Hans Scheuerlein, Gastautor / 11.11.2023 / 14:00 / Foto: Ronnie Liew / 3 / Seite ausdrucken

„Now and Then“ – Die Beatles sagen Goodbye

Wie es heißt, soll „Now and Then“ nun also der letzte neue Song sein, der unter dem Namen The Beatles herauskommt. Ich höre mir das Stück an und werde melancholisch – und dankbar.

Wenn jedes Vierteljahrhundert mal wieder neue Musik der legendären Fab Four erscheint, dann ist das schon einen Asbach Uralt wert. Wie es heißt, soll „Now and Then“ nun also der letzte neue Song sein, der unter dem Namen The Beatles herauskommt. Am Tag vor der offiziellen Veröffentlichung, die für den 2. November angekündigt war, packte mich dann doch die Neugierde, und ich trieb mich etwas im Netz herum, um zu sehen, was sich dazu in Erfahrung bringen ließe. Dabei stieß ich auf eine hübsch aufgemachte Doku über das Making-of der neuen Nummer sowie eine – wie sich später herausstellen sollte – unfertige Vorabversion, die mich allerdings recht ernüchtert zurückließ. Ich hielt auch den Song an sich für verhältnismäßig schwach – irgendwie fad. Als ich am 2. November dann zum ersten Mal die offizielle Version hörte, stellte sich die Sache schon etwas anders dar.

Ich war von der Qualität des Songs zwar immer noch nicht sonderlich überzeugt, aber das Endprodukt hatte zumindest soundtechnisch und vom Arrangement her Hand und Fuß. Genug jedenfalls, dass ich hin und wieder (= „Now and Then“) Lust verspürte, mir das Stück ein weiteres Mal anzuhören. Und siehe da: Bei jedem neuen Hören, gefiel es mir wieder ein bisschen besser. So richtig gekriegt haben sie mich aber erst mit dem Video, das am Tag darauf nachgeschoben wurde. Auf einmal war alles wieder da: die vier sympathischen Freunde aus Liverpool, die sich für keine Albernheit zu schade sind, die ikonografischen Pilzköpfe, die Beatlemania, Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, die erwachsen gewordenen Fab Four mit den Rauschebärten und den wirklich langen Haaren... Und immer wieder die inzwischen ins hohe Alter gekommenen Paul McCartney (81) und Ringo Starr (83), die ihren beiden verblichenen Freunden auf anrührende Weise musikalisch die letzte Ehre erweisen. Ich muss gestehen: Ich war ergriffen – und bin es immer noch. Sie haben es mal wieder geschafft.

„Now and Then“ wurde Ende der Siebziger Jahre von John Lennon geschrieben und wahrscheinlich etwa ein Jahr vor seiner Ermordung auf eine einfache Musikkassette aufgenommen. Im Jahr 1994 hatte Lennons Witwe Yoko Ono den verbliebenen Dreien ein paar dieser Demo-Kassetten für das Anthology-Projekt zur Verfügung gestellt. Daraus entstanden dann die beiden neuen Beatles-Singles „Free As A Bird“ und „Real Love“, die von Paul, George und Ringo mithilfe von E.L.O.-Mastermind Jeff Lynne produziert und 1995 bzw. 1996 veröffentlicht wurden. Auch zu „Now and Then“ wurden damals schon anfängliche Aufnahmen gemacht. Aber wegen seinerzeit nicht lösbarer Probleme mit der Tonqualität des Demos wurde das Stück wieder fallengelassen.

War's das jetzt? Wirklich?

Erst als Star-Regisseur Peter Jackson („Herr der Ringe“) für die The Beatles: Get Back-Miniserie von 2021 eine spezielle, lernfähige Software entwickeln ließ, um auch Gespräche, die im Hintergrund stattfanden, hörbar zu machen, hatte man das richtige Werkzeug zur Hand, um Lennons Stimme sauber aus der suboptimalen Kassettenaufnahme zu isolieren. Paul spielte dann ein neues Klavier ein sowie seinen Höfner-Bass und schickte die Soundfiles an Ringo, der ein Schlagzeug dazu aufnahm. Die Basic Tracks wurden dann noch mit George Harrisons Gitarren von 1995 ergänzt und mit einer Slide-Guitar garniert, bei der sich Paul alle Mühe gab, wie George zu klingen. Noch etwas Streicher obendrauf und ein paar Chorgesänge aus alten Beatles-Stücken – und fertig war der Brei; dem man das ganze Zusammengestöpsel tatsächlich gar nicht mehr so richtig anhört. Profis bei der Arbeit eben.

