Gerry Adams war einst im terroristischen Untergrund aktiv, wurde Chef der linksnationalistischen Partei Sinn Fein und einer der Architekten des anglo-irischen Friedensabkommens. Letztens meldet sich Gerry Adams immer wieder zu Wort. Ein harter Brexit wird Folgen haben, warnt Adams. In Nord-Irland könnte es wieder unruhig werden. Adams erinnert daran, dass die Mehrheit in Nord-Irland gegen den Brexit gestimmt hat. Er und seine Partei verlangen eine Sonderregelung.
Adams hat sich als Sprecher der irischen Partei Sinn Fein zurückgezogen. Er machte diese Partei in Nord-Irland zur zweitstärksten Kraft. Inzwischen spielt sie auch in der Republik Irland eine immer stärkere Rolle. Sinn Fein steht weit links und ist irisch-nationalistisch. Der 69-jährige Adams spaltet und eint gleichzeitig die nordirische Gesellschaft. Er soll in den 1970er Jahren ein IRA-Terrorist gewesen sein. Adams steht aber auch für den 1998 eingeleiteten Friedensprozess zwischen den irisch-republikanischen und unionistisch-britischen Bevölkerungsgruppen Nord-Irlands.
Adams war seit 1983 Präsident der Sinn Fein. Er führte die Partei aus der politischen Bedeutungslosigkeit, in Belfast und in Dublin. In Nord-Irland vergrößerte Sinn Fein seit seiner Übernahme der Präsidentschaft die Wählerschaft von einst knapp 10 auf inzwischen fast 30 Prozent. Ähnlich die Entwicklung in der irischen Republik. Die einprozentige Splitterpartei wurde zur drittstärksten Kraft, bei den letzten Europawahlen mit fast 20 Prozent, bei den Parlamentswahlen 14 Prozent. Adams knüpft an die Vergangenheit an. Es war Sinn Fein, die 1916 den Oster-Aufstand organisierte und damit die irische Unabhängigkeit erreichte. Bei den Wahlen im Dezember 1918 erhielt Sinn Fein 73 der 106 irischen Sitze im britischen Unterhaus.
Raus aus der Sackgasse
Gerry Adams und Martin McGuinness holten Sinn Fein aus der politischen Sackgasse. McGuinness war Vize-Präsident der nordirischen Regionalregierung aus der pro-britischen Democratic Unionist Party und der Sinn Fein. Er verstarb in März. Auch er war ein IRA-Terrorist, verantworlich für mehrere tödliche Anschläge und Morde wie jenen an Lord Mountbatten 1979. McGuinness wie auch Adams – lange von der britischen Polizei, vom Militär und der Justiz gejagt – zählten dennoch zu den Architekten des nordirischen Friedensprozesses.
Adams wie McGuinness wurden trotz ihrer terroristischen Herkunft zu Brückenbauern zwischen Irland und Großbritannien, zwischen den verfeindeten irischen und britischen Bevölkerungsgruppen in Nord-Irland. Ohne ihre Partei geht im Norden der Insel fast nichts mehr, im Süden – in der Republik – mausert sich Sinn Fein zu einer gesamtirischen Oppositionspartei.
Adams lebte politisch davon, dass das Vereinigte Königreich 1921 den Norden der irischen Insel als Rest-Kolonie behielt. Kolonialistisch ging es auch lange weiter. Grund und Boden befanden sich in den Händen von Nachkommen britischer – schottischer, walisischer oder englischer – Zuwanderer. In Verwaltung, Polizei, Justiz und Politik dominierten ebenso die protestantischen Britischstämmigen, die ihren antikatholischen und antiirischen Furor als tägliche Politik praktizierten. Dagegen protestierten in den späten 1960er Jahren verschiedene Bürgerrechtsgruppen, worauf die nordirische Polizei und die britische Armee mit unverhältnismäßiger Gewalt reagierten. Die britischen Sicherheitskräfte verhalfen der eingeschlafenen IRA zur Wiedergeburt.
Die neue IRA war besonders in West-Belfast aktiv, dem Viertel mit den meisten Armen. Die BBC bezeichnete West-Belfast kollektiv als Terroristenviertel. Von der Polizei gesuchte und vom Militär gejagte IRA-Anhänger konnten dort unbehelligt untertauchen. Mitglieder von Sinn Fein, damals noch verboten, suchten ebenfalls in der Anonymität von West-Belfast ein Entkommen. Das Stadtviertel wurde berühmt für die pro-irischen Wandmalereien, Sinn Fein öffnete Suppenküchen und Gemeinschaftszentren. Die Bewohner von West-Belfast waren lange Zeit die einzige Wählergruppe in Nord-Irland, die für Sinn Fein stimmte.
