Der grantige Staatspräsident Mattarella ist eingeknickt und hat – weil alternativlos – eingelenkt. Nachdem er die Regierung Conte platzen und einige Stunden lang den Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli eine Regierung von Fachleuten ausloten ließ, wurde er sich seines Fehlers bewusst. Er holte Luigi di Maio von den Cinque Stelle und Matteo Salvini an den Verhandlungstisch zurück.
Beide waren bereits wieder wahlkämpfend unterwegs, sagten ihre Kundgebungen ab, handelten mit ihrem vorgeschlagenen Premier Conte die Regierungsliste aus und legten sie dem Staatspräsidenten zur Unterschrift vor. Dieser unterschrieb ohne irgendwelche Einwände. Wahrscheinlich ist Mattarella bewusst geworden, was Neuwahlen bringen würden.
Laut einer Umfrage des TV Senders „La Sette" kletterte die Lega auf 27 Prozent, die Cinque Stelle rutschten auf 29 Prozent ab, Forza Italia pendelt zwischen 8 und 11 Prozent. Phantastische Aussichten für Salvini, bei Neuwahlen gemeinsam mit Forza Italia und Fratelli d´Italia 40 Prozent der Stimmen zu holen. Mit dem entsprechenden Mehrheitsbonus könnte dann die Rechtskoalition allein regieren. Mit seinem Veto gegen die erste Auflage einer Regierung Conte baute der Staatspräsident für Salvini eine gewaltige Sprungschanze zum herbstlichen Wahlsieg.
Kein Amt für Savona
Mattarella hat wohl nachgerechnet und ist zum Schluss gekommen, dass die Wahlsieger regieren und ihre Wahlversprechen umsetzen sollen. Mit welchen Ministern auch immer.
Staatspräsident Mattarella ließ mit seinem Veto die geplante Regierung des Wandels platzen. Er verweigerte dem 82-jährigen Paolo Savona, von der Lega vorgeschlagen, die Ernennung zum Finanzminister. Savona, der Heilsbringer, weil er die wirtschaftliche Abhängigkeit Italiens von Deutschland beenden wollte? Savona, der Kämpfer gegen die Fremdherrschaft aus dem Norden? So zeichnete ihn die Lega.
Savona sorgte beim Staatspräsidenten für Entsetzen, seine Kritik an Deutschland gefiel Mattarella nicht. Laut Savona beherrscht Deutschland mit dem Euro Europa, für ihn die Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges mit anderen Mitteln. Der Euro, die neue deutsche Wehrmacht. Für Savona haben sich die Deutschen nicht grundlegend geändert, sie sind immer noch Nazis.
Savona plädierte – wegen der angeblichen deutschen Vorherrschaft – für Nachbesserungen der Euro-Verträge zugunstens Italiens. Oder Italien verabschiedet sich aus dem Euro. Die Rückkehr zur Lira empfahl Savona als Rettung für sein Land. Damit soll die italienische Misere saniert werden. Schuld an dieser Misere tragen, da ist sich Savona sicher, die Deutschen, die Italien und den Rest der EU kolonialisieren. Das Vierte Reich, Angela Merkel die Nachfolgerin des Führers. Nicht die italienischen Bürger und ihre Politiker versauten Wirtschaft und Staat, sondern die neuen Nazis. Die Botschaft von Savona kommt bei einer Mehrheit der Italiener gut an.
Der Euro war ein Fehler
Savona ist nicht irgendwer. Er arbeitete für die Industriellenvereinigung Confindustria und für die Banca d’Italia; in der Regierung Ciampi war er von 1993 bis 1994 Wirtschaftsminister, in der Regierung Berlusconi 2005 bis 2006 für die EU-Politik verantwortlich. Sein Fazit heute: Es war falsch, dass Italien der Euro aufgezwungen wurde. Sein Ziel, Italien aus dem Euro zu führen, stieß aber beim Staatspräsidenten auf Widerstand. Begründung: Savona gefährdet die Spareinlagen der Italiener. Deshalb zog er die Notbremse. Mattarella empfahl, den Lega-Vize Giancarlo Giorgetti in die Regierung zu berufen. Giorgetti ist ein enger Vertrauter von Parteichef Salvini und keine politische Randfigur.
Wenig zielführend waren die gschaftlhuberischen, besserwisserischen und arroganten Wortmeldungen aus Berlin, Paris und Brüssel. Lega-Chef Salvini und Cinque Stelle-Spitzenmann Di Maio sprachen deshalb von einem deutschen Diktat. Die Italiener, hielten sie entgegen, seien weder Diener noch Sklaven.
Das war dann auch die Ansage an den designierten Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, den Auftrag zur Bildung der Regierung zurückzugeben. Conte tat, was die beiden Wahlsieger ihm auftrugen. Die beiden Studienabbrecher ohne berufliche Erfahrung zwangen Conte zum Aufgeben, bestanden sie doch darauf, dass Savona nominiert wird. Offensichtlich wollten Salvini und Di Maio den Bruch. Salvini, weil er Neuwahlen will, Di Maio, weil die Basis der Cinque Stelle von der Koalition nicht sonderlich überzeugt ist.
