittere Einsichten, die alle drei Parteien in der Opposition nicht hätten einnehmen müssen. Die SPD war einmal progressiv „vorwärts“, eine Partei der kleinen Leute, denen sie heute lieber Gendersprache aufdrücken will; die FDP war einmal liberal und ist heute mit zahlreichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Deutschland d'accord; die Grünen waren früher Naturschützer, nun sind sie Klimatreiber, Kriegsteilnehmer und Insolvenz-Versteher. Prinzipienlosigkeit ist leider die Vorstufe geistiger und machtpolitischer Korruption. Wie gesagt: Die Zeiten bleiben immer. Die Leute werden schlimmer.
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