Hans Scheuerlein, Gastautor / 07.10.2023 / 14:00 / Foto: Avda / 3 / Seite ausdrucken

Bob Marley & The Wailers: 50 Jahre „Burnin’“

Dum – tscha-ka – – tscha-ka – – tscha-ka – – tscha-ka… Das war neu! So etwas hatten wir noch nicht gehört. Und dann die Präzision, mit der Schlagzeug und Percussion mit dem hüpfenden Bass und der abgehackten Gitarre zusammenspielten. Angereichert mit lässigen Wah-Wah-Gitarrenlicks und spacigen Keyboard- und Orgelsounds. Cool stuff, man!

Als um das Jahr 1970 herum eine ganze Reihe 27-jähriger Rockstars ihr Leben ließen, war ich noch zu klein, um mitzukriegen, was abgeht. Daher waren für mich die Jahre 1980 und '81 die ersten Schicksalsjahre in der Musik, die ich bewusst miterlebt habe. Es begann im Februar 1980, als völlig unerwartet der schmissige AC/DC-Sänger Bon Scott verstarb. Seitdem wollte mir die australische Band nie mehr so richtig gefallen, auch wenn sie mit ihrem ersten Album mit neuem Sänger den größten Erfolg ihrer Karriere einfahren sollte. Dann im September trat John Bonham ab, der geniale Schlagzeuger von Led Zeppelin. Schon bei ihrem Auftritt in Nürnberg im Juni des Jahres hatte er einen Schwächeanfall erlitten, weshalb das Konzert nach nur wenigen Stücken abgebrochen werden musste. Am 8. Dezember sodann wurde die Welt von der Schocknachricht erschüttert, dass Ex-Beatle John Lennon vor seinem Wohnhaus in New York von einem geistig verwirrten Fan erschossen worden war. Am darauffolgenden Tag kaufte ich mir zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben die Bild-Zeitung.

Weiter ging's mit Altmeister Bill Haley, der im Februar 1981 im Alter von 55 Jahren das Zeitliche segnete. Mit seinem „Rock Around the Clock“ aus dem Jahr 1954 hatte der Amerikaner den unüberhörbaren Startschuss für den Rock'n'Roll gegeben. Und etwas später im Mai kam schließlich die Nachricht von Bob Marleys Tod. Der charismatische Sänger und Gitarrist aus Jamaika hatte die Reggae-Musik rund um den Globus bekannt gemacht (genauer gesagt: den religiös-inspirierten Roots-Reggae, im Unterschied zu anderen Spielarten wie Rocksteady, Dub oder Dancehall). Songs wie „No Woman, No Cry“, „I Shot the Sheriff“ und „Get Up, Stand Up“ – alle drei auf der B-Seite des fabelhaften Live-Albums von 1975 versammelt – wurden zu Hymnen einer alternativen, von allerlei diffusen Gerechtigkeitsvorstellungen bewegten Späthippie-Generation, die vor allem für Freiheit und gegen staatliche Bevormundung war. Niemand hätte sich damals auch nur träumen lassen, dass einmal eine junge Generation nachkommen würde, die wieder Autoritäten hinterherläuft („Follow the Science!“) und darum bettelt, dass eine hart durchgreifende Obrigkeit im Namen einer verbohrten Gesinnungsorthodoxie die Früchte der Freiheit und des Wohlstands wieder einkassiert.

Aber wahrscheinlich ist das alles nur eine Frage des herrschenden Zeit(un)geistes, und die heutigen jungen Menschen haben genauso wenig Ahnung und genauso unreife Vorstellungen von allem Möglichen und Unmöglichen wie wir damals. Etwa, als wir mit den Reggae-Farben herumliefen und glaubten, Bob Marley sei ein integrer Kämpfer für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Was uns damals nämlich nicht so klar war: Hinter Marleys Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft des Rastafarianismus – oder kurz Rastafari (oder noch kürzer Rasta) – stand eine ziemlich schräge Weltanschauung, die in vielen Punkten in krassem Widerspruch zu dem Bild stand, das wir vom coolen Bob mit seinen Dreadlocks und Joint im Mundwinkel hatten. Die Rastafari-Bewegung ist eine Art religiöser Sekte, welcher in Jamaika lediglich um die 20.000 Gläubige angehören; was weniger als einem Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Anhänger, die sich selbst als das auserwählte Volk betrachten, identifizieren sich zum einen mit dem Judentum (daher die wiederkehrenden Bezüge zu Zion in vielen Reggae-Songs) und zum anderen mit dem ostafrikanischen Äthiopien, in dem sie ihren eigentlichen Ursprung sehen, aus dem sie einst in die Sklaverei verschleppt wurden.

Dieser einzigartige, exotische Off-Beat!

