Redaktion / 17.02.2023 / 10:30 / Foto: G.H / 62 / Seite ausdrucken

Zum Tode von Gunnar Heinsohn

Unser Freund und Autor Gunnar Heinsohn ist gestern in Danzig im Beisein seiner Familie und von Freunden verstorben. Sein freundliches Wesen, gepaart mit gelassener Furchtlosigkeit und intellektueller Standhafigkeit, hat uns immer aufs Neue fasziniert. Als Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe verstand er es wie kaum ein anderer, Debatten anzustoßen und in eine breite Öffentlichkeit hineinzuwirken. Seine Forschungen und Beiträge zu Ökonomie, Genozidforschung, Erziehung und Bevölkerungspolitik, Religionswissenschaft und Kriegsdemografie waren immer auch in den großen Medien präsent. Sein intellektuelles Werk wird einen Platz in den Geschichtsbüchern finden.

Gunnars universale Bildung und Neugier machten ihn zu einer Person, die Gesprächspartner sofort faszinierte. Wir erinnern uns an ein Autorentreffen mit ihm am Berliner Wannsee, bei dem sich auf der kleinen Bühne des Festsaals eine spontane Diskussion zu Migrationsfragen zwischen ihm und anderen Autoren entwickelte. Nach einigen Minuten stand auch die Belegschaft des Restaurants in der Tür und hörte fasziniert zu. Gunnar hatte die Gabe, sich auch bei Menschen verständlich zu machen, die nicht zur studierten Klasse zählen, ein für einen Wissenschaftler seines Kalibers ziemlich rares Talent .

Sein Sohn Tadeusz Heinsohn hat uns einen letzten Brief an seine Freunde, Unterstützer und Begleiter zugeleitet, in dem er sein Leben Revue passieren lässt. Wir veröffentlichen ihn hier auch für unsere Leser als Erinnerung an einen wunderbaren und mutigen Menschen, immer freundlich und mit geschliffenen Verstand. Gunnar, wir werden Dich vermissen.

Liebe Freunde! 

Mein Sohn Tadeusz leitet meinen Abschied weiter. Nach einem Leben, das am 16. Februar 2023 zu Ende geht, das viel einfacher war, als es oft schien, möchte ich mich bei Euch für all die Hilfe bedanken, die es noch einfacher gemacht hat. 

Im Internat, in St. Peter-Ording der 1950er/60er Jahre, half Wolfgang Graeser ("Grassi"), das Leben weniger kompliziert zu machen. Unsere Väter waren in Hitlers Kriegen gefallen, seiner als Militärarzt in Russland, meiner als U-Boot-Kommandant vor Kanadas Neufundland. Vaterlosigkeit galt als schlechtes Omen für unsere Zukunft. Deshalb wurden wir für Vergehen strenger bestraft als unsere Altersgenossen. In den langen Stunden des Hausarrests trugen wir unsere Lieblingsballaden vor. Sieger war, wer sich mehr der vergessenen Verse merken konnte. Grassi lag meist vorne, kaute aber auch immer auf flachen geräucherten Würstchen herum. Ich habe nie herausgefunden, woher diese Landjäger kamen, aber ich mochte sie auch, und er war nicht knauserig. Grassi wurde Anästhesist. Ich bin der Killer, wenn etwas schief geht, schrieb er mir schon früh. Mit seinem großen Herzen war es nur folgerichtig, dass er Direktor eines der größten Bergarbeiterkrankenhäuser im Ruhrgebiet wurde. 

Heribert Illig war in den 1980er und 1990er Jahren ein hervorragender Partner bei der Erarbeitung einer stratigraphisch fundierten Chronologie vom Alten Ägypten über Mesopotamien bis nach Indien und China. Dennoch weiß ich, dass meine Wiederentdeckung der angeblich unauffindbaren Chaldäer (das gelehrteste Volk der Antike) in den "Sumerern" (die bis zu ihrer Erfindung durch Jules Oppert 1868 unbekannt waren), die sich das Volk von Kalam nannten, noch auf eine ernsthafte Debatte warten muss. In all diesen Jahren gab mir Milton Zysman (1939-2019), ein genialer Mann, ein Dach über dem Kopf in Toronto, wo ich in der beeindruckenden Robarts Research Library für meine Bücher über das vorchristliche Altertum forschen konnte. 

Frank Decker hat einige der besten Jahre seines Lebens damit verbracht, die Eigentums-/Eigentumstheorie des Geldes und des Zinses, die ich seit 1982 mit meinem verstorbenen Freund Otto Steiger (1938-2008) entwickelt hatte, in englischer Sprache darzustellen und zu verbessern. Fredmund Malik (Malik Management Zentrum; MSZ; St. Gallen) und Maurice Pedergnana (Hochschule Luzern und Institut für Finanzdienstleistungen; IFZ/Zug) haben für die Verbreitung der Eigentumsökonomie in der Schweiz in den Lehrplänen ihrer Hochschulen gesorgt. 

