Zum Tode von Charlie Watts

Nach dem ersten Schock und nach einigen Tagen im stillen Kämmerchen, mit in Überzimmerlautstärke geschürtem Stones-Sound (immer und immer wieder "Tumbling Dice" – so geil, wie das Schlagzeug gegen Ende hin ca. bei Minute 3:00 wieder reinkommt), fühle ich mich nun schlussendlich in der Lage, ein paar Zeilen über das Ableben von Charlie Watts, seines Zeichens Schlagzeuger der größten Rock'n'Roll-Band der Welt, zu Papier zu bringen (ich bin keiner von denen, die vorgefertigte Nachrufe in ihrer Schublade horten).

Als Watts Anfang der 60er Jahre Brian Jones, Mick Jagger und Keith Richards im Umfeld der britischen Blues-Ikone Alexis Korner kennenlernte, ließ er sich lange bitten, bei deren neuer Bluesband mitzumachen und willigte nur unter der Bedingung ein, für seine Dienste auch anständig und pünktlich bezahlt zu werden. Schließlich war er der einzige Profi unter ihnen und wollte sich nicht von irgendwelchen dahergelaufenen Amateuren über den Tisch ziehen lassen. Das verwundert allerdings etwas, da Watts – entgegen vielen öffentlichen Verlautbarungen anlässlich seines Todes, nach denen er als einer der besten Schlagzeuger der Welt gelte – nicht als besonders guter Drummer angesehen wurde. Im Gegenteil, in meinem Freundeskreis, dem viele Musiker angehören, wurde einstmals sogar darüber spekuliert, ob er live wirklich selbst spielte oder nicht vielmehr ein anderer Schlagzeuger, der hinter einem Vorhang versteckt war. Das war natürlich absoluter Blödsinn. Aber es zeigt, dass Charlie Watts, ähnlich wie Ringo Starr, musikalisch und technisch nicht allzu viel zugetraut wurde. Zwischenzeitlich hat sich das längst relativiert und beide gelten als solide Drummer, die durchaus ihre Qualitäten und Vorzüge haben. Vielleicht hatte das aber auch damit zu tun, dass Watts bei jedem Snareschlag mit der rechten Hand auf der Hi-Hat aussetzte, was wirklich etwas unbeholfen aussieht. Tatsächlich gibt es nicht viele Schlagzeuger, die das machen. Aber die, die es tun, schwören darauf, dass der Snare-Hit dadurch im Gesamtsound direkter durchkommt, ohne durch eine gleichzeitig gespielte Hi-Hat klanglich beeinträchtigt zu werden.

Erst vor ein paar Monaten schrieb ich in meinem Artikel zum 50. Jubiläum der klassischen Stones-Scheibe „Sticky Fingers“ über Charlie Watts: Er sei „immer einen Tick hintendran, aber schiebt wie Schwein.“ In der Tat kann man einen Ton oder einen Schlag in der Musik rhythmisch exakt auf den Punkt spielen oder kurz davor, also leicht vorgezogen, was antreibend wirkt, oder kurz danach, was ein unterschwellig anschiebendes Laid-Back-Feeling erzeugt. Charlie Watts' Schlagzeugspiel entsprach Letzterem, was auch damit zu tun hat, dass Keith Richards der eigentliche Taktgeber bei den Rolling Stones ist. So hing Watts stets mit einem Ohr an Richards Rhythmusgitarre und folgte ihr hinterher, was dann diese kurze Verzögerung zur Folge hatte, die so typisch für den eigentümlichen Beat der Stones ist. Apropos Keith Richards: Wer hätte gedacht, dass der mal den ruhigen, zurückhaltenden Charlie Watts überlebt, der zwar in Sachen Alkohol und Drogen auch sein Päckchen zu tragen hatte, es damit aber nicht so übertrieb, wie sein schwerstabhängiger Kollege, und es schließlich hinbekam, von einem auf den anderen Tag damit aufzuhören. Aber nun ist es dennoch so gekommen. Letzte Woche, am 24. August ist Charlie Watts in einem Krankenhaus im Kreise seiner Lieben verstorben. Der smarte Engländer, der nur ganz selten die Fassung verlor, beispielsweise als Mick Jagger in den 80er Jahren meinte, die Rolling Stones zu seiner Begleitband degradieren zu können und Watts als „seinen Schlagzeuger“ bezeichnete, woraufhin ihm dieser einen einschenkte, wurde 80 Jahre alt. Im Himmel werden sich Jimi Hendrix, Jim Morrison, John Entwistle und viele andere – nicht zuletzt auch sein ehemaliger Bandmate Brian Jones – schon freuen, ihn zu der einen oder anderen himmlischen Jamsession begrüßen zu dürfen. Hit it, Charlie!