Ihr Glaube fußt auf einer Heilserwartung, nach der ein Messias kommen wird, der sie wieder in das Gelobte Land zurückführt. Diesen meinten sie in dem damaligen äthiopischen Kaiser Haile Selassie I. (1892–1975) erkannt zu haben, den sie als lebendigen Gott auf Erden verehrten. Von dessen Prinzennamen Lija Ras Täfari Mäkonnen leitet sich auch die Bezeichnung Rastafari ab. Und nicht zuletzt entstammen die Farben der Rasta-Bewegung, Rot, Gelb und Grün, der äthiopischen Nationalflagge (nur in umgekehrter Reihenfolge, aber oftmals auch mit dem Symbol des Löwen von Juda). Die Farben der jamaikanischen Flagge sind dagegen Schwarz, Grün und Gelb, wie man spätestens seit diversen Koalitionsverhandlungen weiß. Der Rastafari-Glaube geht zudem mit der Ablehnung der westlichen Kultur einher, die von seinen Anhängern als korrupt und verkommen angesehen und verächtlich als „Babylon-System“ betitelt wird (vgl. auch das Live-Doppelalbum von Bob Marley & The Wailers „Babylon by Bus“ mit Konzertmitschnitten aus Europa).

Überdies zeichnet sich die zutiefst patriarchalisch geprägte Religionsgemeinschaft durch rigide Speisevorschriften, die Entsagung von Genussmitteln wie Alkohol und Tabak (außer Marihuana zum meditativen „Reasoning“), die Ächtung von Homosexualität wie auch durch ein ausgesprochen traditionelles Verständnis der Geschlechterrollen aus – wobei Frauen traditionell wenig zu melden haben. So viel also zu Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Als 1945 geborener Sprössling eines betagten Hauptmanns der britischen Armee und einer 42 Jahre jüngeren Jamaikanerin hatte der kleine Bob sicherlich mit schmerzlichen Akzeptanzproblemen innerhalb seiner Peergroup zu kämpfen. Vielleicht musste er deshalb auch unter Beweis stellen, dass er einer von den ganz Echten ist, als er sich mit 21 Jahren der Rasta-Bewegung anschloss und sich als besonders fanatischer Rastaman gebärdete. Und einmal mehr zeigt auch sein Werdegang, welche unbändigen Energien von persönlichen und emotionalen Defiziten freigesetzt werden können, die nach erlösender Kompensation drängen.

Natürlich waren uns Marleys Glaubensbekenntnisse, die er in seinen Liedtexten und in seinen Ansagen bei Live-Konzerten nicht müde wurde zu predigen, nicht entgangen. Wir hielten das aber vielmehr für einen Ausfluss harmloser Identitätsbekundungen und spiritueller Überzeugungen, die uns sogar irgendwie faszinierten; vielleicht auch deshalb, weil wir als Entwurzelte etwas Vergleichbares in unserem kulturellen Umfeld nicht mehr vorfanden. Aber viel wichtiger als all das war für uns freilich die Musik. Dieser einzigartige, exotische Off-Beat, mit seiner Betonung der Synkopen zwischen den Grundschlägen: Dum – tscha-ka – – tscha-ka – – tscha-ka – – tscha-ka… Das war neu! So etwas hatten wir noch nicht gehört. Und dann die Präzision, mit der Schlagzeug und Percussion mit dem hüpfenden Bass und der abgehackten Gitarre zusammenspielten. Das Ganze angereichert mit lässigen Wah-Wah-Gitarrenlicks und spacigen Keyboard- und Orgelsounds. Und frei darüber schwebend, Marleys soulige, ausdrucksstarke Stimme. Cool stuff, man!

Durchweg hörenswerte Songs

Die erste Scheibe, die ich von Bob Marley und seiner Band The Wailers in Händen hielt, war „Burnin'“. Es war schon ihr sechstes Album und bereits im Oktober 1973 erschienen. Ich konnte kaum erwarten zu hören, wie „I Shot the Sheriff“ im Original klingt, da ich nur die Coverversion von Eric Clapton kannte. Den Anfang machte aber erst einmal ein Stück, das zum vielleicht wichtigsten in Marleys Repertoire avancieren sollte: das grandiose „Get Up, Stand Up“. In seinem aufrüttelnden Text geht es darum, sich keine Beschwichtigungen mehr auftischen zu lassen, sondern aufzustehen und aktiv für sein Recht zu kämpfen. Die Idee zu dem Song kam Marley bei einem Besuch des Inselstaates Haiti zu Zeiten des despotischen Regimes von Diktator François Duvalier. Dieser hatte sich durch Wahlmanipulation und die brutale Ausschaltung seiner Gegner sowie durch die Instrumentalisierung des weitverbreiteten Voodoo-Glaubens bis zu seinem Tod im Jahr 1971 an der Macht gehalten. Marley stellte den Song unter Mithilfe seines Bandmates Peter Tosh fertig, der dann sogar den Gesang in der dritten Strophe übernahm.