Hungerstreik gegen Thatcher
Der Konflikt zwischen Sinn Fein und IRA sowie Polizei, Militär und pro-britischen Milizen eskalierte. 1981 erreichten die Auseinandersetzungen einen Höhepunkt. Im Hochsicherheitsgefängnis Maze starben zehn Gefangene im Hungerstreik. Sie waren Mitglieder der IRA oder von Sinn Fein. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher verkündete, sie wolle in den Gefängnissen die „IRA wie eine Tube Zahnpasta ausquetschen". Die Folge: Hungerstreikende IRA-Anhänger wurden in irischen und britischen Gefängnissen in die jeweiligen Parlamente gewählt. Der Sprecher der Hungerstreiker, Bobby Sands, erhielt im nordirischen Wahlbezirk Fermanagh/South Tyrone mehr Stimmen als Thatcher in ihrem eigenen Wahlkreis.
In dieser äußerst gewalttätigen Phase übernahm Gerry Adams die Präsidentschaft von Sinn Fein. Er wird wohl erkannt haben, dass die Strategie der Gewalt keine alternative Politik zuließ, also keine politische Veränderung in Nord-Irland. Adams propagierte weiterhin eine „Kultur des Widerstandes“, forderte auf der gesamten Insel soziale Veränderungen, drängte seine Partei zur Teilnahme an allen politischen Wahlen. West-Belfast wurde zum Vorbild, dort stimmten die Bewohner großteils für Sinn Fein. Inzwischen ist überall dort, wo irisch-republikanische Bürger leben, West-Belfast.
Den Auseinandersetzungen fielen mehr als 3.000 Menschen zum Opfer. Nicht nur die IRA-Terroristen töteten, auch das britische Militär. In Derry, Londonderry sagen die Unionisten, erschoss das Militär 14 friedliche Demonstranten. Erst nach Jahren der Ermittlungen war Premier Cameron bereit, sich für diese Morde zu entschuldigen. Die IRA ermordete staatliche Würdenträger, aber auch viele unbeteiligte Menschen. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch der Krieg gegen die IRA und gegen Sinn Fein war schmutzig. 20 Aktivisten von Sinn Fein wurden von pro-britischen Milizen getötet. 1984 wurde Adams bei einem Attentat schwer verletzt. Die Regierungen in Dublin und in London unterbanden mit fragwürdigen Gesetzen die Präsenz von Sinn Fein in den öffentlich-rechtlichen Medien. Seit Adams die Sinn Fein aus der politischen Schmuddelecke geholt hat, entdeckte der britische Staat Adams als möglichen Mediator. In der Republik Irland versuchen Medien und Parteien Gerry Adams immer wieder zu diskreditieren, wegen seiner IRA-Vergangenheit
Ende des Terrors
Sein größter Verdienst war und ist das sogenannte Karfreitagsabkommen von 1998. Es beendete den Krieg. Adams führte Gespräche mit dem Priester Alex Reid und John Hume von den nordirisch-republikanischen Sozialdemokraten. Ihre Friedenssignale, verbunden mit den Forderungen nach gleichberechtigter politischer Mitbestimmung, Ent-Militarisierung Nord-Irlands, Öffnung von Polizei und Verwaltung auch für die irisch-republikanische Bevölkerung, kamen in London und in Dublin an. Der damalige US-Präsident Clinton "moderierte" die Verhandlungen. Das Karfreitagsabkommen enthält weitreichende Maßnahmen, wie die vollständige Demokratisierung der nordirischen Provinz, die politische, finanzielle und administrative Selbstverwaltung. Vieles davon steht noch aus, auch deshalb, weil die unionistischen Kräfte die Umsetzung bremsen. Immerhin ist es gelungen, den "militärischen" Konflikt mit den vielen Toten zu beenden. Ein großer Wurf.
Bei den vergangenen Wahlen wurde Sinn Fein nur knapp hinter den Unionisten der DUP zweitstärkste Partei. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der irische Bevölkerungsanteil die Mehrheit stellt. Dann lässt das Karfreitagsabkommen eine Volksabstimmung zur Wiedervereinigung mit der Republik Irland zu. In fünf Jahren soll es so weit sein, kündigte Adams bei seinem Rücktritt das Vereinigungs-Referendum an. Das Thema Grenze, einst hart, seit einigen Jahren weich, spielt auch bei den aktuellen Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel eine Rolle. Eine erneut harte Grenze, wenn sie zur EU-Außengrenze wird, könnte den Konflikt wieder anheizen. Darauf freuen sich die IRA-Überbleibsel im Untergrund und die Bewaffneten pro-britischen Untergrund-Milizen.