Dissonanz nationaler Tragweite

Manchmal sagen wir Dinge, die nicht unserer Überzeugung entsprechen. Dadurch wird in unserer Seele ein Missklang erzeugt, eine Dissonanz, die Schmerz verursacht.

In der vergangenen Zeit habe ich dem einen oder anderen Freund Schmerzen zugefügt, oder zumindest Unbehagen, ohne dass das meine Absicht gewesen wäre. So fragte ich einen alten Freund, Physiker und erfolgreicher Gründer einer High-Tech-Firma, nach seiner Meinung zu einem meteorologischen Phänomen: Wenn im Sommer eine Nacht wolkenlos ist, dann wird es in ebendieser Nacht kalt. Das Fehlen von Wasser in der Luft macht sich sofort bemerkbar. Und wenn es wolkig oder feucht ist, dann gibt’s heute eine laue Nacht, und nicht erst nächste Woche.

Warum dann ist die globale Temperatur zwischen 2000 und 2010 nicht angestiegen, obwohl in dem Zeitraum das CO2 in der Luft deutlich zugenommen hat? Der Treibhauseffekt hätte doch sofort einsetzen müssen.

Mein Freund, ein exzellenter Wissenschaftler und integrer Familienvater, machte ein unglückliches Gesicht. Ich hielt meine Frage für harmlos, merkte aber das Unbehagen, das sie ausgelöst hatte, und wechselte das Thema.

Eine strategische Lüge

Ein anderes Mal passierte Folgendes: Ich besuchte einen Freund in Frankreich und fragte ihn, was wohl der wahre Grund für den Brand von Notre Dame gewesen sei. Immerhin hatte das Bauwerk ja ein halbes Jahrtausend überlebt, in dem zur Beleuchtung Millionen von Fackeln und Kerzen abgebrannt wurden, ohne dass Feuer außer Kontrolle geraten wäre. Ausgerechnet im 21. Jahrhundert soll nun ein Zigarettenstummel die Kathedrale in Schutt und Asche gelegt haben.

Und wieder beobachtete ich bei meinem französischen Freund diese feinen Signale des inneren Schmerzes. Was war geschehen?

Frankreich hatte sich anscheinend früh darauf geeinigt, wie das Desaster zustande gekommen war. Schon zu Beginn der Untersuchungen wurde verlautet, es gäbe keine Nachforschungen in Richtung Brandstiftung. Das war eine pragmatische Strategie, denn was hätte man getan, falls sich ein terroristischer Akt offenbart hätte? Eine fanatische religiöse Gruppe etwa, die Frankreichs heiligstes Monument in Flammen aufgehen ließ? Der französische Präsident wäre in eine sehr unangenehme Situation geraten. Er hätte einen casus belli auf dem Tisch gehabt – so wie einst George W. Bush nach 9/11.

Und so hat Frankreich den Frieden erhalten und möglicherweise mit einer nationalen Notlüge bezahlt.

Ein guter Franzose

Mein Freund ist guter Franzose und politisch aktiv. Mit Sicherheit hatte er sich diese Gedanken schon selbst gemacht, mit mehr Insider-Wissen als ich es hatte, und vielleicht war er zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Aber darüber würde er nicht reden. Er würde sich zuverlässig an das offizielle Narrativ halten. Und je häufiger solche Gespräche waren, desto mehr wird ihm die Diskrepanz zwischen seinen Überlegungen und seinen Worten seelischen Schmerz bereitet haben.

Schmerz ist dazu da, dass man ihn vermeidet. Die Evolution hat das so eingerichtet, damit wir die Hand von der Herdplatte nehmen, bevor sie verbrennt oder das gebrochene Bein nicht belasten, damit es zusammenwachsen kann. Und so könnte mein Freund seinen psychologischen Schmerz behoben haben, indem er das offizielle Narrativ zu seiner ehrlichen Überzeugung werden ließ. Jetzt konnte er mit seinen Worten in Einklang leben – und ich hatte diesen Frieden mit meiner Frage gestört und diesen Anflug von Schmerz auf sein Antlitz gebracht.

Ganz ähnlich war es wohl mit meinem Physiker-Freund, der die Logik meiner Argumentationen in Sachen Strahlung und Temperatur problemlos nachvollziehen konnte. Er hatte aber täglich auch mit Frau und Kindern Gespräche dieser Art, und da dominierten Ansichten, wie sie in Schule und Bioläden herrschen. Und um seinen seelischen und den häuslichen Frieden zu bewahren, folgte er diesen Ansichten zunächst in Worten und letztlich mit seiner inneren Überzeugung. Damit hatte er die Dissonanz auch in sich selbst beseitigt.