Clark Wheltons selbstlose redaktionelle Arbeit hat über viele Jahrzehnte hinweg die Fertigstellung vieler meiner Texte in englischer Sprache sichergestellt. Die Jahre von 2011 bis 2023 haben ihn, einen ehemaligen Redenschreiber von New Yorks Bürgermeistern, mit einem zusätzlichen Forschungsgebiet belastet. Die 1000, meist schlecht beleuchteten Jahre des ersten Jahrtausends n. Chr. haben Substanz für nur 300 Jahre, die schließlich eine gut verständliche Geschichte liefern, wenn wir unsere Anno-Domini-Chronologie durch wissenschaftliche Stratigraphie ersetzen. Meine mehrsprachige Verlegerin Anne-Marie de Grazia (quantavolution magazine/q-mag) sorgte geduldig, aber zielstrebig dafür, dass dieses ziemlich seltsame Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. 

Als 2010 eine öffentliche Kampagne in Deutschland versuchte, mich zu ächten, erwies sich Hans-Jürgen Hübner, unterstützt von Helmut Diez, als fairer und furchtloser Online-Wächter meines Rufs. Ich hatte – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – die Sozialpolitik von Präsident Clinton auch für Deutschland vorgeschlagen. Jeder Bürger wird mit dem Recht auf 5 Jahre Sozialhilfe geboren. Er kann sie sparen, in einem Zug oder in Tranchen oder gar nicht in Anspruch nehmen. 

Großzügige Hilfe sollte bei echter Not gewährt werden, aber die Sozialhilfe als lebenslange Existenzform auf Kosten der Mitbürger sollte beendet werden. In den Medien, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants wurde ich als Volksfeind hingestellt und von Kollegen und einfachen Bürgern angeschrien. Mein Büro an der Universität wurde durch das Einspritzen von Sekundenkleber in das Schloss unzugänglich gemacht. Ich traute mich nicht mehr, meine Familie an den Wochenenden von Danzig nach Bremen zu bringen. Dann tauchte Peter Mikolasch als Retter auf und bot mir ein Exil in Niederösterreich an. Damit war meine Nervosität verflogen. 

Peter Sloterdijk hat Söhne und Weltmacht vor dem Vergessen gerettet. Das hat mir geholfen, das Thema Kriegsdemografie an der NATO-Verteidigungsschule in Rom einzuführen. Dort durfte ich es von 2011 bis 2020 unterrichten. Dies bot unzählige Gelegenheiten, meine Verkürzung des ersten Jahrtausends nach Christus an vielen der besten Ausgrabungsstätten Italiens zu untersuchen. 

1976 nahmen Ruth Lahav, Tony Rigg und Dori Derdikman mich, einen völlig Fremden, in ihr Haus auf, als ich nach Jerusalem kam. Sie wussten, dass sie auf mich zählen konnten, als die Drohungen gegen Israel unerträglich wurden. Polen, wohin ich 1944 vor der Roten Armee geflohen war, schenkte mir mein Kindermädchen Irena Przytarska und, ein halbes Jahrhundert später, meine geliebte Frau Joanna Sidorczak-Heinsohn. 

Mein siebzigstes Jahr war schöner als mein sechzigstes. Leider konnte dieser tröstliche Trend in meinem achtzigsten Jahr nicht fortgesetzt werden. 

Viel Glück und auf Wiedersehen, wie Mel Brooks sagen würde, aus Gdańsk/Danzig, wo ich geboren wurde und in der Sicherheit meiner Heimat und der Solidarität meiner polnischen Freunde, die unter Einsatz ihres Lebens für die Freiheit gekämpft haben, gestorben bin. Mein Leid war im Vergleich zu ihrem lächerlich. 

Gunnar Heinsohn (1943–2023) 

Foto: G.H

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Elmar Hofmann / 17.02.2023

Die Besten gehen immer viel zu früh. Herr Gunnar Heinsohn, vielen Dank für ihre intellektuelle Redlichkeit und ihre Freundlichkeit.

Oliver Bender / 17.02.2023

Wieder eine Stimme im Chor der Vernunft weniger. Ich bin erschüttert. Wer kann diese Lücke füllen?

F.Lux / 17.02.2023

Was für ein Verlust!!! Mein aufrichtiges Beileid an Hinterbliebene und Freunde. Durch sein Werk, hinterläßt er eine unauslöschliche Spur ,eines wahrhaft großen Wissenschaftlers und Intellektuellen,.Dafür gebührt ihm unser aller Dankbarkeit Friedemann Lux

Markus Greif / 17.02.2023

Seine klaren Worte und Aussagen zu Themen der Demographie, Bildung, etc. werden mir fehlen, aber eine Ehre ihn auf dieser Plattform gelesen zu haben.

Dr. Markus Hahn / 17.02.2023

Ein souveräner und sehr berührender Abschiedsgruß. Nichts anderes war von Gunnar Heinsohn zu erwarten. Bis dann.

R. Bunkus / 17.02.2023

Sehr schade. Ruhen Sie in Frieden, Herr Heinsohn!

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