„Der Postillon“ steckt dahinter? Die „Titanic“? Der lustige Herr Böhmermann? Handelt es sich um postpostpostpubertäres Austesten von Grenzen? Um präpensionables Ich-muss-mich-mal-wieder-in-Erinnerung-rufen?
Roland Methling, Oberbürgermeister von Rostock, geht in den Ruhestand. Und er möchte noch etwas mitteilen. Er tut das via Interview mit der „Welt“. Das Medium ist nicht das unseriöseste, was in diesem Fall allerdings kein gutes Zeichen ist. Es spricht dafür, dass die Ausführungen wahrscheinlich völlig ernst gemeint sind. Auch nach dem dritten Lektüre-Durchgang ist man noch mit ratlosem Augenreiben beschäftigt, und zwar nicht müdigkeits- oder allergiebedingt.
Was hat der scheidende Hansestadt-Chef Methling zu sagen? Das in die Überschrift gehobene Zitat – „Das ist eine Bankrotterklärung Europas“ – lässt Vermutungen aufkeimen und nur wenig Gutes erwarten. Der Auftakt des Gesprächs gestaltet sich allerdings erst einmal noch bürgermeisterlich-städtisch. 72 deutsche Kommunen sind inzwischen „Sichere Häfen“, ein Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ gibt es ebenfalls. Und, jetzt wenig überraschend, Rostock – reichlich 200.000 Einwohner – zählt dazu. Gleich in der ersten Sitzung der Bürgerschaft nach der Kommunalwahl vom 26. Mai 2019 „haben wir“, so Methling, „mit überwältigender Mehrheit beschlossen, 20 aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. Wir wollen die Kosten für diese Personen tragen.“ Rostock sei die erste deutsche Großstadt, die eine derartige Verpflichtung übernehme. „Denn oft wird über die Unterstützung von Flüchtlingen gesprochen, ohne über den Einsatz von eigenem Geld nachzudenken.“ Gemeint sind vermutlich Steuergelder.
Auffällig ist im Übrigen, dass die „Welt“-Fragestellerin von „Migranten“ spricht, der antwortende Oberbürgermeister von „Flüchtlingen“. Ob es da Unterschiede gibt?
Kein Platz für kleine Brötchen
Jedenfalls nimmt das Gespräch nach dem Vorgeplänkel über die 20 auf der Grundlage von „eigenem Geld“ in Rostock aufgenommenen Migranten/Flüchtlinge dann richtig Fahrt auf. Dass einzelne Städte diese aufnehmen, sei „eine humanitäre Zwischenlösung […] Deutsche und europäische Politik versagen in der Flüchtlingsfrage […] Wir wollen 80 Millionen Menschen in Deutschland für dieses Thema sensibilisieren.“ Kleine Brötchen werden nicht gebacken.
„Wir“ – gemeint ist Deutschland – „müssen uns an die Spitze stellen und Lösungen in Europa fordern, wie die Flüchtlinge verteilt werden“. Gut, dass das mal gesagt wurde, von einer „europäischen Lösung“ wurde in den letzten vier Jahren bekanntlich eher selten gesprochen, und ebenso bekanntlich wartet die Welt (inclusive Europa) begierig darauf, dass Deutschland endlich mal wieder so richtig Führung übernimmt. Wir üben ja auch schon seit einer Weile im Fach „Schulmeisterei für störrische Nationen“, aber das ist alles noch ausbaubar.
Dass Herr Methling im Vagen verbleiben würde, ist ihm nicht vorzuwerfen: „Wir können jederzeit auch 1000, 2000, 10.000 oder 20.000 Flüchtlinge in Rostock aufnehmen. Das kann jede deutsche Stadt. Aber das bedeutet natürlich Einschnitte und Einschränkungen, neue Schwerpunkte in der Stadtentwicklung. Das kann heißen, dass eine Straße etwas später saniert oder eine Schule später gebaut wird.“ Man muss eben auch mal verzichten können.
Bundesinnenminister Seehofer müsse fordern, dass die Bundesregierung innerhalb „kürzester Zeit eine internationale Regelung auf EU-Ebene“ erreiche, ansonsten solle er mit seinem Rücktritt „drohen“. Hier lässt Herr Methling dann doch zumindest ein klein wenig Humor durchscheinen.
Mittel verzehnfachen
Aber weiter mit den Zahlen: „Wir müssen Milliarden Euro in den afrikanischen Kontinent und in den arabischen Konfliktgebieten investieren, damit die Fluchtursachen bekämpft werden.“ Auch dies ein origineller Hinweis. Entwicklungshilfe, vor allem finanzieller Art, was haben wir bis dato nicht alles übersehen! Innerhalb „kürzester Zeit“ (die „kürzeste Zeit“ kommt öfter) müsse sich die Entwicklungshilfe „verzehnfachen“. Woher das Geld kommen soll? Zum Beispiel aus einer „Mehrwertsteuererhöhung“ oder „aus den Haushalten der Gemeinden und Länder“. Bei Letzterem seien fünf bis zehn Prozent ein gutes Maß.
Möge Herr Methling seinen mit dem Ende des Sommers altersbedingt anbrechenden Ruhestand genießen, auch wenn dann seine Möglichkeiten, sich für eine „tolerante, multikulturelle Gesellschaft“ zu engagieren, nicht mehr ganz so umfassend sein werden wie als Großstadt-Oberbürgermeister. Allerdings kommt dann wahrscheinlich auch niemand mehr so schnell auf die Idee, den Begriff „Hybris“ nachzuschlagen.