Kognitive Elemente

Der amerikanische Psychologe Leon Festinger hat sich mit diesem Thema beschäftigt, welches mindestens so alt ist wie die Menschheit, und er hat dazu die „kognitiven Elemente“ erfunden. Das sind Gedanken, Beobachtungen, Überzeugungen, Gefühle, Ansichten und so weiter, die im Kopf und im Herzen unterwegs sind. Falls sich zwei davon widersprechen, etwa A und B, wenn die nicht im Einklang sind, dann empfinden wir seelischen Schmerz, wir haben eine „kognitive Dissonanz“.

Zur Schmerzvermeidung machen wir dann etwa A zu B – wir gleichen unsere Überzeugung unseren Worten an, dann hat die liebe Seele Ruh' – so wie meine beiden Freunde, oder wir geben in unseren Worten unsere Überzeugung wieder – dann verlieren wir ein paar Freunde und vielleicht auch den Job.

Mit dem Franzosen und dem Physiker, über die ich berichtet habe, bin ich – Gott sei Dank – immer noch bestens befreundet. Aber häufig wird jemand, in dem man eine kognitive Dissonanz wachruft, uns zukünftig meiden, weil wir ihm Schmerz zugefügt haben.

Dissonanz nationaler Tragweite

In Deutschland haben wir derzeit eine kognitive Dissonanz nationaler Tragweite. Wir alle tragen in uns kognitive Elemente zu den Themen Klima, Flüchtlinge, Corona und so weiter, die durch persönliche Beobachtung und Erfahrung geschaffen wurden. Zu den gleichen Themen haben wir aber auch kognitive Elemente aus Freundeskreis und Medien in uns aufgenommen. Eigene Beobachtung und Berichte von anderen können sich dann widersprechen, und das bereitet Schmerz.

Da gibt es nun eine Vielzahl von Individuen, die ähnlichen Schmerz in sich tragen, und die haben sich spontan zu formellen oder informellen, konkreten oder wolkenhaften Gruppen zusammengefunden. Die eine, Gruppe A, ist evidenzbasiert, sie richtet die Überzeugung nach den eigenen Beobachtungen aus. Die andere, Gruppe B, ist autoritätsbasiert, sie glaubt den Worten der Würdenträger in Medien und Politik. Diese beiden Gruppen vertragen sich nicht, insbesondere schmäht B die Gruppe A, meidet den Umgang mit ihnen und macht es ihnen immer schwieriger, sich zu äußern („Cancel Culture“). Das ist die Spaltung, die durchs Land geht, das ist der Schmerz nationaler Tragweite, welcher jegliche Lebensfreude erstickt.

Es geht auch anders

Naturwissenschaften leben von kognitiver Dissonanz, darum haben wir Forscher meist einen leicht gequälten Gesichtsausdruck. Da gibt es etwa ein physikalisches Gesetz, welches in Stein gemeißelt scheint und andererseits eine Beobachtung, die dem Gesetz widerspricht. Diese beiden dissonanten kognitiven Elemente müssen nun in Einklang gebracht werden – nicht etwa, indem man dem Protagonisten der anderen Meinung aus dem Weg geht oder ihn diskreditiert, sondern indem man gemeinsam nach dem Missverständnis sucht, welches zu dem Widerspruch führt. Denn die Natur selbst ist ja nicht widersprüchlich.

Das wurde vor einem Jahrhundert par Excellence praktiziert, als die Besten unter den Physikern – von Einstein bis Bohr und Heisenberg – die klassische Physik um die Quanten- und Relativitätstheorie erweiterten. Das war weder „Kompromiss“ noch „Konsens“, sondern hart erarbeitete logische Erkenntnis. Es war eine „Sternstunde der Menschheit“, die im heutigen politischen Klima unvorstellbar ist.

Heute löst die „Klimawissenschaft“ ihre Dissonanzen, indem sie Kritiker diffamiert, die auf Widersprüche zwischen Behauptung und Wirklichkeit hinweisen. Und auch in der Welt der Medizin setzt sich diese Praxis inzwischen immer mehr durch. 

Canceln ist leichter als nachdenken.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Hans Hofmann-Reineckes Blog Think Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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Leserpost

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Florian Bode / 21.07.2021

Treten wir auf einen See, gehen wir unter. Und jeder, der es schon einmal versucht hat, scheiterte daran, Wasser in Wein zu verwandeln. Dennoch bricht kein lautes Gelächter unter den (wenigen) Besuchern aus, wenn der Pfarrer oder die Pastorin Sonntags auf die Kanzel tritt. Die kognitive Dissonanz ist die Basis jeder Religion. Fast automatisch nehmen die Themen, die im Artikel genannt wurden daher eine religiöse Dimension ein. Warum dies hier (“Klimawandel”) geschieht, und dort (“Globale Überbevölkerung”) nicht, weiß ich nicht. Es mag Zufall sein, oder gelenkt, da es die wirtschaftlichen Interessen mancher Personen bedient. Wie auch immer, man sollte sich den Geist der Aufklärung bewahren und religiöse Dogmen hinterfragen.

