Innenminister Salvini, der Lega-Chef, genehmigte erst das Anlegen eines Flüchtlingsschiffs in einem süditalienischen Hafen. Dann kam das Veto, Schiffe mit Migranten an Bord dürfen keine italienischen Häfen mehr anlaufen. Ministerpräsident Conte verteidigte die Entscheidung seines Innenministers als eine Notmaßnahme, lässt die EU doch Italien im Stich.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die EU wollte ihren Mitgliedern den Frontex-Genzschutz aufzwingen. Mit einer schnellen Eingreiftruppe sollten die EU-Außengrenzen gesichert werden, auch ohne Zustimmung des betroffenen Landes. Besonders in Italien war der Widerstand dagegen groß. Der Vorwurf, von der EU allein gelassen worden zu sein, stimmt nur teilweise. Seine Entscheidung „Häfen zu“ begründete Salvini damit, dass der Staat nicht zum Gehilfen der Geschäftemacher werden sollte.
Kein Wort darüber, dass der Geschäftspartner der Islamisten in Nordafrika die heimische Mafia ist. Auf deren Feldern schuften viele der Illegalen, unter miserabelsten Umständen. Die Gewerkschaft CGIL dokumentiert die radikale Ausbeutung dieser Menschen. Bei Ragusa auf Sizilien ackern mehr als 5.000 Frauen auf den Feldern der Mafia, sie sind der Brutalität der Aufpasser ausgeliefert, das reicht von Vergewaltigungen bis zu Mord. 13.000 indische Migranten arbeiten auf den Weinplantagen bei Monferrato auf Sizilien, Monatsgehalt: 400 Euro. Allein im Grenzgebiet zwischen den Regionen Apulien und Basilicata sollen jährlich bis zu 19.000 Tagelöhner Tomaten ernten.
Die Agro-Mafia stopft sich die Taschen voll
Die Gewerkschaft geht davon aus, dass 400.000 Tagelöhner – sehr viele davon Illegale – als unterbezahlte Arbeitskräfte von der Mafia kontrolliert werden. Laut CGIL verdient die Agro-Mafia mit der illegalen Einwanderung bis zu 17 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass Salvini nicht der Mafia den Krieg erklärt. Das Geschäft ist zu lukrativ. Auch in den vergangenen Jahren schaute der Staat geflissentlich weg, gaben sich die Regierungen hilflos.
Statt sich mit der Mafia anzulegen, ging Salvini Tunesien an. Er beleidigte die tunesische Regierung mit dem Vorwurf, sie exportiere Kriminelle. Die Kritik von Salvini ist nicht unbegründet. Viele der Nordafrikaner sind tatsächlich kriminell, Einbrecher, Dealer, Zuhälter. Der italienische Innenminister wunderte sich über die emotionale Reaktion der tunesischen Behörden. Nur ein Missverständnis, versuchte Salvini zu beruhigen.
Nicht weniger emotional reagierte Salvini seinerseits auf die Aussage des Präsidenten der EU-Kommission, Juncker, die Bürger der süditalienischen Regionen sollten mehr arbeiten und weniger korrupt sein.
Eine nationale Empörung war die Folge. Als unerhört wurde die Brüsseler Wortmeldung empfunden, arrogant der lehrmeisterliche Kommissionspräsident, der als Ministerpräsident Luxemburgs den Konzernen jede Menge Steuerschlupflöcher ermöglichte.
Trotzdem, die Kritik ist begründet. Die Organisation Transparency platziert Italien auf dem Korruptions-Rang 54, aufgelistet sind 180 Länder. Die italienische Initiative „senza corruzione“ führt Mittel- und Süditalien als chronisch korrupt und deshalb als verseucht auf.
Der Staat hat sich zurückgezogen
Die Schwester der Korruption ist die Armut, die in Süditalien weit verbreitet ist. Hohe Arbeitslosigkeit, besonders unter der Jugend, Schwarzarbeit und Jobs in der organisierten Kriminalität – der Schriftsteller Roberto Saviani prangert immer wieder diese Misere an. Der Staat ist im Süden abwesend, er zog sich immer mehr zurück, investierte immer weniger in den südlichen Regionen. Ohne Gelder aus Brüssel würde es noch düsterer ausschauen. Allein 2017 erreichten die EU-Gelder die Höhe von 10 Milliarden Euro, vom italienischen Staat kamen dürftige zwei Milliarden Euro.
Brüssel hilft über die Regional-Förderung den alleingelassenen verarmten süditalienischen Regionen. Die Geldmittel sind an klare Vorgaben gekoppelt, um der Korruption vorzubeugen. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 stehen Italien aus den Strukturfonds 64 Milliarden Euro zur Verfügung, 44 Milliarden Euro stammen aus Brüssel. Zwei Drittel des Geldes müssen im Süden ausgegeben werden.