Das ursprüngliche „Now and Then“ ist sicherlich als eine weitere Liebeserklärung von John Lennon an seine Frau Yoko gemeint gewesen. Aber der Text lässt sich ebenso gut als ein melancholisches Nachsinnen über die einstige Freundschaft der vier Beatles lesen. Und nicht zuletzt ist schon der Titel „Now and Then“ doppeldeutig und könnte auch für „jetzt und damals“ stehen – gewissermaßen für den Anfang und das Ende ihrer Karriere; womit sich der Kreis nun final schließt. Es passt wieder einmal alles! Da ist es nur logisch, dass für die B-Seite die allererste Beatles-Single „Love Me Do“ aus dem Jahr 1962 ausgewählt wurde.

Und wenn sich am Ende des Videos die vier Pilzköpfe verbeugen, so wie sie es bei ihren Auftritten nach jedem Song zu tun pflegten, und sich dann schließlich in Luft auflösen – und dann auch noch der Beatles-Schriftzug im Hintergrund erlischt – kann man eigentlich nicht umhin, das Ganze als einen Abschied aufzufassen. War's das jetzt? Heißt das, die Beatles sagen damit endgültig Goodbye? Es sieht so aus. Mir als lebenslangem Fan geht das wirklich nahe. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt kitschig klingt; aber ich meine es, wie ich es sage: Danke für all die schönen Momente, für die Träume, das Licht, die Wärme, die Sinnlichkeit... Danke John, Paul, George und Ringo für die wundervolle Musik!

YouTube-Link zum anrührenden Video des finalen Beatles-Songs „Now and Then“

Redaktioneller Hinweis:

In Kürze widmet sich hier auch Snorre Björkson „Now and Then“ – unter anderen Aspekten.

 

Hans Scheuerlein ist gelernter Musikalienfachverkäufer. Später glaubte er, noch Soziologie, Psychologie und Politik studieren zu müssen. Seine Leidenschaft gehörte aber immer der Musik.

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A. Werner / 11.11.2023

Ja, es ist schon lange vorbei, aber die tollen Erinnerungen bleiben. Now and Then ist ein sehr schöner Song, hat aber für die heutige Zeit nur wenig (keine?) Relevanz.  Beatlemania is over. Jede Generation hat ihre (Musik-) Helden. Aber für mich waren die Beatles DIE GRÖßTEN! A.Werner

D. Katz / 11.11.2023

Ich hatte, wie man so sagt, “Pipi in den Augen”, als ich das Video gesehen habe. Einfach ergreifend, vor allem, wenn man wie ich altersmäßig das Glück hatte, die Beatles bewusst von Anfang an mitzuerleben (meine erste mit 10 Jahren gekaufte Single war “She loves you”, und ich musste sie unter meinem Bett verstecken, da ich nicht riskieren konnte, erwischt zu werden, weil ich für diese Hottentottenmusik Taschengeld ausgegeben hatte. Hören konnte ich sie nur ganz selten, wenn beide Eltern nicht im Haus waren). Und genau an diese Zeit erinnern einige Sequenzen im Video und tragen mich 60 Jahre zurück. Wie mag es wohl in den Seelen von Paul und Ringo bei der Arbeit an “Now and then” zugegangen sein? Ob die Augen nicht auch ein wenig feucht geworden sind? Es würde mich nicht wundern… (nebenbei: das schönste Liebeslied aus der Feder Paul McCartneys ist für mich das aus früher Zeit stammende “Here, there and everywhere”. Da reicht “Now and then” zwar nicht heran, aber es kommt diesem recht nahe. Und noch etwas nebenbei: Ringo muss die Formel für die ewige Jugend entdeckt haben - oder jemanden, der die Formel entdeckt hat. Der Mann sieht von Jahr zu Jahr jünger aus.)

Lutz Serwuschok / 11.11.2023

Einfach nur Gänsehaut beim Hören. Danke, The Beatles.

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