Eine Feministin klagt über die Jugend

Was haben wir unseren kommenden Generationen angetan? Kann das jemals geändert werden? Und wenn ja, wie? Meine analoge Gattung ist am Aussterben. Ich würde gerne alles, was ich weiß, weitergeben – aber wie? Es wird nicht geschätzt, nicht gewollt, von denen, die es am meisten brauchen.

Eine amerikanische Professorin bat alle ihre Studenten, etwas über sich selbst zu erzählen. Eine Studentin, die vor Kurzem aus Afghanistan gekommen war, sagte dies:

„Ich habe so viel Glück. Mit meinem Pass am Körper bin ich unter dem Peitschen- und Gewehrhagel der Taliban zum Flughafen gelaufen und gerannt. Wie durch ein Wunder hielten auch einige Mitglieder meiner Familie mit, und wir schafften es, in den dreckigen Abwasserkanal zu springen, die den Flughafen umgab. Ich fand das Tor zu dem Land, das mir Asyl gewähren würde. Dies dauerte mehr als zwei Tage. Ich habe nicht geglaubt, dass wir lebend herauskommen würden, aber wir haben es geschafft. Ich bin so dankbar, dass ich hier bin. Aber ich weiß nicht, wie lange mein Glück anhalten wird.“

Die nächste Studentin, die in Amerika geboren wurde, sagte dies:

„Ich leide wirklich, da ich mit meiner Geschlechtsidentität ringe. Ich denke definitiv, dass ich queer bin, aber was dann? Bin ich nicht-binär oder lesbisch? Was, wenn ich ein Transmann bin? Was ist, wenn alle Medikamente und Operationen, die ich brauche, zu teuer sind oder von der Versicherung meiner Eltern nicht übernommen werden? Was ist, wenn ich deswegen Freunde verliere oder bei einem Job oder sogar hier an der Universität diskriminiert werde?“

Die afghanische Studentin war der brutalsten frauenfeindlichen Tyrannei ausgesetzt. Ihre Schwierigkeiten sind noch lange nicht vorbei, wenn es darum geht, irgendwo auf der Welt eine Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die amerikanische Studentin ist nur mit sich selbst und ihrer Identität beschäftigt. Sie scheint nicht mit dem Thema der Abtreibung und der rechtlich erzwungenen Schwangerschaft/Zwangsmutterschaft oder mit den immer noch bestehenden Plagen der Vergewaltigung, des Inzests, der häuslichen Gewalt und des Frauenhandels in Amerika in Berührung gekommen zu sein, von denen sie betroffen sein kann. Sie kümmert sich auch nicht um das, was Anderen in der Welt widerfährt, wie Krieg, Exil, Obdachlosigkeit, Geisteskrankheiten, Gewaltverbrechen, Rassismus und so weiter.

Meine Gattung ist am Aussterben

Was haben wir unseren kommenden Generationen angetan? Kann das jemals geändert werden? Und wenn ja, wie? In Anbetracht der Internetsucht junger Menschen, in der nichts als Fehlinformationen und Desinformationen sowie Online-Gruppendruck und falsche „Freundschaften“ vorherrschen (womöglich sind mittlerweile auch Erwachsene vom Internet ebenso fasziniert) – eine Sucht, die unsere Aufmerksamkeitsspanne stark eingeschränkt hat. Immer mehr Menschen entscheiden sich für Hörbücher und Filme als bevorzugte Anlaufstellen für Informationen.

Kürzlich traf ich eine junge Frau in den Zwanzigern, eine Hochschulabsolventin, die stolz darauf war, dass sie kein einziges Buch gelesen hatte, das vor 1985 geschrieben worden war. Aber wer bin ich? Ich bin jemand, dessen junge Enkelinnen mehr über Instagram, TikTok und Avatare wissen als ich.