Darin taucht mit der Textzeile „You can fool some people sometimes. But you can't fool all the people all the time.“ („Du kannst einige Leute für eine bestimmte Zeit zum Narren halten, aber nicht alle die ganze Zeit.“) eine Abwandlung eines gemeinhin Abraham Lincoln zugeschriebenen Zitats auf. Nach wie vor ein Hoffnung machender Spruch. Als nächstes folgt mit „Hallelujah Time“ eine melodiöse Reggae-Ballade, hinreißend gesungen von Percussionist Bunny Wailer und komponiert von dessen Ehefrau Jean Watt (wie übrigens auch das wunderbare „Pass It On“ auf der B-Seite). Danach kommt dann schon „I Shot the Sheriff“, das eckiger und kantiger als Claptons Version daherkommt. Dessen Aufnahme – die ich nach wie vor sehr schätze – mag vergleichsweise flüssiger und funkiger sein. Aber die der Wailers besitzt eine ganz eigentümliche Aura, die den Song irgendwie ehrlicher und authentischer erscheinen lässt. Der unnachahmliche Zauber des Originals.

Der Rest des Albums, das das letzte der originalen Wailers mit dem Dreiergespann Marley-Tosh-Wailer sein sollte, besteht aus abwechslungsreichen und durchweg hörenswerten Songs (was beileibe nicht von allen Bob-Marley-Platten behauptet werden kann). Das liegt bestimmt auch daran, dass die Songs auf „Burnin'“ noch von verschiedenen Leuten geschrieben und gesungen wurden. Nachdem Tosh und Wailer die Band 1974 verlassen hatten, um mit eigenen Solokarrieren durchzustarten, erschienen alle nachfolgenden Platten unter dem Namen Bob Marley & The Wailers, wobei Marley die alleinige Leadstimme übernahm; von nun an aber begleitet von den I-Threes, einem dreiköpfigen Backgroundchor, bestehend aus Marleys Frau Rita und den beiden in Jamaika populären Sängerinnen Marcia Griffiths und Judy Mowatt. Mit diesem Setup sollten Marley und seine neuen Wailers die Musikwelt erobern und für viele zum Inbegriff von Reggae und jamaikanischer Kultur werden.

Auch Peter Tosh konnte sich einen gebührenden Platz unter den bekanntesten Reggae-Musikern sichern, als er sich mit seinem „Legalize It“ von 1976 in die Herzen aller Ganja-Liebhaber sang. Bunny Wailer, der im selben Dorf wie Marley aufwuchs und mit ihm seit seinem neunten Lebensjahr befreundet war, nahm es mit dem Rasta-Glauben am genauesten und widerstand den Verlockungen des Ruhms im babylonischen Reich der Ungläubigen. Außerdem wollte er viel lieber in seiner Heimat bleiben und dort seine Musik machen. Das sollte auch außerhalb der Karibikinsel nicht unbemerkt bleiben, als er in den 90er Jahren gleich für drei seiner Scheiben den Grammy Award für das beste Reggae-Album verliehen bekam. Da weilten seine beiden Mitstreiter allerdings schon nicht mehr auf dieser Welt: Marley starb, wie eingangs erwähnt, 1981, mit nur 36 Jahren an Krebs, und Tosh wurde 1987 im Alter von 42 Jahren in seinem Haus überfallen und erschossen. Wailer erreichte mit 73 Jahren ein vergleichsweise stattliches Alter und starb 2021 an den Folgen eines Schlaganfalls.

YouTube-Link zur Originalversion von „I Shot the Sheriff“

YouTube-Link zu einer Live-Aufnahme von „Get Up, Stand Up“ in München 1980, knapp ein Jahr vor Bob Marleys Tod

YouTube-Link zum Albumtrack „Pass It On“ mit der samtigen Stimme von Bunny Wailer

 

Hans Scheuerlein ist gelernter Musikalienfachverkäufer. Später glaubte er, noch Soziologie, Psychologie und Politik studieren zu müssen. Seine Leidenschaft gehörte aber immer der Musik.

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Wolf Doleys / 07.10.2023

“Burning and a-looting tonight Burning and a-looting tonight” Nicht gerade empfehlenswert!

Bernhard Piosczyk / 07.10.2023

Übrigens, auch der Blues beruht auf dem Off-Beat Rhythmus.

Rolf Menzen / 07.10.2023

Richtiger Roots-Reggae kam auch von Michael Rose und Black Uhuru. Legendär ist ihr Rockpalast-Auftritt.

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