Verrat am Volk
Di Maio kündigte an, dass seine Partei ein Verfahren zur Amtsenthebung von Mattarella im Parlament einleiten wird. Die Begründung lieferten die Neufaschisten von der Liste „Fratelli d´Italia", Verrat am Volk. Dieser Passus ist in der italienischen Verfassung nicht festgeschrieben, hingegen die Kompetenzen des Staatspräsidenten sehr wohl. Die hat er reichlich ausgenutzt.
Salvini spielte gekonnt mit dem Staatspräsidenten, setzte ihm einen Ministerpräsidenten und eine Ministerriege vor. Statt diese abzusegnen, legte Mattarella sein Veto ein. Eingeflüstert von Berlin, freute sich Salvini, weil er damit vom Staatschef die richtige Wahlkampfmunition erhielt. Die Deutschen als Feindbild. Salvini attackiert Deutschland, das mit dem Euro Italien knebelt.
Die sogenannten Anti-System-Parteien erklären jetzt dem System den Krieg. Das Prädikat Anti-System ist aber ein sehr bemühtes. Die Cinque Stelle regieren die Hauptstadt Rom, schluderhaft, die Industriestadt Turin, vorbildlich, Livorno und weitere neun Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. Außer in Rom und Turin gewannen die Cinque Stelle bei den Parlamentswahlen in diesen Gemeinden wegen ihrer Verwaltungsarbeit im März kräftig Stimmen hinzu. Die Anti-System-Partei ist im System angekommen.
Dies gilt noch viel mehr für die Lega. In den 1990er Jahren verhalf die Lega mit ihrem Bündnis Berlusconi, Forza Italia und den Ex-Neofaschisten von der Alleanza Nazionale zum Wahlsieg. In vier Regierungen von Berlusconi stellte die Lega ihre Minister. Die norditalienischen Regionen, außer den beiden autonomen Provinzen Bozen/Südtirol und Trient, werden von der Lega regiert. Die Lega ist schon lange ein Grundpfeiler des italienischen Systems.
Beide Parteien wissen aber, die Wut zu bedienen. Mehr als 10 Prozent Arbeitslose, fast die Hälfte der Jugendlichen sind ohne Jobs, junge Akademiker flüchten regelrecht nach Deutschland. Die Mafia und die übrige kriminelle Schattenwirtschaft dominieren nicht nur im Süden des Landes, die Korruption ist überall spürbar. Mehr als 200 Milliarden Euro an Steuern werden jährlich hinterzogen. Die Schuldigen an dieser hausgemachten Misere stehen für die Ex-Regierungspartner fest, ausländische Mächte und Kräfte.
Der Schuldenberg ist alt
Verdrängt wurde offensichtlich, dass der größte Teil des 2.300 Milliarden Euro großen Schuldenberges aus den fernen 1980er Jahren stammt, die Folge von Wahlgeschenken der damals regierenden Christdemokraten und Sozialisten. Angewachsen ist der erdrückende Schuldenberg während der neunjährigen Amtszeit der Regierung Berlusconi, die das Land 2011 an den Rand des Ruins geführt hatte. Mit dabei damals die Lega als Regierungspartei, die sich heute als Retterin der Nation anbietet.
Sie darf jetzt ran, die Lega. Chef Salvini und sein Partner Di Maio sind die Stellvertreter ihres Vertrauensmannes Giuseppe Conte. Der Jurist – und kein Parlamentarier – steht der neuen Regierung des Wandels vor. Mit dabei Paolo Savona, zuständig für die Europapolitik, und Giovanni Tria, Wirtschaftswissenschaftler, ein hartnäckiger Deutschland-Kritiker wie Savona und lange Berater des Berlusconi-Vertrauten Brunetta. Für Tria ist der Austritt aus der EU eine Option, die er aber nicht verfolgt. Er schlägt stattdessen vor, die EU zu verändern. Der Professor weiß, dass trotz aller Kritik zwei Drittel der Italiener an der EU-Mitgliedschaft und am Euro festhalten wollen.
Eine Überraschung ist der parteilose Außenminister Enzo Moavero Milanesi. In der Regierung Monti, dem Professoren-Kabinett nach dem Sturz der letzten Regierung Berlusconi, leitete Milanesi das Ministerium für Europafragen. Er diente auch dem PD-Ministerpräsidenten Letta. Milanesi sammelte als hoher Funktionär der EU außenpolitische Erfahrung, seine Europa-Kompetenz ist unbestritten.
Nur ein Teil der Minister wurde als Abgeordnete ins Parlament gewählt. Wie Ministerpräsident Conte sind weitere Minister von außen berufen worden, also ohne Parlamentsmandat. Die Regierung des Wandels setzt damit eine alte Praxis fort. Eine Regierung mit zwei Gesichtern. Die italienische Tradition, große Veränderungen anzukündigen und sich gleich wieder zurückzunehmen, wird auch von der Regierung des Wandels schon gleich beim Start gepflegt.