Ich gehöre zu all jenen Generationen, die ihre Bücher einst mit der Hand (ich) oder mit der Schreibmaschine (ich) oder auf einer Schriftrolle (klingt heilig, war aber vor meiner Zeit) geschrieben haben. Ich gehöre zu denjenigen, die physische Bücher lieben: Die sie in der Hand halten, an ihnen riechen, wenn sie neu sind, Passagen unterstreichen oder ihre Kommentare auf Post-its kleben (das mache ich definitiv auch). Ich mag es nicht einmal, auf dem Kindle zu lesen. Ich habe eine Vorliebe für zwei- oder dreistöckige Bibliotheken und würde gerne in einer solchen leben, wenn ich könnte.

Meine Gattung ist am Aussterben. Ich würde gerne alles, was ich weiß, weitergeben – aber wie? Es wird nicht geschätzt, nicht gewollt, von denen, die es am meisten brauchen – wie die eingangs erwähnte amerikanische Studentin, deren privilegierte Anliegen ganz persönlich, unmittelbar und selbstbezogen sind.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei New English Review.

Foto: Phyllis Chesler

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Claudius Pappe / 17.01.2023

Ich hoffe das Frau Chesler ihre Ideologien nicht weitergibt, denn ihre Ideologien haben diese Jugend versaut.

jan blank / 17.01.2023

Volksmund sagt: Wer sein Kind liebt, der züchtigt es. Das setzt jedoch ein Weltbild voraus. Man muss wissen, wohin man erziehen will. Jeder Gärtner weiß, dass ein junger Baum oder ein Strauch so etwas wie einen Formschnitt braucht. Sonst “vergeilt” er. Entwickelt Wasserschosse, Seitentriebe ohne Ende, kaum Fruchtansätze, fällt um gar. Erziehung klingt in progressiven Elternohren aber schon als reiner Begriff arg nach Drittem Reich. Lieber wird von Geburt an alles, aber auch alles ausdiskutiert, jeden Tag bis zur Pubertät “Wie schön das Du geboren bist” gesäuselt, und mit nem Elektro- Volvo die Waldorfschule angesteuert, alle Frustrationen vom Leib gehalten. Frau Chesler beschreibt sehr anschaulich den Menschentypus, der dabei rauskommt, wenn Eltern sich ums Verrecken nicht die Finger schmutzig machen wollen. Das unbegrenzte Ich kennt zwangsläufig nur sich selbst als Thema. Das römische Reich hat einen Nero noch wegstecken können. Eine Gesellschaft nur aus lauter Neros kann nicht funktionieren. Den Beginn dieser strukturellen Dysfunktionalität erleben wir gerade. Lernen und arbeiten? Fragen sie mal die Jugend. Jeder will wie Nero mit der Leier aufm Balkon stehen. Nennt sich dann Influencer. Die Fassungslosigkeit, welche durch Frau Cheslers Worte schimmert kann ich, als Kind der 60er jahre gut nachvollziehen. ES war eine andere Welt. Man wollte noch etwas. Weil es nicht da war. Eine Wohnung, einen Job, einen Urlaub, ein Auto. Nicht das Klima retten. Oder sich über seine Unterhosenidentität zu Tode grübeln. Diese Luxusprobleme kann man schließlich nur wälzen, wenn alles andere “ja sowieso” da ist. Somit ist Frau Herrmann von der TAZ, mit ihrer favourisierten Abschaffung des Industriestandortes Deutschland, zurück in etwa die 70er Jahre, doch ganz stimmig. Da kann sie sich doch mit AfD zusammentun. Die wollen ja (unterstellt) zurück in die 50 er Jahre. Da kann man sich doch auf die Sixties einigen! Und Frau Chesler und ich wären wieder da, wo alles begann.

Thomas Szabó / 17.01.2023

Liebe Frau Chesler. Könnten Sie bitte so freundlich sein und der Hochschulabsolventin, die so stolz darauf ist kein einziges Buch, das vor 1985 geschrieben worden war, gelesen zu haben, etwas von mir ausrichten? Bitte teilen Sie ihr mit, dass ich sie als eine Idiotin bezeichnet habe. Das Wort “idiot” gilt in der USA als eine schwere Beleidigung; genauso meine ich es. Bitte teilen Sie ihr auch mit, dass ich ihr etwas frauenverachtendes an den Kopf geworfen hätte. Ist sie eine “person of color”? In dem Fall erlaube ich es mir, meine Beschimpfungen noch um eine rassistische Komponente zu ergänzen. Herzlichen Dank.

