Ein politischer No name und Quereinsteiger hat es geschafft. Ministerpräsident Giuseppe Conte überzeugte die Mehrheit der Senatoren und der Kammerabgeordneten. Conte redete die Parlamentarier einfach nieder, wie es noch kein Ministerpräsident vor ihm getan hatte. Seine Erfinder, Luigi Di Maio von den Cinque Stelle und Matteo Salvini von der Lega, sekundierten ihm mit Schmunzeln und Grinsen. Di Maio und Salvini wirkten wie Aufpasser. Für die beiden Vizes ist dies die erste Festanstellung ihres Lebens, spöttelte ein Bozener Blogger.
Conte bekannte sich zur EU, zum Euro, zur Nato, zu Russland, zum Volk, zu einer Eingrenzung der Migration und proklamierte eine Politik der Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der Ruhestand wird neu geregelt, für Geringverdiener gibt es künftig ein Grundeinkommen, ähnlich der Hartz-Vier-Regelung in Deutschland. Ein umfassendes Angebot aus dem Polit-Supermarkt.
Conte, ein zurückhaltender Jurist, beschwichtigte und beruhigte in Kernfragen, also kein Austritt aus dem Euro und der Nato, schaffte den Spagat zu seinen Auftraggebern, er bekannte sich zum Populismus. Populismus, sagte Conte, heißt, die Interessen der Leute umzusetzen. Entrüstet wies er den Vorwurf zurück, einer rassistischen Regierung vorzustehen. Der Ministerpräsident färbte das Koalitionsabkommen mit seinen Zutaten ein, er wollte den Eindruck widerlegen, an der kurzen Leine von Di Maio und Salvini zu zappeln.
Die beiden Vize-Premiers zogen vor der Vertrauensabstimmung im Parlament eine wesentliche Reform vorerst zurück. Die Steuerreform mit der Einführung der flat tax, 15 Prozent Steuer für die Familien und 20 Prozent für die Unternehmen, soll erst im nächsten Jahr umgesetzt werden.
Auftakt blendend hingelegt
Der Ministerpräsident versprach eine Reform der Justiz, die effizient sein wird und das Recht auf Notwehr vorsieht. Künftig wird es also leichter sein, den Waffenschein zu erhalten. Bürger sollen damit in die Lage versetzt werden, sich gegen Kriminelle zu wehren. Conte sagte aber auch der weit verbreiteten Steuerhinterziehung und der Korruption einen kompromisslosen Kampf an. Auf beides, sagte der Premier, sollten künftig Haftstrafen stehen. Hart wird die Regierung des Wandels auch gegen die Mafia vorgehen, deren Finanzen einfrieren, ihr Wirtschaftssystem trockenlegen.
Kämpfen will Conte auch gegen die illegale Einwanderung. Das Geschäft mit der Migration, so bezeichnete Conte den Einsatz auch von deutschen NGOs im Mittelmeer, werde unterbunden.
Kein Thema mehr waren die angekündigte radikale Entbürokratisierung und die Abschaffung angeblich überflüssiger Gesetze.
Trotzdem, Conte kam gut an. Die Kommentatoren befanden, er hat den Auftakt blendend hingelegt. Der ehemalige Links-Sympathisant und Universitätsprofessor zerstreute erfolgreich die Bedenken des Staatspräsidenten. Conte ist zwar ein Ministerpräsident ohne Parlamentsmandat, versteht sich aber als Anwalt des Volkes. Er wird die Interessen der italienischen Republik innerhalb der EU wahrnehmen.
Der Ernennung vorausgegangen war eine deftige Polemik um den 12-seitigen Lebenslauf von Conte. Der Professor für Zivilrecht an der Universität Florenz verweist darin auf Studien an der New York University, der Pariser Sorbonne und anderen Elite-Universitäten wie Cambridge und Yale. Es waren offensichtlich keine Studien an diesen Universitäten, wohl eher Aufenthalte in deren Bibliotheken. Conte reagierte nicht auf die Vorwürfe und überließ seiner geschiedenen Frau seine Verteidigung: Ihr Ex sei für das Amt bestens geeignet.
Cinque Stelle-Chef Di Maio reagierte genervt auf die Kritik am geschönten Lebenslauf. Die Polemik sei ein weiterer Beleg für die Angst vor einer „Regierung der Veränderung“, entgegnete Di Maio. Der „bösartige Tratsch“ über Conte sei der Ausdruck der Angst der abgewählten „Kaste“ vor dem Verfall. Sie stelle sich aus reinem Überlebensinstinkt gegen das Neue, kommentierte Beppe Grillo auf seinem Blog.
Politisch progressiv und europafreundlich
Conte, ein smarter und höflicher Jurist, stammt aus dem Apennin, ganz in der Nähe des Padre-Pio-Wallfahrtsortes San Giovanni Rotondo, ist Sohn einer katholischen Familie und konnte mit einem Stipendium des Vatikans Jura studieren. 1988 promovierte er an der römischen Universität „La Sapienza“ mit Summa cum laude. Er lebt in Rom, unterrichtet Privatrecht in Florenz und an der römischen Universität LUISS, ist Mitglied des Obersten Richterrats für administrative Justiz und Herausgeber verschiedener Rechtspublikationen, sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Komitees der italienischen Notariatsstiftung. Er saß unter anderem im Aufsichtsrat der italienischen Raumfahrtagentur (ASI).
Conte gilt politisch als progressiv und europafreundlich. In seinem jüngsten Buch „L'impresa responsabile“ („Verantwortungsbewusstes Unternehmen“) plädiert Conte für die soziale Marktwirtschaft, in einem weiteren 650-seitigen Buch „Schutz der fundamentalen Rechte und Freiheiten“ wirbt der Rechtsprofessor für den Ausbau des Rechtsstaates. Alfonso Bonafede, Anwalt von Di Maio, brachte Conte zu den Cinque Stelle. „In der Vergangenheit habe ich links gewählt. Heute denke ich, dass die ideologischen Schablonen des 20. Jahrhunderts überholt sind“, sagte Conte über seine politische Vergangenheit.
Leicht ist es für Conte nicht. Bei einer Staatsverschuldung von 2.300 Milliarden Euro wollen die beiden Regierungsparteien Wahlgeschenke in der Höhe zwischen 100 und 180 Milliarden Euro verteilen. Es sind sehr unterschiedliche Geschenke: Für die mittelständische Industrie in Nord-Italien drängt die Lega auf eine radikale Absenkung der Steuern, um die sogenannten Leistungsträger vom Steuerdruck zu befreien. Die Cinque Stelle wollen den vielen an der Armutsgrenze lebenden Bürgern eine Art Hartz-4-Unterstützung zukommen lassen. Der lakonische Kommentar von Silvio Berlusconi: Die Faulen werden mit Staatsmittel alimentiert.