YouTube-Link zu einer Live-Aufnahme von „Sympathy For The Devil“ aus dem Konzert in Havanna von 2016 mit einem schönen Schlagzeug-Intro von Charlie Watts

Foto: Olavi Kaskisuo via Wikimedia Commons

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Xaver Huber / 30.08.2021

Sehr geehrter Herr Scheuerlein, danke für Ihren empathischen Artikel. Wir alle sterben, Und wenn wir je nach Betrachtungsweise Glück oder Pech haben, sterben diejenigen, mit denen wir unser Leben verbinden nach uns. Ihre nachvollziehbare Verwunderung, Charlie Watts hätte entgegen vieler menschlicher Mutmaßungen VOR Keith Richards die irdische Sphäre verlassen, zeigt gerade in den Corona-Zeiten die Grenzen menschlicher Determinierung auf. Hochachtungsvoll

U.Schulz / 30.08.2021

Auch ich fand sein hintergründiges Lächeln immer toll.Nach dem Motto:Tobt ihr euch mal aus ich habe alles im Griff.Die Stones haben mich bis heute begleitet und mich begeistert.Auch mein Sohn wurde von dem Stonesvirus erfaßt und wir besuchten gemeinsam das letzte Konzert in Hamburg.Ich besitze fast alle Platten von den Stones.Wobei mir die 60er und 70er am ehesten zusagen.Mach es gut Charlie!!!

Matthias Ditsche / 30.08.2021

@ Wiesel Hauptsache nicht Ian Paice…der wird noch gebraucht!

Rolf Menzen / 30.08.2021

Schöner Artikel. Als alter Korinthenkacker muss ich allerdings anmerken, dass der Schlagzeugpart in der Coda von Tumbling Dice von Produzent Jimmy Miller, der von Haus aus auch Drummer war, gespielt wurde.

Peter Bauch / 30.08.2021

Watts hat einen guten Teil zur grandiosen Musik der Stones beigetragen. Er hat dazu gepaßt. Er hat es tunlich unterlassen,  einem Schlagzeug-Gott wie John Bonham nachzutun. Mir sind jetzt auch keine 20-miütigen Soli von ihm geläufig, wie sie in den 1970ern von virtuosen Schlagzeugern üblich waren. Aber es mit Leuten wie Jagger und Richards über Jahrzehnte auszuhalten und dann trotzdem noch so alt zu werden. Respekt.

Claudius Pappe / 30.08.2021

Three Times ” It s only Rock n Roll ” ...........................Er hatte immerhin fast drei Rock n Roll Leben ( 3 x 27 ) but he liked that

Claudius Pappe / 30.08.2021

Its all over now….................Vorgestern auf Arte noch mal Sticky Fingers gesehen und gehört. Ja, Starr und Watts waren die vierten im Bunde. Mannschaften ( Bands) müssen auch Arbeiter haben , nicht nur Stars und Masterminds.

Katharina Fuchs / 30.08.2021

Ich habe es geliebt, wie er da so hinter seinem Schlagzeug saß, den Anflug eines Lächelns im Mundwinkel und ein Blick, der in etwa besagte, “Ich bin vermutlich der einzige Erwachsene hier…”. So long, Mr. Watts.

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