Von Wolfgang Mayr.
Die pro-spanische Großdemonstration in Barcelona ließ die deutsche Medien- und Politiklandschaft hörbar durchatmen. Endlich meldet sich die schweigende Mehrheit der Katalanen gegen die Unabhängigkeit. Noch größer war die Erleichterung, als die Umfrage einer spanischen Tageszeitung ergab, dass bei den Neuwahlen des katalanischen Regionalparlaments am 21. Dezember die pro-spanischen Parteien gewinnen werden. Deutsche Medien und deutsche Politiker wollen mit diesem Thema nicht weiter behelligt werden.
Der von der spanischen Regierung abgesetzte Präsident der katalanischen Region, Carles Puidgemont und weitere ehemalige Regierungsmitglieder sollen derzeit in Brüssel nach Gesprächspartnern suchen. Sie werden sich schwer tun, in der EU-Haupstadt Gehör zu finden. Belgiens Staatsekretär für Asyl und Flucht soll Puigdemont Asyl angeboten haben, wohl auch deshalb bezeichnete der Koordiator der spanischen Volkspartei, Maillo, die Reise nach Brüssel als Flucht aus Verzweiflung. Puigdemont kündigte eine Erklärung an.
In Barcelona haben Madrider Staatssekretäre die Arbeit der entmachteten Minister übernommen. Die kommissarische Regierung steht unter der Leitung der stellvertretenden spanischen Ministerpräsidentin María Soraya Sáenz de Santamaría, sie gilt als Scharfmacherin, sie gab den Marsch-Befehl an die Militärpolizei Guadia Civil am 1. Oktober. Sie hat sich durchgesetzt.
Die Zentrale greift durch
Die Puigdemont-Vertraute Carme Forcadell, die Parlamentspräsidentin, setzte die für Dienstag anberaumte Sitzung des Parlaments aus. Sie fügte sich der Anordnung aus Madrid. Die Zentrale greift durch. Gegen Puigdemont und seine Regierung wird die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, wegen Rebellion. Das kann 30 Jahre Haft bedeuten. Gefeuert wurden auch 150 enge Beamte und Berater der per Dekret abgesetzten Puigdemont-Regierung. Die bisherige Führung der katalanischen Polizei musste ebenfalls zurücktreten, weil sie das Referendum mit vorbereitet hatte.
Geschlossen werden auch die katalanischen Auslands-Vertretungen, auch jene in Berlin, und die Organisation Diplocat, die die Unabhängigkeitsbewegung mit theorischen Grundlagen begleitet hatte.
Der Zentralstaat schlägt ordentlich zu, weil die Bürger einer Region mit einem Referendum für die Unabhängigkeit votiert hatten. Das harte Vorgehen begründet der spanische Staat mit der Verletzung der Verfassung und der Gefährdung der staatlichen Einheit.
Das Recht auf Autonomie
Warum signalisiert der Staat nicht seine Bereitschaft, die lange vor dem Referendum finanziell gerupfte Autonomie baldigst wieder herzustellen? Ein solcher Zeitplan könnte dazu beitragen, den Streit zu entschärfen und die Spannungen abzubauen. Auch die Autonomie der katalanischen Region zählt zur verfassungsmäßigen Ordnung. Denn die Verfassung Spaniens anerkennt und garantiert das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen.
Noch besser wäre es, wenn die Regierung endlich das 2005 neu überarbeitete und erweiterte Autonomiestatut anerkennen würde. Es ist immerhin vom katalanischen und vom spanischen Parlament und bei einem Referendum auch von den katalanischen Bürgern angenommen worden. Erst auf Intervention der spanischen Volkspartei und ihres damaligen Vorsitzenden und heutigen Ministerpräsidenten, Mariano Rajoy, erklärte das Verfassungsgericht zahlreiche Artikel des neuen Statuts für verfassungswidrig.
Das Verfassungsgericht ist in den Händen von Vertrauensleuten der konservativen Volkspartei PP und der sozialistischen Partei PSOE. Nicht vertreten sind im Verfassungsgericht höchste Richter aus den Regionen der drei „historischen Nationalitäten" von Katalonien, Baskenland und Galicien, die immerhin ein Drittel der spanischen Bevölkerung stellen.
Das Versagen der EU
An dieser Stelle soll auch daran erinnert werden, dass das Verfassungsgericht Spaniens Politiker aufgefordert hatte, bei Bedarf auch die Verfassung abzuändern, um Reformen von Autonomie-Statuten zu ermöglichen. "Deshalb sollen die Staatsorgane und insbesondere die territorialen Gewalten, die Teil unseres Autonomiestaates sind, die in diesem Bereich entwickelten Probleme durch Dialog und Zusammenarbeit lösen", heißt es in dem wegweisenden Urteil. Von dieser Bereitschaft zum Dialog und zur Konfliktlösung scheint Spaniens Politik momentan weit entfernt zu sein. Stattdessen wird auf Eskalation und Härte gesetzt, so dass die Katalonien-Krise droht noch weiter zu eskalieren.
Peinlich das Schweigen und letztendlich Versagen der EU, der Kommission und der Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Weltweit will die EU Konflikte lösen. Im eigenen Haus versagt sie aber und verspielt damit ihre Glaubwürdigkeit. Statt ihre Erfahrung in Konfliktvermeidung und ihr diplomatisches Können einzusetzen, haben die EU-Staaten einseitig für Spaniens Regierung Partei ergriffen, die auf Zwang und Repression setzt. Für die Eskalation des Streits ist die EU mitverantwortlich.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert hat Spaniens Regierung jede Unterstützung zugesichert. Diese einseitige Parteinahme ist das falsche Signal an Madrid: Ministerpräsident Mariano Rajoy hat sich in den letzten Jahren als unwillig erwiesen, einen glaubwürdigen Dialog mit den Katalanen zu führen. Statt dem Streitgegner einen würdevollen Ausweg aus der Krise ermöglichen, werden die Uanbhängigkeitsbefürworter gedehmütigt. Rajoy setzt auch aus wahltaktischen Überlegungen auf Stärke und eine Eskalation des Konflikts.
P.S.: Das Fußballspiel Real Madrid gegen den katalanischen Aufsteiger FC Girona in die höchste spanische Liga endete am Sonntag mit 2:1 für die Katalanen. Die sogenannte Separatisten-Hochburg besiegte die Zentrale.