Hans Meiser / 21.07.2021

Interessant wäre nun die Antwort darauf, wie das im Unterbewusstsein ja vorhandene Wissen über das, was wahr ist bei denen, die es verdrängen, sich auf deren psychische Gesundheit auswirkt? Sind Schäden an Geist und Körper nicht eine zwangsläufige Folge?!

Tom Schlichter / 21.07.2021

Danke für diese schlüssige, sehr intelligente Analyse jenes tiefsitzenden Schmerzes, den auch ich seit jenem Herbst 2015 in mir spüre. Bei mir sitzt er im Bauch. Viele meiner Freunde und Bekannten (und selbst eine angeheiratete Verwandte) habe ich leider tatsächlich in den letzten Jahren verloren, indem ich „A“ statt „B“ gesagt und mit Links hinreichend belegt habe (Achse, Tichy, NZZ etc.). Das hat man mir nicht verziehen. Ich empfinde aber die Schmerzen eines dauerhaften Selbstbetruges viel schlimmer als den Verlust falscher „Freunde“! Wer sich dauerhaft selbst belügt, hat m.E. keine Chance auf Erlösung!

Angelika Meier / 21.07.2021

Ich weiß nicht wie es kommt. Ich weiß auch nicht, wie die anderen ticken, denn kaum einer sagt ja, was er wirklich denkt. Aber ich für mich halte das hier für einen Trottelverein, der dazu ist, dass sich die politisch-mediale Kaste samt angeschlossenen Netzwerken maximal bereichern kann. Dazwischen noch hassverzerrte Weltretter und Gutmenschen-Omis, die eine Aufgabe brauchen. Und die Riesengruppe der Mitläufer. Das Beste: Man führt sein Leben und hat mit diesem Trottelverein so wenig wie nur irgend möglich zu tun. Vielleicht stürzt er dann ja irgendwann einfach zusammen wie die Habsburger Monarchie oder die Ostblockstaaten?

lutzgerke / 21.07.2021

Dummheit ist Macht und tut ja nicht einem selber, sondern dem anderen weh. “Schweizer Grünliberale forden Sticker für Ungeimpfte”, kann man in der EpochTimes lesen. Wir leben in einer defekten Alarmgesellschaft, die taub geworden ist vom Lärm, den sie ständig macht, und deshalb die Alarmglocken nicht mehr hört. A 5-minute-star is born, der legitime Nachfolger des 15-Minuten-Stars. Seine Bühnenshow ist das offene-Türen-Einrennen: “Textnachricht statt App: Politiker fordern Katastrophenwarnungen übers Handy”; Spiegel. Das ist Tütensuppe mit nachhaltigen Cerealien. Maggi heißt jetzt Spiegel, sonst nix. Und der gute George tut auch weh. 911 war high performance wie der gleichnamige Porsche. 911 Tage später flog die Bahn in Madrid in die Luft. Das ist praktisch, so kann man sich das Datum merken.

Peter Bernhardt / 21.07.2021

Überhaupt aber kann jeder im vollkommensten Einklange nur mit sich selbst stehen; nicht mit seinem Freunde, nicht mit seiner Geliebten: denn die Unterschiede der Individualität und Stimmung führen allemal eine, wenn auch geringe, Dissonanz herbei: Daher ist der wahre, tiefe Friede des Herzens und die vollkommene Gemütsruhe, dieses, nächst der Gesundheit, höchste irdische Gut, allein in der Einsamkeit zu finden und als dauernde Stimmung nur in der tiefsten Zurückgezogenheit. Arthur Schopenhauer (1788 - 1860), deutscher Philosoph

Peter Ackermann / 21.07.2021

Es sind die klassischen Abwehrmechanismen, wie Verdrängung, Verleugnung, Projektion oder Übertragung, die das Ich (der Gruppe B-Mitglieder) zur Unlustvermeidung einer kognitiven Dissonanz aktiviert. Ein gewaltiges Problem, was sich auch nicht mit Millionen Sofas lösen ließe…

Thomas Roth / 21.07.2021

Ich bin als Mitglied einer ethnischen Minderheit in einer Diktatur aufgewachsen. Die Dissonanz zwischen dem öffentlich Gesagten und im privaten, vertrauenswürdigen Rahmen Vertretenen war da, die Spaltung wurde erträglicher, weil Deutsch als Muttersprache die Sprache der Wahrhaftigkeit war, Rumänisch die Sprache der Propaganda, der feigen oder opportunistischen Anpassung. Ich habe die Beobachtung mit Freunden erörtert, die in der DDR sozialisiert sind, und zum Schluss gekommen, dass deren Schizophrenie schlimmer war, weil die Sprache der Lüge nicht wie ein Mantel abgelegt werden konnte.

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