Die Regionen waren bisher aber nicht imstande, Programme für die Strukturmittel zu entwickeln. Wirtschaftsprofessor Francesco Grillo kritisiert die Phantasielosigkeit der Verantwortlichen im Süden. Die herrschende Elite – sie war bisher Nutznießer der Milliarden aus dem Norden – zeigt wenig Ehrgeiz, die Lethargie zu bekämpfen. Trotz der Unterstützung wächst die süditalienische Wirtschaft langsamer als jene in Rumänien, Bulgarien oder Griechenland.
Zurück in die 50er Jahre
Die neue italienische Regierung des Wandels richtete inzwischen ein Ministerium für Süditalien ein. Ein Vertreter der Cinque Stelle steht dem neuen Ministerium vor, im Süden wählte die Mehrheit der Bürger die Cinque Stelle.
Die Regierung des Wandels kehrt somit in die 1950er Jahre zurück. Die christdemokratischen Regierungen richteten damals die Cassa del Mezzogiorno ein. Damit sollte der im Norden erwirtschaftete Reichtum umverteilt werden. Als Vorbild galt die New Deal-Politik des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt.
Die „Kasse für den Süden“, 1950 gegründet, seit 1951 operativ, investierte jährlich 100 Milliarden Lire. Angelegt für einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Geldmittel wurden ständig erhöht. Bis 1962 gab der Staat 1.280 Milliarden Lire im Süden aus. Eine unglaubliche Summe. 1984 wurde die „Kasse“ in eine Agentur umgewandelt, 1993 lief deren Auftrag aus. Der Staat investierte aber weiterhin in die marode süditalienische Wirtschaft, später kamen dann die EU-Gelder hinzu.
Insgesamt flossen im Zeitraum von 1951 bis 2013 430 Milliarden Euro in die südtitalienischen Regionen. Damit wurden 16.000 km Straßen gebaut, 23.000 km Wasserleitungen, 40.000 km Stromleitungen, 1.600 Schulen und 160 Krankenhäuser. Immerhin ein Versuch, den sonnigen Süden in blühende Landschaften zu verwandeln.
Gelungen ist das keineswegs. Die Tageszeitung „Il Giornale“ bilanziert: Ein Desaster. 20 Prozent Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 56 Prozent, zwischen 1958 und 1963 wanderten mehr als eine Million Süditaliener nordwärts, auch nach Deutschland und Belgien. Die massive Förderung versagte trotzdem.
Industrien, die abgewickelt werden
Mit der „Cassa del Mezzogiorno“ wurden „Kathedralen“ in der Wüste errichtet, die Stahlwerke Italsider in Taranto und Bagnoli, die Autowerke Alfasud in Pomigliano und Fiat in Termini Imerese, ein Chemiewerk in Gela. Industrien, die abgewickelt werden. Genauso wenig erfolgreich war die Cassa-Nachfolgerin, die Entwicklungs-Agentur Süd, sie vergab Klein-Kredite, mit denen die Regierung Unternehmen unterstützte und Berufskurse finanzierte, mit zweifelhaftem Erfolg.
Auch deshalb wurde die Lega in Norditalien zu stärksten Kraft. Die Norditaliener wollen den Süden nicht mehr finanzieren. Im Süden beträgt der negative residuo fiscale 30 Milliarden, der Norden alimentiert mit seinen Steuern das Leben der Süditaliener. Von den 100 Milliarden Euro aus dem Norden kassiert der Staat 70 Milliarden, der Rest geht in den Süden.
Die süditalienischen Städte erhalten pro Bürger vom Staat und von den Regionen 714 Euro. Seit 33 Jahren finanziert der Staat die Forstbeamten der Region Kalabrien mit 3,5 Milliarden Euro. Die Liste die Absurditäten ist ellenlang. Der Süden, das sagte vor zehn Jahren Wirtschaftsprofessor Nicola Rossi, ist der kranke Mann Europas, trotz der Geldflut.
Ob ein Ministerium für Süditalien diesem kranken Mann helfen kann? Gar mit Geldern, erwirtschaftet von den mittelständischen Unternehmern in Norditalien? Die Partei dieser fleißigen Leute, die Lega, ist darüber wenig begeistert. Genauso wenig über den Plan der Cinque Stelle, mit einer Art Grundeinkommen besonders den Süditalienern eine Perspektive zu verschaffen. Finanziert vom reichen italienischen Norden?
Was empfahl Kommissionschef Juncker den Italienern? Der Staat muss sich um die armen Regionen kümmern, das bedeutet mehr Arbeit und weniger Korruption. Juncker legte seinen Finger in die offene Wunde Italiens.