A. Ostrovsky / 17.01.2023

Frau Chesler, Sie ringen also auch um die eigene Identität. Aber Sie sind auf Abwegen, wenn Sie das Wort analog dazu benutzen. Alle Menschen sind analog, aber nicht alle begreifen es. Ordnen Sie doch bitte einmal die Menschheitsgeschichte neu. Wir werden geboren und wir sterben allein. In der Zeit dazwischen leben wir in Gemeinschaften, solange wir nicht ausgestoßen sind. Die Gemeinschaft ist die höhere Ordnung. Nähe schafft Gemeinschaft, aber auch der Krieg ist ohne Nähe (bisher) nicht denkbar. Nähe allein ist es nicht. Der menschliche Verstand, der zum Zeitpunkt der Zeugung noch leer ist, füllt Erfahrungen, Erkenntnisse, Glauben und Wissen an. Er erkennt sich selbst und die Anderen als ebenbürtig. Der Geist hat die Tendenz zur Gemeinschaft. Es ist nicht die räumliche Nähe, sondern die geistige. Gemeinschaftsstiftend sind gemeinsame Gesänge. Um eine entstandene Gemeinschaft an nachfolgende Generationen weiter zu geben, gibt es Religion und die Buchreligionen verwenden Schriften zur Bewahrung und Weitergabe in Zeit und Raum. Bücher, Schriften wurden früher von Hand kopiert. Erst der Buchdruck schaffte ein zunehmend globales gemeinsames Wissen, schaffte ein Verständnis der Geschichte der Menschheit. Aber der Buchdruck ist eine Technologie, kein Inhalt. Das Buch selbst ist nicht globales Weltgewissen, es ist nur Träger des Geistes. Der Geist ist nicht fassbar, nicht gegenständlich. Seit gefühlt 100 Jahren gibt es immer mehr Bücher und Zeitschriften, denen der Geist fehlt, die keine Gemeinschaft des Geistes begründen. Nur die Technologie hat sich geändert, wenn sich das Wissen der Menschheit über Netzwerke verbreitet. Die Netze sind nur in die falschen Hände geraten, weil wir nicht aufgepasst haben, zu lange am Gedruckten festgehalten haben. Dort, in den sozialen Netzen breitet sich jeder Geist aus, auch Bosheit, Hass und skandalöse Dummheit und jeder Geist wird kopiert. Gerade wird überall KI trainiert und weil wir wieder nicht aufpassen, mit Bosheit und Spaltung!

G. Hamsinger / 17.01.2023

Obwohl Teil der “Analoggeneration” mit vollem Bücherregal bin ich nicht der Ansicht, dass Internetsucht als solche schon negativ zu bewerten ist. Ob Fernsehen, Zeitschrift oder Internet, es kommt immer darauf was man liest oder anschaut und ob man das Konsumierte unkritisch einsaugt oder auch mal darüber nachdenkt. Überall gibt es haufenweise dummes Zeug oder Trivialitäten zu bewundern und ebenso hervorragende Informationen und Nachdenkenswertes. Unterm Strich bewerte ich das Internet positiv. Jeder sucht sich das, was ihm gemäß ist.

Vera Meißner / 17.01.2023

Zitat: “Sie kümmert sich auch nicht um das, was Anderen in der Welt widerfährt” Eben - dafür wurde die Sozialwaffe “Woke” ja auch konzipiert und von den Expertinnen für psychologische Kriegsführung geschaffen. Um nicht bei Kriegen und Profit zu stören. Um jede bedeutsame Angelegenheit zu ignorieren und stattdessen die minimalsten Angelegenheiten zu fokussieren. Je kleiner die Zielgruppe der moralischen Selbsterhöhung, desto besser - am besten welche, die so gut wie keiner persönlich kennt: Trans. Die herrschende Klasse sorgt sich nicht um Randgruppen, sie benutzt sie nur.

Thomas Szabó / 17.01.2023

Die Hochschulabsolventin hatte kein einziges Buch gelesen, das vor 1985 geschrieben worden war? Aber 1985 kommt ja auch nach “1984”.

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